Das Schweigen der Kandidaten, Sunak wirft hin – und Le Pen wirft Ballast ab
Die Watchlist EUropa vom 23. Mai 2024 – Heute mit dem gähnend langweiligen Europa-Wahlkampf, Neuwahlen in Großbritannien und einem “Au revoir” für die AfD.
Stell Dir vor, die Welt steht kopf, und die EU macht weiter, als wenn nichts passiert wäre. Genau das erleben wir gerade im Europa-Wahlkampf. Die Wahlkämpfer schweigen, statt zu kämpfen. Zu den wichtigsten Themen wollen oder können sie nichts sagen.
Die Gerichtsverfahren rund um das “Pfizergate” und EU-Kommissionschefin von der Leyen werden von fast allen EU-Politikern ignoriert. Nur “Partei”-Chef M. Sonneborn brach das Schweigen. Er habe den Eindruck, dass das Verfahren verschleppt werden solle, sagte er der “Berliner Zeitung” (Lesetipp!).
Die Enthüllungen über verschleppte Flüchtlinge in Tunesien und anderswo sind kein Wahlkampf-Thema. Niemand hinterfragt die Behauptung der EU-Kommission, sie wisse von nichts. Dabei berichten der “Spiegel” und andere Medien ausführlich über die erschreckende Verstrickung der EU.
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Nicht einmal der beantragte Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Netanjahu und die Hamas sorgt für große Debatten in Brüssel. EU-Chefdiplomat Borrell teilte mit, er habe ihn “zur Kenntnis” genommen. Das war’s. Die Kandidaten haben offenbar keine Lust auf Debatte.
Dabei spalten Netanjahu und die Palästinenser-Frage die EU und die USA. Im US-Wahlkampf wird auch über den Ukraine-Krieg und über die Flüchtlingspolitik gestritten. Doch in EUropa hat man diese Themen abgehakt – der Wähler hat nichts mehr zu melden.
Immerhin findet am Donnerstag eine TV-Debatte der Spitzenkandidaten statt. Allerdings nehmen nur fünf Kandidaten teil, Vertreter der rechten ID-Fraktion und der rechtskonservativen EKR fehlen. Zudem wird die Sendung nur von Phoenix übertragen.
Da jedes Thema nur von jeweils zwei Kandidaten abgehandelt wird – mit nur einer Minute Redezeit – ist keine tiefgehende Debatte zu erwarten. Vielmehr droht ein langweiliges Frage-Antwort-Spiel, bei dem sich die Pro-EUropäer am Ende die Hand reichen…
News & Updates
- Sunak tritt ab – Neuwahlen im Juli. Nach monatelangem Zögern hat der britische Premierminister Sunak ein Datum für Neuwahlen festgelegt. Die Parlamentswahl soll nun am 4. Juli stattfinden. Sunak droht keine zwei Jahre nach seinem Amtsantritt ein Debakel. In den Umfragen liegt seine konservative Tory-Partei rund 20 Punkte hinter den Sozialdemokraten von Labour zurück. Kommentatoren sprachen angesichts des großen Rückstands von einem mutigen Schritt – er läuft auf einen vorzeitigen Rücktritt hinaus…
- Startschuß für Ukraine im Juni? Die Ukraine und Moldau können auf einen schnellen Start der EU-Beitrittsverhandlungen hoffen. Die belgische EU-Ratspräsidentschaft will bis Ende Juni eine erste Beittritts-Konferenz organisieren. “Wir tun unser Möglichstes, um eine Einigung zu erzielen”, erklärte Außenministerin Hadja Lahbib. Allerdings haben beide Länder noch längst nicht alle Voraussetzungen erfült – und Ungarn droht mit einem Veto. Pikant ist auch, dass der Startschuß erst nach der Europawahl erfolgen soll.
- Spanien und Irland wollen Palästina anerkennen. Die EU hat schon lange keine gemeinsame Nahost-Politik mehr. Nun scheren zwei Staaten auch ganz offiziell aus – und erkennen Palästina als Staat an. Weitere EU-Länder könnten bald folgen. Deutschland ist mit seiner Pro-Israel-Politik zunehmend isoliert. Weltweit haben 142 bereits der 193 UN-Staaten einen Palästinenserstaat anerkannt. – Mehr im Blog
Das Letzte
Le Pen wirft Ballast ab. Bei der Europawahl in drei Wochen zeichnet sich ein massiver Rechtsruck ab. Da klingt es fast schon wie eine gute Nachricht, dass sich Frankreichs Nationalisten-Führerin Marine Le Pen vom deutschen Spitzenkandidaten Maximilian Krah distanziert und mit der AfD bricht. Man werde nach der Wahl nicht mehr in einer Fraktion zusammenarbeiten, heißt es in Paris. Doch für Entwarnung ist es zu früh. Le Pens Entscheidung macht Europas Rechte nicht schwächer, auch wenn sie den Zusammenhalt der rechtsradikalen ID-Fraktion im Europaparlament gefährdet. Denn diese Fraktion bestand ohnehin nur auf dem Papier. Und der Bruch ist vor allem innenpolitisch motiviert. Le Pen will sich mit Blick auf Europa, vor allem aber für die Präsidentschaftswahl 2027 in Frankreich ein gemäßigtes Image geben. Rassistische und revisionistische Sprüche à la Krah passen nicht zu dieser Strategie. Le Pen hat Ballast abgeworfen, c’est tout. – Weiterlesen auf taz.de
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exKK
23. Mai 2024 @ 16:22
„Die Gerichtsverfahren rund um das „Pfizergate und …von der Leyen werden von fast allen EU-Politikern ignoriert….habe den Eindruck, dass das Verfahren verschleppt werden solle“Den Eindruck Sonneborns teile ich – das wird ausgehen wie das sprichwörtliche Hornberger Schiessen.Die EU ist alles mögliche, aber definitiv keine Demokratie mit einer funktionierenden Gewaltenteilung und auch kein Rechtsstaat. Sie ist die Fortsetzung eines autokratischen Feudalismus mit anderen, modernen Mitteln und einem neuen Adel: einem Geld- und Elitenadel.Und der „dritte Stand“ hat wie ehedem nichts zu melden.
Arthur Dent
23. Mai 2024 @ 11:28
Die britische Wirtschaft wächst gerade, die Inflationsrate ist niedrig wie lange nicht – da muss man Sunak austauschen gegen Starmer?
Mit Toria Nuland hab ich gemeinsam, dass ich von der EU nicht viel halte. Erstaunlich auch, dass die Rechtsaußen-Parteien erst alle ins EU-Parlament einziehen wollen, um die EU dann aufzulösen. Oder doch nur ein klein wenig reformieren? Dexit und Frexit dürften wohl kein Thema mehr sein. Melonie und Le Pen streben zur Mitte.
“Nationalstaat” geht nur noch in Zusammenhang mit Sportgroßveranstaltungen. Man ist auch nicht mehr Bürger einer Republik, sondern Konsument eines riesigen Basars.