„Das ist Merkels Stunde der Wahrheit“

Das Europaparlament ist sauer auf Kanzlerin Merkel. Im Streit um den Rechtsstaat und das EU-Budget müsse die amtierende Ratspräsidentin endlich Flagge zeigen, fordern Grüne und Sozialdemokraten.

„Das ist Merkels Stunde der Wahrheit“, sagt die grüne Europaabgeordnete T. Reintke. Die Kanzlerin habe sich jahrelang in Appeasement gegenüber dem ungarischen Regierunschef Orban geübt. Damit müsse nun Schluß sein.

Ähnlich äußerte sich die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, die Spanierin Garcia Perez. Der Ball liege nun beim Rat (also bei Merkel), das EU-Parlament werde keine Abstriche bei der umstrittenen Rechtsstaats-Klausel machen.

Diese Klausel bindet künftige EU-Finanzhilfen an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit. Das lehnt Orban ab, deshalb hat er sein Veto eingelegt. Die Blockade trifft allerdings nur den EU-Finanzplan, nicht den Rechtsstaats-Mechanismus selbst.

Denn der kann mit qualifizierter Mehrheit beschlossen und umgesetzt werden – wenn der deutsche EU-Vorsitz es will. Doch auch dazu kommt bisher kein grünes Licht aus Berlin. Alles hängt in der Luft, alle warten auf Merkel.

Das auffällige Zögern und Schweigen mitten in der größten Krise der EU-Geschichte lässt die Gerüchte ins Kraut schießen. Merkel wolle Orban entgegenkommen und ihm versprechen, dass der Rechtsstaats-Mechanismus nie eingesetzt wird, heißt es.

So könnte das laufende Artikel-7-Verfahren, das Rechtsstaats-Verstöße ahndet, eingestellt werden. Gleichzeitig könnte Merkel den Mechanismus mit einer scheinbar harmlosen „Erläuterung“ ergänzen, die de facto auf eine Kastrierung hinausliefe.

Ist es das, was Merkel plant? Wir wissen es nicht; anderslautende Berichte etwa von W. Münchau lassen sich in Brüssel nicht bestätigen. Vielleicht weiß man in Berlin mehr, liebe SPD? Wie wär’s mal mit einem Machtwort des Vizekanzlers?

Siehe auch „Die Rechtsstaats-Debatte, die Merkel nicht will“