Der brisante Fall von Justizkommissar Reynders, Lawrow reist & Barnier stürzt
Die Watchlist EUropa vom 05. Dezember 2024 – Heute mit News und Analysen zu einem neuen Korruptionsskandal in Brüssel, einem Treffen der OSZE auf Malta und der Regierungskrise in Frankreich
Der Korruptionsskandal im Europaparlament – das sog. “Katargate” – ist bis heute nicht aufgeklärt. Nun erschüttert ein neuer Kriminalfall die EU-Institutionen. Diesmal geht es um Justizkommissar Didier Reynders, der erst vor sechs Tagen sein Amt abgegeben hat.
Gegen Reynders wird wegen des Verdachts auf Geldwäsche ermittelt, wie die belgischen Behörden in Brüssel bestätigt haben. Der Belgier musste sich einem Polizeiverhör stellen, seine Wohnung und ein Ferienhaus wurden durchsucht.
Die Brüsseler Staatsanwaltschaft hat offenbar bereits 2023 Ermittlungen gegen Reynders aufgenommen, nachdem Hinweise der belgischen Lotterie eingegangen waren. Zugeschlagen hat sie aber erst jetzt – kurz nach Ende von Reynders’ Amtszeit.
Um wieviel Geld geht es?
Dem liberalen Politiker wird vorgeworfen, während seiner Amtszeit als belgischer Minister über Glücksspieleinsätze Geld gewaschen zu haben. Um welche Summen es in den Ermittlungen geht, blieb offen. Woher das “schmutzige” Geld kam, ist auch unklar.
Reynders war bis Ende der vergangenen Woche in der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen für Justiz und Rechtsstaatlichkeit zuständig, sein fünfjähriges Mandat ist nun abgelaufen. Von der Leyen will nichts mitbekommen haben.
An diesem Fall ist alles merkwürdig. Ein Justizkommissar, der Geld wäscht? Wozu? Reynders wurde wie alle Kommissare fürstlich entlohnt. Um Geld zu waschen, muss er erstmal krumme Geschäfte machen. Wo? In wessen Namen? Keine Angaben!
Was wußte von der Leyen?
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Suspekt erscheint auch das Timing. Wenn die Ermittlungen schon lange laufen – warum wurde die EU-Kommission nicht rechtzeitig alarmiert? Beim Katargate im Europaparlament wurde sogar Parlamentspräsidentin Metsola eingeschaltet.
Zudem gab es schon vor Reynders’ Ernennung zum EU-Kommissar 2019 den Verdacht auf Korruption und Geldwäsche. Von der Leyen hat ihn trotzdem in ihr Team aufgenommen und den mutmaßlichen Bock zum Gärtner gemacht, der den Rechtsstaat “schützt”.
Nun sieht es doch eher so aus, als sei der Rechtsstaat für ein paar Jahre “suspendiert” worden – und das mitten in der EU-Kommission, die sich gern als “Hüterin der Verträge” und des europäischen Rechts präsentiert…
Mehr zu den zahlreichen Affären in der Ära von der Leyen hier
News & Updates
- Lawrow reist trotz Krieg in die EU. Russlands Außenminister Lawrow reist am Donnerstag zu einem Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Malta. Er werde die russische Delegation leiten, sagte Außenamtssprecherin Sacharowa. Es ist Lawrows erster Besuch in einem EU-Mitgliedstaat seit dem Beginn der russischen Offensive in der Ukraine. Sacharowa kann leider nicht dabei sein – ihr wird von Malta die Einreise verweigert…
- CDU und AfD verlieren im Streit um den Wald. Die umstrittene Entwaldungsverordnung kommt, der Schutz der Wälder wird nicht noch mehr aufgeweicht. Darauf haben sich Unterhändler der EU im so genannten Trilog-Verfahren in Brüssel geeinigt. CDU und AfD konnten sich nicht durchsetzen. – Mehr im Blog.
