Der erste Streit – Die letzte Bazooka

Die künftige Kommissionschefin von der Leyen will eine Art Heimatministerium schaffen, das sich auch um die (Abwehr von) Migranten kümmern soll. Nun steht sie im Regen.

Werden Flüchtlinge in der EU künftig als Bedrohung für den „europäischen Lebensstil“ betrachtet? Um diese Frage ist ein heftiger Streit zwischen von der Leyen und dem Europaparlament entbrannt.

Grüne und Sozialdemokraten fordern, die Aufgabenbeschreibung für den designierten neuen Migrationskommissar Margaritis Schinas zu ändern.

Vor allem bei den Grünen schlagen die Wellen hoch. Bei einer Fraktionssitzung am Dienstagabend in Brüssel empörten sich mehrere Europaabgeordnete über das neue Ressort, das von der Leyen für den konservativen Griechen Schinas geschaffen hat.

Es heißt „Protecting our European way of life“, was auf Deutsch mit „Unseren europäischen Lebensstil schützen“ übersetzt wird.

Hinter diesem wohlklingenden Titel verbirgt sich jedoch nicht etwa der Schutz der Kultur, sondern die Abwehr von „irregulären“ Flüchtlingen, der Grenzschutz und die Anwerbung von Fachkräften aus Drittländern, wie von der Leyen erläuterte.

Schinas werde für die „gesamte Handlungskette“ von der Erfassung bis hin zur Abschiebung („Rückführung“) verantwortlich sein.

Im Europaparlament schlug das wie eine Bombe ein. Zwar ist auch der bisherige Migrationskommissar – der Grieche Dimitris Avramopoulos – für Abschiebungen zuständig. Er trägt jedoch nicht so einen euphemistischen Titel.

Von der Leyens Wortwahl sei „beängstigend“, schrieb die grüne Ko-Fraktionsvorsitzende Ska Keller. Sie hoffe, dass die neue EU-Chefin „keinen Widerspruch zwischen der Unterstützung für Flüchtlinge und europäischen Werten sieht“.

Auch der britische Labour-Europaabgeordnete Claude Moraes äußerte Kritik. Dass der Migrationsbereich den Obertitel „Unseren europäischen Lebensstil schützen“ habe, sei „zutiefst beleidigend“, sagte der aus einer indischen Familie stammende Brite der Zeitung „Independent“.

Ganz ähnlich sehen das die deutschen Sozialdemokraten. Von der Leyen haben sich in der Wortwahl vergriffen.

Der Protest zeigte Wirkung: Am Abend deutete von der Leyen an, dass sie den umstrittenen Titel zurückziehen will…

Siehe auch „Etikettenschwindel im Dreamteam“

Watchlist

  • Setzt EZB-Chef Draghi noch einmal die geldpolitische Bazooka ein? Die EZB-Watcher erwarten, dass die EZB bei ihrer Sitzung an diesem Donnerstag in Frankfurt ihre seit Jahren ultralockere Geldpolitik abermals lockern wird. Diskutiert werden sowohl neue Anleihenkäufe als auch eine Verschärfung des Strafzinses für Gelder, die Banken bei der EZB parken. Kritiker warnen vor einem „Notenbanksozialismus“
  • Schaltet sich das Europaparlament in den Brexit-Streit ein? Bisher verhielten sich die Abgeordneten passiv. Sie unterstützten die Linie der EU-Kommission, ohne den umstrittenen Austrittsvertrag zu ratifizieren. Nun will EU-Verhandlungsführer Barnier das Parlament über den aktuellen Stand informieren. Das Problem: keine Seite bewegt sich, auch Brüssel nicht…

Was fehlt

  • Die versöhnliche Haltung der deutschen Sozialdemokraten zum Team von der Leyen. Vor der Sommerpause hatten die Genossen gegen die CDU-Politikerin gestimmt, nun versuchen sie eine (vorsichtige) Annäherung. SPD-Vormann Geier lobte die Geschlechter-Parität und versprach eine sachliche Prüfung der Kommissare. Für den Sinneswandel gibt es einen Grund: Die Sozialdemokraten haben zehn Kommissars-Posten ergattert, die Konservativen nur acht…