Das Ende der Moral, Migration à la Meloni – und Abfuhr für Selenskyj
Die Watchlist EUropa vom 19. Oktober 2024 – heute mit der Wochenchronik.
Deutschland, die EU und der gesamte Westen fühlen sich dem Rest der Welt moralisch überlegen. Wir achten die Menschenrechte, wir folgen den Regeln, wir haben die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen, nicht wahr?
Aus, vorbei. Schon das vergangene Jahr seit dem 7. Oktober hat die Doppelstandards des Westens offenbart. Die Ereignisse der vergangenen Woche hatten aber nochmal eine andere Qualität. Sie markieren das Ende der (westlichen) Moral – und die Komplizenschaft der EU.
Israel bombardierte ein Flüchtlingslager im Innenhof des Al-Aksa-Krankenhauses in Gaza, Menschen wurde bei lebendigem Leibe verbrannt, die fürchterlichen Bilder gingen um die Welt. Die EU-Außenminister gingen darüber hinweg, als wenn nichts geschehen wäre – von Empörung keine Spur.
“Ära der Gesetzlosigkeit”
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Umso lauter wurde die Liquidierung von Hamas-Chef Sinwar durch Israel gefeiert- auch von Außenministerin Baerbock. Bei Bin Laden gab es immerhin noch ein paar moralische Skrupel. Auch das ist vorbei. Öffentliche Hinrichtungen sind mittlerweile offenbar völlig okay…
Die EU empfängt nun sogar verruchte Mörder wie den saudischen Premier bin Salman in Brüssel. Kommissionspräsidentin von der Leyen ließ sich lächelnd mit ihm ablichten. Wie kann die CDU-Politikerin da noch behaupten, das Recht hochzuhalten und Journalisten zu schützen?
Wie kann sie überhaupt noch in den Spiegel blicken? “Die EU ist in die Ära der Gesetzlosigkeit eingetreten”, urteilt die frühere liberale EU-Abgeordnete Sophie in t’Veld. Für von der Leyen, die CDU-Politikerin, sei alles verhandelbar: Verträge, Gesetze, Werte. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die vergangene Woche markiert für mich das Ende der westlichen Moral und der europäischen Glaubwürdigkeit. Von nun an ist alles möglich – selbst in Brüssel, Berlin und in der EU. Aber wer hört schon noch auf die EU…
Siehe auch “Schuldiges Schweigen zu Israel”
P.S. Das i-Tüpfelchen setzte Bundespräsident Steinmeier, der US-Präsident Biden für sein “bleibendes moralisches Beispiel” lobte. Rückzug aus Afghanistan, Drohungen gegen Nord Stream, Verstrickung in den Ukraine-Krieg und unbedingte Deckung Israels – wo bleibt da die Moral?
"#Gaza is the real-world embodiment of hell on earth for its one million children. And it’s getting worse, day by day, as we see the horrific impact of the daily airstrikes and military operations on Palestinian children." – @1jameselder, @UNICEF pic.twitter.com/JTL4a32Duq
— United Nations Geneva (@UNGeneva) October 18, 2024
Was war noch? In der Migrationspolitik wandert die EU nun offiziell auf Melonis Spuren. Die postfaschistische Regierungschefin Italiens gab beim EU-Gipfel die Richtung vor. Auch Polens angeblich liberaler Premier Tusk machte erfolgreich Druck.
Ergebnis: Unerwünschte Migranten, die von Belarus nach Polen geschleust werden, könnten künftig ohne Asylverfahren zurückgeschickt werden. Außerdem will man sich um Abschiebelager außerhalb EUropas und andere “innovative Lösungen” bemühen.
Allerdings spielt die Justiz nicht mit. Ein Gericht in Rom lehnte die von Meloni veranlasste Inhaftierung von zwölf Migranten in einem neuen italienischen Lager in Albanien ab. Nun werden sie zurück nach Italien geschickt – das “Modell Meloni” funktioniert nicht…
Eine Abfuhr holte sich auch der ukrainische Präsident Selenskyj. Bei der Nato biß er mit seinem “Siegesplan” ebenso auf Granit wie bei der EU. Nato-Generalsekretär Rutte lehnt einen schnellen Beitritt der Ukraine, ab, Kanzler Scholz die Entsendung von “Taurus”-Raketen.
Dennoch wagt es niemand, das Offensichtliche auszusprechen: Selenskyjs “Siegesplan” ist ein realitätsferner Wunschkatalog, ein militärischer Sieg über Russland ist eine Illusion. In Brüssel herrscht “kognitive Dissonanz” – man könnte es auch Selbsttäuschung nennen…
Siehe dazu meine neue Kolumne im “Makroskop”. Mehr Newsletter hier.