- Oppositionspolitiker in Georgien festgenommen. Die Lage in Georgien spitzt sich weiter zu. Die Polizei in Tiflis hat mehrere Oppositionsbüros durchsucht und Politiker festgenommen. Einsatzkräfte durchsuchten auch die Büros von Nichtregierungsorganisationen. Nun wird der Ruf nach EU-Sanktionen lauter. – Mehr hier
Das Letzte
Barnier stürzt, Macron wankt? Es war ein Scheitern mit Ansage: Der Chef der französischen Minderheitsregierung, Barnier, ist durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt worden. Sowohl die vereinte Linke als auch das rechte Rassemblement National sprachen sich dafür aus, Barnier und seiner Regierung das Vertrauen zu entziehen, die zuletzt nur noch mit Duldung des RN handlungsfähig war. Anlass war ein Sparhaushalt, der neue soziale Härten bedeutet hätte. Der tiefere Grund ist aber die Selbstherrlichkeit, mit der Präsident Macron das Ergebnis der Wahlen im Juli ignoriert und Barnier in sein Amt eingesetzt hatte. Der Unmut über den zunehmend autoritären Führungsstil des “liberalen” Staatschefs ist groß; deshalb könnte es sein, dass nun auch Macron wankt. Zunächst dürfte er aber eine geschäftsführende Regierung bilden und auf Zeit spielen…
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Karl
5. Dezember 2024 @ 09:38
Reynders – “An diesem Fall ist alles merkwürdig.” Fehlt noch: Ein geldwaschender Belgier, gegen den die belgische Justiz in Brüssel ihre Ermittlungen offenbar sorgfältig unter Verschluss hält.
Kleopatra
5. Dezember 2024 @ 07:15
Welches Ergebnis der Wahlen hat Macron ignoriert?
In zahlreichen Wahlkreisen wurden entweder liberale (macronistische) oder linke Abgeordnete gewählt, weil sich diese beiden Richtungen geeinigt hatten, in der Stichwahl vereint gegen RN anzutreten. Das heißt aber, dass auch die Linke nicht als Linke, sondern nur als „Anti-RN“ im Parlament sitzt; sie kann aus der Wahl keine Legitimation oder Auftrag für eine linke Politik ableiten, nur für eine Zusammenarbeit mit Macron. Wen hätte Ihrer Meinung nach Macron ernennen sollen? Jemanden vom RN? Gegen den steht eine breite Mehrheit in der Nationalversammlung. Einen Linken? Eine breite Mehrheit der Nationalversammlung ist nicht links. Bleibt wirklich bloß eine zentristische Regierung.
Stef
5. Dezember 2024 @ 07:26
Nur dass leider Macron und seine Regierungschefs alles sind, nur nicht moderat und in der Mitte ruhend. Sie sind Radikale und Extremisten, vo einer zentristischen Regierung kann hier keine Rede sein.
Das Zentrum mit diesen neoliberalen Hohepristern Marke Milei, Lindner oder Macron gleichzusetzen ist ein Relikt aus einer vollkommen überholten politischen Analogie. Das politische Koordinatensystem ist schon lange nicht mehr bipolar.
Das erschließt auch die Antwort auf Ihre Frage: Macron soll anerkennen, dass seine neoliberale Politik abgewählt wurde, anstatt sie im kostüm moderater Zentrumspolitik durch die Hintertüt wieder durchzusetzen.
Kleopatra
5. Dezember 2024 @ 09:31
Die Sparvorhaben im sozialen Bereich (die den Anlass für die Ablehnung des Haushalts durch die Linke und teilweise den RN boten) sind m.W. zu einem guten Teil durch Europarecht erzwungen. Das heißt, es gibt für sie Gründe, die zwar nicht “objektiv” sind (die EU-Vorschriften über die Staatsverschuldung sind politisch vereinbart und deshalb nicht naturgegeben), aber nicht einfach zur Disposition der französischen Regierung stehen. Solche Sparmaßnahmen müssten daher von ungefähr jeder französischen Regierung durchgeführt werden. Und es handelt sich deshalb nicht einfach um eine “neoliberale Politik Macrons”. Und daran, dass eine solide Mehrheit der Franzosen nicht für eine linke Politik gestimmt hat, gibt es nichts zu zweifeln (außer man hält den RN für eine linke Partei).
Stef
5. Dezember 2024 @ 10:14
Ja, Sie haben recht und übersehen doch das Wesentliche.
Europarecht ist inzwischen in vielen Feldern leider in Gesetzesform gegossener Neoliberalismus. Macron und Merkel sowie viele andere Regierungen haben die Zumutungen, die sie ihrem Wahlvolk nicht direkt „verkaufen“ wollten, über den Umweg der EU aufgetischt. Das kommt dann als bindendes und umzusetzendes Europarecht daher und die Verursacher können so tun, als hätten sie keine Wahl und könnten nichts dafür.
Exakt das haben die französischen Wähler m.E. abgewählt. Das ist kaum zu übersehen. Die beiden Blöcke, die das nicht mehr wollen, haben die meisten Stimmen erhalten. Dass damit noch keine parlamentarische Mehrheit steht, ist schon klar. Dass die Regierung von Macrons Gnaden aber jetzt nicht daherkommen kann wie immer und unter Verweis auf neoliberales Europarecht so weitermachen will wie bisher, ist ebenfalls sonnenklar. Und eine „zentristische Regierung“ nach überkommenem Verständnis (und was anderes soll bitte die Regierung Barnier denn gewesen sein), wird das nicht lösen können, solange sie geltendes Europarecht nicht als politisches Problem behandelt.
