Das Ende der EU…
…wie wir sie kennen. Darüber schreibt nicht einmal der “Spiegel”. Dabei zeichnet es sich deutlich ab. Kanzlerin Merkel führt nicht mehr – und Kommissionschef Juncker will nicht mehr.
___STEADY_PAYWALL___
“Die Union zusammenhalten” – das ist nicht nur der Wunsch der Gewerkschaften (wie in diesem Blog beschrieben), sondern der meisten EU-Politiker. Vor allem Kanzlerin Merkel fühlt sich dazu berufen.
Doch ihr Vorschlag, nun eine flexible EU der verschiedenen Geschwindigkeiten zu schaffen, läuft in der Praxis auf das Ende der Union hinaus. Merkels Plan hat nämlich zwei bisher wenig beachtete Haken.
- Zum einen setzt sie auf die sog. Unionsmethode, also auf die EU-Staaten. Die Kommission, aber auch das Parlament und die anderen Brüsseler Institutionen werden zu Beiwerk degradiert.
- Zum anderen soll diese flexible EU ohne festen Kern auskommen. Weder die Eurogruppe noch die EU-Gründerstaaten sollen eine Avantgarde oder auch nur einen soliden Sockel darstellen.
Merkels Plan läuft auf ein deutsches Europa à la carte hinaus, in dem sie ihre Partner nach Gusto aussucht. Sogar Beschlüsse aus Brüssel zählen nur noch, wenn sie Berlin in den Kram passen.
Deutsches Europa à la carte
Das zeichnet sich bereits seit langem ab – ob in der Eurokrise (Merkel rief den IWF, um Brüssel zu schwächen), der Flüchtlingskrise (Merkels Alleingang) oder der (Nicht-)Antwort auf den Brexit.
Doch nun ist der Zerfall der Gemeinschaft so weit gediehen, dass Juncker (“zu wenig Europa, zu wenig Union”) keine Lust mehr hat, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. 2019 will er gehen.
Vorher wird er zwar noch ein Weißbuch zur Zukunft der EU veröffentlichen – ein weiterer Seitenhieb auf Merkel, von dem sich der Luxemburger in letzter Zeit immer deutlicher absetzt.
Vierergipfel ohne die EU
Doch die Kanzlerin lässt keinen Zweifel, was sie davon hält: nichts. Sie setzt auf einen Vierergipfel mit Frankreich, Italien und Spanien am 6. März in Versailles, Brüssel wird übergangen.
Und warum bedeutet das nun das Ende der Union, wie wir sie kennen? Ganz einfach: Da ist nichts mehr. Erst schwand der Gemeinschaftsgeist. Dann wurde das Ziel der “immer engeren Union” aufgegeben.
Und nun bricht auch noch der institutionelle Kern in Brüssel zusammen. Er wird, wenn sich Merkel durchsetzt, durch Absprachen zwischen Berlin und anderen, wechselnden Partnern ersetzt.
Eine bleierne, quälende Zeit
Die EU gleicht einem Patienten auf der Intensivstation, der nur noch von Geräten am Leben gehalten wird. Bis sie abgeschaltet werden, kann aber noch viel Zeit vergehen – eine bleierne, quälende Zeit…
Siehe auch “Merz rechnet mit Merkels Europapolitik ab”
hintermbusch
25. Februar 2017 @ 09:53
Die trostlose Lage Europas hat kürzlich der konservative Gaullist Roland Hureaux schonungslos skizziert. Hier die deutsche Übersetzung: Trüber Frühling für Europa.
Einen sehr interessanten ausführlichen Beitrag von 2014 über das deutsche Europa und die daraus folgenden Konflikte mit den USA findet man auf Französisch hier:
http://www.les-crises.fr/synthese-finale-emmanuel-todd/
Demnächst dann Auszüge auf Deutsch auf meinem Blog. Das hervorragende kritische Blog ‘Les crises’ von Olivier Berruyer ist übrigens von ‘Le Monde’ auf den Fake-News-Index gesetzt worden. Emmanuel Todd denunziert dieses schmutzige Spiel am Anfang dieses Interviews mit Radio France Culture:
https://www.franceculture.fr/emissions/la-grande-table-2eme-partie/la-france-premiere-victime-de-la-mondialisation
Olivier Berruyer wird gegen Le Monde klagen und hat dafür einen Spendenaufruf gestartet (ganz oben im Blog). Der Kampf um das deutsche Europa wird auf französischem Boden ausgetragen (und verloren) werden. Emmanuel Todd hat die Lage bereits 2016 als ‘senile Parodie’ derjenigen von 1941 bezeichnet:
https://hintermbusch.wordpress.com/2016/07/15/brexit-das-ende-des-westens/
Freiberufler
24. Februar 2017 @ 11:25
Was ist eigentlich an wechselnden Koalitionen so schlimm? Wie die Einstimmigkeit bei der Euroretterei erzwungen wurde, gehört zu den widerlichsten Kapiteln der EU. Nachdem sich die Großen auf den Rechtsbruch geeinigt hatten, wurden die Kleinen einer nach dem anderen eingenordet. Wer erinnert sich noch an die Empörung, als die kleine Slowakei die Frechheit besaß, sich auf die geltenden Verträge zu berufen?
