Der Fluch des Freihandels
Ist CETA noch zu retten? Die Wallonen stellen sich quer und wollen sogar den EU-Kanada-Gipfel platzen lassen. Doch selbst wenn das Abkommen noch zustande kommt: Viele Vorteile wird es nicht bringen, der Freihandel stößt an seine Grenzen.
[dropcap]D[/dropcap]as fortschrittlichste Handelsabkommen der Welt: So preist die EU-Kommission CETA. Wenn die EU dieses Abkommen nicht akzeptiere, mache sie sich lächerlich, warnen Experten.
Da ist ‘was dran: In den Verhandlungen mit Kanada wurde viel erreicht, zwischen CETA und TTIP liegen Welten. Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte wurden abgesichert, private Schiedsgerichte abgewendet.
Allerdings ist dies nicht der Kommission zu danken, sondern vor allem den Protesten, die SPD-Chef Gabriel zu Nachverhandlungen zwangen. Und der Regierung in Kanada, die sich kompromissbereit zeigte.
Aber: Ein zukunftsweisendes Abkommen ist CETA deshalb immer noch nicht. Denn es beruht auf der falschen Prämisse, dass Freihandel im Jahr 2016 noch die Lösung für alle Märkte und Probleme sei.
Das mag im 19. Jahrhundert noch gegolten haben, vielleicht auch im 20. Doch heutzutage fallen Zölle kaum noch ins Gewicht, Freihandel bedeutet vor allem die Abschaffung “nichttarifärer” Barrieren.
Gemeint sind Normen und Standards, aber auch Gesetze und Traditionen, die gelockert, wenigstens aber marktgängig geschliffen werden sollen. Doch selbst dann geht der Grenznutzen gegen Null.
Eine Studie hat dies am Beispiel Österreich vorgerechnet: Gerade mal sechs Euro wird der Durchschnitts-Ösi dank CETA mehr verdienen, klägliche 450 Vollzeit-Jobs werden zusätzlich geschaffen.
Kosten und Nutzen stehen in keinem Verhältnis
Dafür greift das Abkommen aber tief in Demokratie und Rechtsstaat ein. Neue Gesetze müssen Kanada-kompatibel sein, Investoren bekommen ein Sonder-Klagerecht, die SPÖ wird übergangen etc.
Kosten und Nutzen stehen also in keinem vernünftigen Verhältnis mehr, jedenfalls nicht in hochentwickelten Ländern wie Kanada. Doch bei den Schwellenländern sieht es nicht viel besser aus.
Dort bringt der Freihandel zwar vergleichsweise großen Nutzen für Europa – dafür aber mindestens ebenso große Schäden bei den “Partnern”. Die Freihandelsabkommen mit Afrika lassen grüßen.
Globale Ungleichgewichte und Jobverluste
Im Extremfall führt der Freihandel zu Armut, Arbeitslosigkeit und Abwanderung – die die EU dann durch Entwicklungshilfe und “Migrations-Partnerschaften” (sprich Abschottung) kompensieren muss.
Zudem fördert die EU mit ihrer Freihandels-Strategie Ungleichgewichte und Ungleichheit. Export-Überschüsse werden ausgeweitet (vor allem in Deutschland), Jobs kommen unter globalen Kostendruck.
Es ist dieser Fluch des Freihandels, gegen den die Menschen auf die Barrikaden gehen. Auch CETA ist davon nicht frei. Aber vielleicht wird das Abkommen ja zu einem Wendepunkt der Globalisierung…
S.B.
18. Oktober 2016 @ 15:26
Globalisierung bedeutet aus bisheriger Sicht nichts anderes, als das Ausnutzen niedrigerer sozialer Standards (Lohn und soziale Absicherung) anderer Länder, zur profitableren Produktion. Je geringer dieser Vorteil in einem bestimmten Land wird, desto eher sind die Konzerne bereit, in das nächste Billigland weiterzuziehen. Letztens habe ich eine Reportage über eine chinesische Firma gesehen, die jetzt in Äthiopien Porzellan-Güter herstellt, da ihr die chinesischen Arbeiter zu teuer werden.
Auch der Freihandel macht aus Sicht der Konzerne nur solange Sinn, wie sie daraus Wettbewerbsvorteile ziehen können. Sonderklagerechte etc. sind insoweit ein Mittel zum Zweck. Das Ganze nach Möglichkeit außerhalb des Rechtsstaates. Wäre doch schön, wenn der Steuerzahler ohne jegliche Gegenleistung zahlen muss.
Ob die beteiligten Länder eine Vorteil davon haben, ist dabei für die Konzerne völlig unerheblich, wie der Artikel richtig aufzeigt.
Der Tanz der EU (siehe erster Absatz) um dieses goldene Kalb, zeigt auch vor diesem Hintergrund, dass sie nurmehr ein Lobby-Instrument der international agierenden Großkonzerne ist.
Peter Nemschak
18. Oktober 2016 @ 07:52
Brauchen wir einen Wendepunkt in der Globalisierung oder eine bessere Verteilung ihrer reichlichen Früchte? Hier wird wie so oft das Kind mit dem Bad ausgegossen. Auf dem Neidklavier lässt sich wie immer in der Geschichte effektiv spielen.