Offenbarungseid in der Flüchtlingspolitik

Was bleibt von der EU-Politik der letzten Woche? Die fehlende Solidarität in der Flüchtlingspolitik – und der Eindruck, dass Kommissionschefin von der Leyen die Lage der Union schönredet.

Die EU habe sich in der Coronakrise als verletzlich erwiesen, doch nun werde ihr neues Leben eingehaucht. From fragility to vitality – so stellte es die CDU-Politikerin in ihrer SOTEU-Rede dar. Dabei ist die wahre Lage ganz anders:

  • Der Corona-Aufbaufonds, der die EU retten soll, ist immer noch nicht in trockenen Tüchern. Weil ausgerechnet die Hilfen für Gesundheit, Forschung, Just Transition und Kultur gekürzt wurden, stellt sich das Europaparlament quer.
  • Die COVID-19-Krise kommt zurück. Nicht nur in Gestalt von nationalen Reisewarnungen, die die Reisefreiheit zur Farce gemacht haben. Sondern auch in Form einer Infektionswelle, die sich nun auch wieder in den Krankenhäusern manifestiert.
  • Die groß angekündigten Sanktionen gegen Belarus hängen im Ministerrat fest, denn Zypern verknüpft seine Zustimmung mit der Türkei-Frage. Da ist es jedoch der deutsche EU-Vorsitz, der mauert – pardon: vermittelt. Die Außenpolitik ist gelähmt.
  • Auch der “Fall Nawalny” ist nicht gelöst. Das Europaparlament fordert zwar Sanktionen gegen Russland, eine Mehrheit will sogar Nord Stream 2 stoppen. Doch auch da steht Kanzlerin Merkel auf der Bremse; von der Leyen eiert herum.
  • In Moria hat sich gezeigt, dass die EU fünf Jahre nach der Flüchtlingskrise von 2015 immer noch keine Asyl- und Migrationspolitik hat. Deutschland nimmt zwar wieder Flüchtlinge auf, doch niemand folgt. Dies bewegte Kanzlerin Merkel zu einer Art Offenbarungseid:

“An Lesbos und am Lager Moria zeigt sich das ganze Elend der europäischen Migrationspolitik, die keine ist. Das muss man einfach so nüchtern feststellen.“

Merkel vor der Unionsfraktion, Quelle: Merkur.de

Alles in allem bietet die Union ein trauriges Bild. Die Solidarität, die rund um den EU-Gipfel im Juli beschworen wurde, ist nicht zu sehen – weder bei Corona, noch bei den Flüchtlingen. Jeder macht sein Ding, und von der Leyen redet alles schön…

Siehe auch “Was von der Leyen nicht gesagt hat”

P.S. Am Freitag haben sich Merkel und von der Leyen im Berliner Kanzleramt getroffen. Sie haben über die Flüchtlingspolitik gesprochen – unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Es sickerte lediglich durch, dass der griechische Regierungschef Mitsotakis hinzugezogen wurde. Der ließ zuvor Polizei auf Lesbos aufmarschieren und ein neues Lager errichten. Merkel und Leyen schauen zu, der deutsche EU-Vorsitz schweigt…