ebo
24. Februar 2017 @ 12:16
@Freiberufler Da liegt wohl ein Missverständnis vor. Wechselnde Koalitionen sind ad-hoc-Koalitionen; dabei ist Einstimmigkeit geradezu Pflicht. Bei der in Brüssel bisher geübten Gemeinschaftsmethode hingegen wird mit Mehrheit entschieden. Merkel möchte wechselnde Koalitionen mit ihr genehmen Partnern – mit Berlin als Zentrum. Brüssel möchte (jedenfalls bisher) mit allen 28 EU-Staaten voranschreiten, dabei gilt das Mehrheitsprinzip.
Oudejans
24. Februar 2017 @ 15:21
Divide et impera.
Peter Nemschak
24. Februar 2017 @ 21:30
Durch die Erweiterung auf 28 Mitglieder ist zu viel Heterogenität entstanden, als dass man mit allen auf allen Gebieten synchron voranschreiten kann.Ist eine EU der unterschiedlichen Geschwindigkeiten so tragisch? Ich finde nicht.
S.B.
24. Februar 2017 @ 10:29
BTW: Hier noch zum ewigen Märchen, dass Deutschland der Gewinner des Euro wäre:
http://think-beyondtheobvious.com/stelter-in-den-medien/ifo-schnelldienst-zehn-gruende-warum-die-deutschen-nicht-die-gewinner-des-euros-sind/
Im Artikel wird auf jeden Euro-Aspekt eingegangen. Deutschland, genauer gesagt die deutschen Bürger, sind letztlich genauso große Verlierer des Euro, wie die Südländer, besser gesagt deren Bürger.
Wer sind nun in D die Gewinner? Die deutschen Exporteure. Da wiederum muss man sich genau die Eigentümer (Aktionäre) anschauen. Und die sitzen zum großen Teil im Ausland. Na super!
@ebo: Im Artikel wird auch auf die gewaltige Umverteilung von unten nach oben Bezug genommen. Alles unter den sozialistischen, “linksliberalen”, in Wirklichkeit neoliberalen Regierungen der letzten 25 Jahre. In diese Richtung gibt es allen Grund für heftiges Bashing! Dies mögen unbequeme Wahrheiten sein, die nicht ins linke Weltbild passen. Ihnen mit Trump-Bashing zu begegnen, ist allerdings nicht wirklich seriös. Denn Trump ist nicht für die Zustände im neoliberalen Europa zuständig und noch nicht einmal mit ursächlich dafür wie Clinton und Obama.
Peter Nemschak
24. Februar 2017 @ 11:13
Schlecht ist Deutschland mit der EU und dem Eurobisher nicht gefahren. Verständlich dass sich Deutschland wehrt via gemeinsame Währung Dauersubventionsgeber für jene zu werden, die mit der Modernisierung und Globalisierung nicht zu Rande kommen. Hätten Frankreich und der Süden eine eigene Währung wären schnell die Finanzierungsgrenzen der möglichen Staatsverschuldung erreicht. Die Investoren würden sehr rasch prohibitive Zinsen für das eingegangene Risiko verlangen. Das hatten wir alles schon einmal in den 1970-iger Jahren als die damalige EWG mit einem Milliardenkredit auf ihr Risiko Italien vor einer Staatspleite bewahrte, weil niemand bereit war italienisches Staatsrisiko zu nehmen. Eine solide Haushaltspolitik ist eine wichtige Grundlage für eine florierende Wirtschaft. Wenn der deutsche Finanzminister alle Begehrlichkeiten betreffend das Budget befriedigen würde, wäre Deutschland bald pleite. Es geht darum Prioritäten zusetzen. Die Ausweitung des öffentlichen Konsums zu Lasten der Staatsverschuldung, wie billig sie derzeit auch sein mag, um Wählerstimmen zu keilen, ist keine seriöse Alternative. Jedenfalls ist sie keine Investition in die Zukunft. Schulz muss sich etwas Besseres einfallen lassen.
S.B.
23. Februar 2017 @ 22:08
Ruhe sanft, EU! … und Euro … und zwar möglichst bald. Sonst wird alles nur noch schlimmer.