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Monika
20. Oktober 2024 @ 21:32
lieber ebo „What shall we do with all that moralless sailors. what shall we do ..?
Schon seit Monaten wenn nicht Jahren, dürften sehr viele Amtsträger in öffentlichen, öffentlich-rechtlichen, rechtlichen, ministeriellen, … , eigentlich quer durch alle gesellschaftlichen Felder und Funktionen, nicht mehr in ihren ihnen übertragenen Ämtern sein, gälten überhaupt noch irgendwelche Standards.
Was zählt noch Geschmarri von gestern, heut ist heut – und morgen wieder alles ganz anders. Verträge? hin Verträge her, egal was meine Wähler sagen, wen scheren schon Wähler, wenns ums Ganze Finanze geht…
WIR haben uns festgelegt, nicht etwa festgefahren, US-Standard ist „Gold“standard, bis zum Endsieg, selbst wenn Europa vor die Hunde geht, die „Freunde“ werden uns schon den A..llerwertesten retten, wenn wir ihnen in den ihrigen so geschmeidig als möglich kriechen.
Was mich am meisten ent“täuscht“: die Judikative. Vom Rechtsstaat habe ich mir mehr Gleichheit vor dem Gesetz erwartet. Aber da wartet „das Volk“ wohl lang… hahah
Weiss eigentlich jemand von euch wo die Ausgabestellen der US-Fähnchen wären, die wir zum Jubilieren am Straßenrand nutzen sollen?
KK
21. Oktober 2024 @ 01:24
@ Monika:
„Vom Rechtsstaat habe ich mir mehr Gleichheit vor dem Gesetz erwartet.“
Wie denn das – in einem sogenannten „Rechtsstaat“, wo es für die meissten schon zu teuer ist, das Recht überhaupt einzuklagen?
Zivilrechtlich überlegt man mit wenig Geld auf dem Konto zweimal, ob man sich auf eine jahrelange judikative Lotterie einlässt, die einen am Ende ein Vielfaches des Streitwertes kosten könnte („Auf Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“ heisst es ja nicht von ungefähr). Und die, die es sich leisten können, einfach so weit auf dem Instanzenweg voranschreiten können, bis entweder ein genehmes Urteil oder Vergleich erreicht oder ganz einfach sich Prozessgegner zum Aufgeben genötigt sehen, weil ihnen schlicht das Geld für Gerichtskosten und Anwalt ausgeht…
KK
20. Oktober 2024 @ 00:41
„…wir haben die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen, nicht wahr?“
Hätten wir tatsächlich etwas aus der Shoa gelernt, so würden wir ausnahmslos jeden, der sich anschickt, einen Völkermord oder andere „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu begehen, in den Arm fallen – auch und gerade, wenn die Opfer von damals bzw. deren Nachfahren selbst zu Tätern zu werden drohen – oder es bereits geworden sind.
„Die vergangene Woche markiert für mich das Ende der westlichen Moral und der europäischen Glaubwürdigkeit.“
Entschuldigung, wenn ich um Verzeihung bitte, aber für diese Erkenntnis haben Sie tatsächlich noch der vergangenen Woche bedurft?
Die westliche Moral und EUropäische Glaubwürdigkeit hat dieses Ende meines Erachtens schon vor längerer Zeit erreicht – und beweist nur nahezu jede Woche aufs neue, dass beides noch tiefer sinken kann als ich es in den Wochen zuvor überhaupt für möglich gehalten hatte.
o tempora o mores!
ebo
20. Oktober 2024 @ 13:14
Nein, die Doppelmoral haben wir doch schon ganz oft angeprangert. Auch das Schweigen der EU wurde immer wieder thematisiert, z.B. hier EU schweigt zu Angriff auf Krankenhaus in Gaza
Neu ist allerdings, dass sich die EU-Spitzen mit einem Mörder treffen, dass sie zur Hinrichtung des Hamas-Führers öffentlich Beifall klatschen oder – wie Baerbock – noch die schlimmsten Gräueltaten rechtfertigen. Und all dies in einer Woche.
Das ist keine moralische Bankrotterklärung mehr, sondern die Abwesenheit von Moral, eben das Ende der Moral. Und damit der Beginn der Gesetzlosigkeit, wie in t’Veld sagt.
KK
20. Oktober 2024 @ 19:32
„Doppelmoral“ heisst ja nichts anderes, dass Moral nur nach Gusto praktiziert wird – wenn es nämlich der eigenen Sache dient.
Das ist für mich keinen Deut besser, als erst gar keine Moral zu haben – eher das Gegenteil ist für mich der Fall, stellt diese Doppelmoral doch mE einen vorsätzlichen Missbrauch von Moral dar.