Gift für Merkels EUropa
Die Hessenwahl ist nicht nur ein Debakel für die GroKo und ihre Kanzlerin Merkel. Sie brachte auch das denkbar schlechteste Ergebnis für die EU – jedenfalls für jene EUropäer, die immer noch auf Merkel schwören.
Fangen wir mit der GroKo an: Ähnlich wie vor zwei Wochen in Bayern haben die Regierungsparteien in Hessen massiv Federn lassen müssen. CDU und SPD verloren jeweils rund 11 Prozent – ein historischer Erdrutsch.
Bemerkenswert ist vor allem das Absacken der CDU. Denn damit kann man nun nicht mehr sagen, dass allein CSU-Chef Seehofer und seine bayerischen Statthalter schuld sind am Niedergang der Volksparteien.
Auch die CDU verliert, wenn auch nicht ganz so stark wie die SPD. Und mit der CDU verliert die Kanzlerin.
Letztlich sprechen die Wähler ihr Mißtrauen in die gesamte Regierungsriege aus – in München, in Frankfurt und eben auch in Berlin. Merkel und die sie stützenden Parteien haben in der Wählergunst keine Mehrheit mehr.
Gleichzeitig setzt sich der Aufstieg der AfD fort. In Hessen könnten die Rechtspopulisten nicht nur in den letzten noch fehlenden Landtag einziehen, sondern sogar mehr Stimmen hinzugewinnen als die Grünen.
Ein schlimmeres Szenario kann es aus EU-Sicht kaum geben. Eine gestärkte AfD, eine geschwächte Kanzlerin – und eine SPD, die mit ihrem Pro-EU-Kurs nichts gewinnen konnte und nun nichts mehr zu verlieren hat: das ist eine explosive Mischung.
Sie kann zu allem führen: zum Sturz Merkels, zu einer Minderheitsregierung in Berlin, aber auch zu einem lähmenden “Weiter so” nach dem Motto: die AfD sitzt uns im Nacken, wir können nicht anders!
Und das alles ein halbes Jahr vor der Europawahl, bei der viele Wähler gar keine Rücksichten mehr nehmen dürften. Der Denkzettel für die EU könnte bitter ausfallen, auch in Deutschland…
P.S.: Wegen der Herbstferien in Belgien erscheint diese Woche kein Newsletter; am 5.11. geht es wie gewohnt weiter.
Markus Schröer
29. Oktober 2018 @ 16:22
Bei den Satz „Letztlich sprechen die Wähler ihr Mißtrauen in die gesamte Regierungsriege aus – in München, in Frankfurt und eben auch in Berlin. Merkel und die sie stützenden Parteien haben in der Wählergunst keine Mehrheit mehr“ ist wohl mit Frankfurt die hessische Regierung in Wiesbaden gemeint
ebo
29. Oktober 2018 @ 20:31
Richtig, danke für den Hinweis!
Stefan Frischauf
29. Oktober 2018 @ 13:37
Mit Jens Spahn und Friedrich Merz stehen ja nun zwei sehr gegensätzliche Merkel-Kritiker als CDU-Parteivorsitzende ihrer Wunschkandidatin Kramp-Karrenbauer gegenüber. Und: ob das für sie als Kanzlerin bis 2021 reicht, das darf heute auch in dieser Hinsicht in Frage gestellt werden. Auch die Gewinne der Grünen kann man von verschiedenen Seiten her betrachten. So wie es hier ja auch Peter Nemschak und Eric Bonse tun.
Gestern Abend brachte Peter Dausend auf ZEIT-online das Wahlergebnis in Hessen zudem auch ganz gut auf den Punkt. Mein Kommentar dazu:
„1. Die Agenda 2010 hat das lange Siechtum der SPD eingeleitet. Die Angst vor dem Fall ins Bodenlose erfasst immer breitere Schichten. Mit ganz eigenen Reaktionsweisen. Zur (derzeitigen) Freude von AFD und Grünen.
Aber auch das erkennt er richtig: wir brauchen eine starke SPD.
Deswegen sollte sie die GroKo beenden.
2. Die „deutsche Flüchtlingskrise 2015“ hat die „Kanzlerinnendämmerung“ eingeleitet und kommt im Hinblick auf Stammwähler der CDU dem langen Vertrauensverlust der SPD gleich. Deswegen sollte Frau Merkel ihre Nachfolge regeln.
3. Beide großen Parteien haben zu wenige Lösungsansätze für gewaltige „tektonische Verschiebungen“ nicht nur im Inneren Deutschlands – auch in Europa gebracht in den letzten Jahren. Sie können so auch in keinster Weise dem Führungsanspruch Deutschlands gerecht werden, der immer wieder gerne herbeizitiert wird.
4. Eine schwache Führung schafft in Krisensituationen immer Unruhe und Verwerfungen. Bis hin zu Krieg. Die Sicherheit in Europa wird so zum ressortspezifischen Selbstläufer: das Verteidigungsressort beschwört unermüdlich die „russische Gefahr“ herauf, das Außenamt übt den charakterlosen Kotau vor aggressiven (Kriegs-)Verbündeten. Der Steuerzahler zahlt murrend die Zeche für diesen Schmu.
5. Natürlich liegt bei Brexit und auch beim italienischen Abwehrriegel der Ball dort in der Hälfte. Aber: auch in Hessen hat man zuletzt allenthalben „neoliberale Wirtschaftskompetenz“ gezeigt. Also keine.“
In diesem Sinne: es bleibt spannend. Hessen ist ja auch „nur“ ein Bundesland / eine Region in Deutschland und das ist eben auch ein recht wichtiges Land in Europa. Und da wird sich vor der Europawahl noch Einiges ändern müssen. So oder so.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-10/wahl-hessen-landtagswahl-ergebnis-grosse-koalition/komplettansicht
Peter Nemschak
29. Oktober 2018 @ 09:44
Einiges werden die Grünen wohl mit ihrem etwas breit angelegten Wohlfühlprogramm wettmachen. Sie scheinen die in der Mitte schrumpfenden Traditionsparteien zumindest teilweise zu ersetzen. Die Mehrheit scheint sich weder Radikaleuropäer noch das Gegenteil davon zu wünschen. Sie ist gemäßigt konservativ in ihrer Weltanschauung.
ebo
29. Oktober 2018 @ 11:12
Was Europa betrifft, sind die Grünen schon eher radikal – zumindest hier in Brüssel. Was Deutschland betrifft, so beginnt nun die Merkel-Dämmerung – zum für EUropa denkbar schlechtesten Zeitpunkt…
Peter Nemschak
29. Oktober 2018 @ 17:46
Die deutschen Grünen müssen bei aller Europafreundlichkeit letztlich deutsche Interessen vertreten. Die EU-Abgeordneten haben ein anderes Mandat.