Zu Juncker: Jetzt nur kein (falsches) Mitleid. Er hat fleißig an der Demontage der EU mitgewirkt.
Der Befund, dass da nichts mehr ist, ist hart aber zutreffend. Auch der Gemeinschaftsgeist war nur ein Bestandteil der Schönwetter-Periode (= Aufschuldungs-Periode), die bekanntlich vorbei ist.
Nun geht’s über kurz oder lang wieder im jeweils bilateralen Verhältnis weiter.
Vorher muss noch abgerechnet werden und dabei wird das ganze wirtschaftliche Desaster vollumfänglich ans Tageslicht kommen.
Winston
23. Februar 2017 @ 19:29
Kurz und bündig:
“Der Euro vereint nicht, sondern spaltet” (Milton Friedman)
mister-ede
23. Februar 2017 @ 19:06
Wenn es nach mir ginge, würde es in Europa 4 Integrationsstufen geben.
1. Stufe: Europarat / OSZE / EMRK / EGMR
2. Stufe: Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR)
3. Stufe: Die Europäische Union (EU)
4. Stufe: Die Europäische Föderation (EF)
http://www.mister-ede.de/politik/gesamteuropaeische-agenda/5545
F.D.
23. Februar 2017 @ 17:56
Weltkriegstrauma, Kalter Krieg, amerikanische Hegemonie, missionarischer Werte-Universalismus und liberalistischer Marktfetischismus… – Der europäische Einigungsvorgang, wie wir ihn bis vor kurzem kannten, wurde durch das in dieser Form unwiederholbare Zusammentreffen historischer Besonderheiten gefördert. Diese Faktoren sind nun langsam ausgerödelt bzw. rödeln nun langsam aus. Übrig bleibt ein bleicher intellektueller Traum vom ewigen Frieden, der in dieser Form einfach unglaubwürdig geworden und letztlich zu wenig ist, um irgendwas wirklich anzutreiben – und jede Menge Entsetzen bei denen, die sich eingebildet hatten, den Überblick über angebliche historische Notwendigkeiten zu haben. Der alte “von den Stoikern schon seit langem verbreitete Gedanke, die in der Weltgeschichte angelegte gütige Vorsehung steuere gleichsam von selbst auf das den gesamten Erdball umfassende Reich von Vernunft und Menschlichkeit zu” (David Engels, Auf dem Weg zum Imperium), der später dann von einem einseitigen Rationalismus verpflichteten Philosophen weitergetragen wurde, war zwar alt und ehrwürdig, aber am Ende eben dann doch nur: Ein Gedanke.
GS
23. Februar 2017 @ 17:18
Die EU ist eine Schönwetter-Union. Das Kernproblem ist m.E., dass sie ihr Kernversprechen nicht mehr erfüllt: nämlich, dass Integration zu mehr Wohlstand und besseren Politikergebnissen führt. Und das ist seit mindestens zehn Jahren für alle sichtbar vorbei. Ob die EU-Politik nun eher intergouvernemental oder supranational gestaltet wird, ist vor diesem Hintergrund eher eine akademische Debatte. Nachlassende Output-Legitimität führ zu Systemkollaps.
Peter Nemschak
23. Februar 2017 @ 18:35
Die EU hat sehr wohl zu mehr Wohlstand der Mitglieder beigetragen, auch wenn dieser ungleicher verteilt ist. Die Eurozone, welche nicht identisch mit der EU ist, ist ein Spezialproblem, das durch die Möglichkeit auszutreten repariert gehört. Klar scheint zu sein, dass mehr Integration auf allen Gebieten, vor allem dem Gebiet der Fiskalunion, politisch derzeit nicht erwünscht ist. Es wird unterschiedliche Geschwindigkeiten geben.All das muss nicht das Ende der EU bedeuten, sehr wohl aber das Ende der EU, wie wir sie bisher kennen. Das Flüchtlingsproblem hat die Grenzen des Machbaren aufgezeigt.
almabu
24. Februar 2017 @ 15:09
Wenn der gemeinsame, für alle gleichermaßen verbindliche Rahmen der EU aufgegeben wird, dann soll es in Europa künftig besser laufen? Fällt mir schwer, dies zu glauben! Nein, die EU wird sich entweder mit einem Knall oder mit einem Winseln in Luft auflösen. Der Brexit war dafür nur der Startschuss. Da sitzen in allen 27 verbleibenden Ländern genügend “WE-FIRSTER” um das erfolgreiche Friedensprojekt der Nachkriegszeit zuverlässig zu beerdigen. Es wird dabei auch nicht friedlich bleiben, fürchte ich?