Das Parlament meldet sich ab

Die EU-Kommission wird in der Coronakrise an den Rand gedrängt. Die Mitgliedsstaaten scheren sich kaum noch um Ratschläge aus Brüssel. Und was macht das Parlament? Es meldet sich ab – nicht nur aus technischen Gründen.

Sie betrachten sich als “Herz der europäischen Demokratie”. Doch schon im Juli 2019 haben sich die EU-Abgeordneten kampflos geschlagen gegeben – und mit Ursula von der Leyen eine Kommissionschefin gewählt, die nicht einmal an der Europawahl teilgenommen hatte.

Nun zeigen sich die MEP erneut mutlos und schwach. Statt die Alleingänge der EU-Staaten in der Coronakrise anzuprangern und die EU-Kommission energisch anzutreiben, segnen die Abgeordneten brav alles ab, was von der Leyen vorlegt. Demokratische Kontrolle? Fehlanzeige.

Parlamentspräsident David Sassoli bringt nur das auf die Tagesordnung, was die deutsche CDU-Politikerin ihm vorsetzt. Auf die Idee, eigene Initiativen zu ergreifen und einen Neustart zu verlangen, wie man nach der Europawahl versprochen hatte, ist der Italiener nicht gekommen.

Von der Leyen dankt es ihm, indem sie den weitgehend leeren Saal des Europaparlaments nutzt, um sich selbst Absolution zu erteilen. Am Donnerstag entschuldigte sie sich für unterlassene Hilfeleistung in Italien, pries die EU sogleich aber als “stark pochendes Herz der Solidarität” an.

Doch als es um die praktische Ausgestaltung der Solidarität ging, kam nichts mehr. Corona-Bonds, wie sie neun EU-Staaten fordern, darunter Italien, wurden von Christdemokraten, Liberalen und Rechten niedergestimmt. Von der Leyen ist natürlich auch dagegen.

Nun sind Coronabonds gewiß nicht die einzige Form, finanzielle Solidarität zu zeigen. Denkbar wäre auch, das EU-Budget massiv zu erhöhen und umzubauen, einen Schuldentilgungsfonds einzurichten und eine Arbeitslosen-Rückversicherung aufzubauen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Man könnte auch auf den Gedanken kommen, einen Untersuchungs-Auschuß einzusetzen, um zu klären, wieso Europa zum Epizentrum der Krise wurde. Die Abgeordneten könnten auch ‘mal darüber beraten, was anders werden muß, damit sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt.

Doch das Parlament kommt gar nicht auf den Gedanken, Alternativen zu entwickeln. Es lässt sich genauso treiben wie die Kommission. “Für eine richtige politische Kraft fehlt dem Parlament der Wille zur legislativen Krisenführung”, sagt der grüne Abgeordnete S. Lagodinsky.

Man kann es auch anders ausdrücken: Das “Herz der europäischen Demokratie” meldet sich ab – ausgerechnet jetzt, wo es dringend gebraucht würde…

Siehe auch “Wo bleibt die demokratische Kontrolle?” und “Roadmap ins Ungewisse”

P.S. Der Fairness halber muss man hinzufügen, dass das EP wg. Corona kaum noch arbeitsfähig ist. Die meisten Abgeordneten sind längst aus Brüssel abgereist und nehmen nur noch per Videoschalte und Mail an der Arbeit teil. Was das für Probleme bereitet, hat “Politico” beschrieben: “EU Parliament struggles for influence due to coronavirus”. – Das Problem ist aber nicht nur Corona, sondern auch die mangelnde politische Resilienz…