Kleopatra
5. Dezember 2024 @ 10:43
@Stef: Wie soll eine französische Regierung das Europarecht “als politisches Problem (behandeln)”? Und wie soll sie ihren Haushalt gestaten, solange das “Problem” nicht “gelöst” ist
Stef
5. Dezember 2024 @ 14:04
Na es wäre doch mal ein Anfang, den Sachverhalt offensiv zur Sprache zu bringen, dass Europarecht inzwischen jeden signifikanten Politikwechsel auf nationalstaatlicher Ebene vereitelt und damit letztlich die Demokratie auf einen Formalismus reduziert. Und dass es auch keine funktionierende Demokratie auf europäischer Ebene gibt.
Ferner könnte es die französische Regierung auf einen Konflikt mit den “schwäbischen” Fiskalregeln der EU anlegen bezüglich Ihres Haushaltes. Soweit Regierung und Mehrheit dies für sinnvoll erachten, haben sie das Mandat dafür.
Je stärker die vermeintliche Mitte mit jedem Mitteln den Machterhalt für ihre gescheiterte Politik sucht, umso mehr wird sie Mehrheiten jenseits der Mitte ernten.
Karl
5. Dezember 2024 @ 10:15
@Kleopatra: Sie meinen, wenn die Linke in den Wahlkreisen die Macron-Liberalen wählt, um Le Pen zu verhindern, dann sei es völlig legitim, dass diese Macron-Libbs danach mit Le Pen zusammen die Regierung wählen?
Durch die Stimmen der Linken gelangte übrigens auch der Präsident Macron selber in sein Amt.
Glauben Sie, dass irgendwer in Frankreich Ihrer Argumentation folgte?
Auch die meisten deutschen Medien haben verstanden, dass Macron “mit der Demokratie zockt”: zuerst die selbstherrliche Entscheidung, das Parlament aufzulösen, danach den Wahlsieger ignorieren und gegen die Mehrheit schmutzige Geschäfte mit der FN treiben …
–> Ohne Plan, Sinn und Verstand: Die Franzosen vergleichen ihn mit Napoleon oder halten Macron schlicht für verwirrt.
Kleopatra
5. Dezember 2024 @ 10:41
@Karl: Ich meine, dass linke Abgeordnete, die sich nur durch eine Koalition mit dem macronistischen Zentrum gegen ihren Konkurrenten vom RN durchgesetzt haben, keine Legitimation für eine dezidiert linke Politik aus ihrer Wahl ableiten können; allenfalls für eine Politik gegen den RN. Deshalb sollten sie jedenfalls nicht mit dem RN zusammen eine Regierung stürzen.
Karl
5. Dezember 2024 @ 12:35
@Kleopatra: Sie meinen, die Linke dürfe nix, Macron dürfe alles, und Wahlergebnisse seien beliebig interpretierbar.
Übersetzung (eigene) eines Kommentars aus “L’Humanité”:
“Für die Macronie bedeutet die Annahme des Misstrauensantrags [durch den Präsidenten, daraus folgte heute 10 Uhr die Entlassungsurkunde für den Ministerpräsidenten Barnier durch den Präsidentenpalast] ein Zeichen der Apokalypse.
Dieser Herbst markiert das Scheitern des Präsidentenlagers. Erstens das Scheitern Premierministers, der zu sehr mit der Flamme des RN spielte, um sich schließlich darin zu verbrennen (s’y brûler). Auch das Scheitern der “gemeinsamen Basis” (des Präsidentenlagers), die den Vorschlägen der Linken feindlich gegenübersteht, aber doch kompromissbereit ist, um einen Haushalt für soziale Gerechtigkeit aufzustellen. Und vor allem das Scheitern des Präsidenten der Republik selbst, der sich schuldig gemacht hat, die Abstimmung vom 7. Juli mit Füßen getreten zu haben, er ignorierte mit der Neuen Volksfront (NFP) die Kraft, die den Spitzenplatz erreicht hat, zugunsten einer wackeligen konservativen Legierung, die die Selbstzerstörung verheißt.”
Quelle: “Le contexte” -> https://www.humanite.fr/direct_content_feed/motion-de-censure-les-dernieres-heures-du-gouvernement-barnier
„Um aus der Sackgasse zu kommen, in die der Präsident das Land geführt hat, bleibt uns nur eine Lösung: Wir fordern Emmanuel Macron jetzt auf, zu gehen“, so die linke La France Insoumise (LFI).