Algerien oder das Elend der EU-Außenpolitik
Nordkorea, Kaschmir und Jemen: In den großen außenpolitischen Krisen hat die EU nichts zu melden. Auch zum Aufstand im Nachbarland Algerien fällt ihr nichts ein. Viel lieber beschäftigt man sich in Brüssel mit Venezuela.
In einer Venezuela-Erklärung vom Wochenende hieß es, jegliche Maßnahme, die die “Freiheit, Sicherheit oder persönliche Integrität” des selbst ernannten Oppositionsführers Guaidós gefährde, werde die Spannungen erheblich eskalieren.
Was das bedeuten soll, sagte die der EU-Außenbeauftragt Mogherini nicht. Ein von einigen EU-Staaten – darunter Deutschland – verhängtes Ultimatum an Machthaber Maduro war im Februar ergebnislos abgelaufen. Konsequenzen hatte das keine.
Nun mit einer weiteren Eskalation zu drohen, wirkt wie Pfeifen im dunklen Wald. Im Zweifel wird das Schicksal Maduros und Guaidos ohnehin in Washington entschieden, nicht in Brüssel oder Berlin.
Mit Ultimaten und martialischen Appellen verspielt die EU jedoch ihre Chance, als Mittlerin tätig zu werden – also genau das zu tun, was sie als “Soft Power” bisher immer tat (und am besten konnte).
Das ganze Elend der europäischen Außenpolitik zeigt sich aber in Algerien. Die ehemalige französische Kolonie am Südrand des Mittelmeers ist ein direkter Nachbar der EU. Hier könnte Brüssel tatsächlich einmal etwas bewirken.
Doch obwohl in Algerien ein Volksaufstand tobt, der es durchaus mit Venezuela aufnehmen kann, hüllen sich Mogherini, Maas & Co. in Schweigen. Bisher fiel kein einziges kritisches Wort zu Machthaber Bouteflika, der nun seine fünfte (!) Amtszeit anstrebt.
Im Gegenteil: In einem der seltenen EU-Statements zu Algerien lobte Mogherini vor einem Jahr überschwänglich die “Partnerschaft” mit dem nordafrikanischen Staat. Die Beziehungen intensivierten sich.
Ob das womöglich an den lukrativen Rüstungsverträgen liegt, die Berlin und Algier abgeschlossen haben? Oder daran, dass Bouteflika alles tut, um die “Festung Europa” zu schützen und keine Migranten durchzulassen?
Fest steht, dass die EU in Algerien den Ausschlag für einen demokratischen Wechsel geben könnte – anders als in Venezuela, wo sie nur eine Nebenrolle spielt. Warum versucht sie es nicht? Hat sie Angst vor einem zweiten Arabischen Frühling?
Siehe auch “Drohen und strafen – ist das die neue EU-Außenpolitik?”
WATCHLIST
- Erlebt nun auch Estland “seinen” Rechtsruck? Ganz ähnlich wie im vergangenen Herbst in Schweden, droht nun auch in dem Baltenstaat ein Dammbruch: Die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei (EKRE) könnte drittstärkste Kraft werden. Es wäre ein neues Warnsignal für die Europawahl – aber wohl auch eine Reaktion auf den gigantischen Geldwäsche-Skandal um die “Danske Bank”. Mehr dazu hier
WAS FEHLT
- Der Flop mit den Rücknahme-Abkommen. Von der deutsch-österreichischen Grenze sind bisher nur elf Migranten auf Grundlage bilateraler Vereinbarungen in andere EU-Länder zurückgeschickt worden. Dabei hatte Kanzlerin Merkel (CDU) – unter Druck von Innenminister Seehofer (CSU) – im Juni 2018 eigens einen Sondergipfel in der EU-Kommission abgehalten, um innenpolitisch zu punkten. Erreicht hat sie nichts…
- Das Orban-Interview in der “Welt”. Dem Mann, der die EU-Kommission und ihren Chef Juncker im übelster “Stürmer”-Manier beleidigt, ein Forum zu geben, halte ich für keinen guten Stil. Dass sich nun alle Medien an Orbans “nützliche Idioten”-Zitat laben, zeigt nur, dass sie selbst nichts anderes sind: nützliche Nachplapperer des rechten Provokateurs, auf den CDU und CSU immer noch nicht verzichten wollen! Mehr hier
Baer
4. März 2019 @ 16:43
Einer derjenigen,der sich an bestehende Verträge hält,und dem die Wünsche des Volkes nicht gleichgültig sind is V.Orban.
Was unseren Meister Juncker angeht,ist die Aussage Orbans noch glimpflich ausgefallen.
Von unseren EU Eliten ist nichts,aber auch gar nichts zu erwarten.
Sie selbst aber erwarten eine Europawahl zu ihren Gunsten.wenn sie sich da mal bloß nicht täuschen.
Der berühmte Krug geht so lange zum Brunnen bis es bricht.Er ist schon lange gebrochen,
Die Politikdarsteller haben nur den Knall noch nicht gehört.
Peter Nemschak
4. März 2019 @ 18:13
Man merkt, dass Sie den Karneval in Ihren Ansichten über Orban durchaus ernst nehmen. Wollen Sie uns zum Lachen bringen?
Roland Kulke
4. März 2019 @ 14:04
Passend dazu warum so schonend mit Algeriens Elite umgegangen wird: „Algerian parliamentarians visit NATO“
https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_164029.htm?utm_medium=email&utm_campaign=NATO%20Update%2020199&utm_content=NATO%20Update%2020199+CID_3b9757f0919ed9cb5d354f57bf81539f&utm_source=Email%20marketing%20software&utm_term=Read%20more
Stefan Frischauf
4. März 2019 @ 12:27
Algerien ist durchaus kein Leichtgewicht, Peter Nemschak. Das Land hat der Grande Nation die einzige militärische Niederlage im 20. Jahrhundert beigebracht. Vor dem Kongo der größte Flächenstaat des afrikanischen Kontinents hat das Land und seine Menschen immer wieder eine Rolle “zwischen den Stühlen” erlebt. Der Wahlsieg der Muslim-Brüder 1991 – der direkt darauf erfolgte Militärputsch und der Bürgerkrieg – 10+ Jahre Blutvergießen: das hat einerseits die Menschen ausgelaugt. Andererseits bringt Bouteflika als Teil der alten Garde nicht viel Hoffnung auf Verbesserung und Stabilisierung gerade auch einer der jüngsten Bevölkerungen des Kontinents. Das Ausbildungssystem und alles (nach französischen Curricula strukturiert) hat auch sehr gelitten in den letzten 30 Jahren. Als ich Mitte der 1980er Jahre dort bei Freunden lebte, da gab es noch viel mehr Hoffnung auf Veränderung nach Wegkippen des “algerischen Sozialismus”, den alle müde belächelten. Insofern wäre eine engere Kooperation mit der EU gerade auf dem Solarsektor eine Riesenchance für das Land. Aber dafür muss man mutige Diplomatie pragmatisch vorantreiben. Keine “technokratische Scheckbuchdiplomatie”, die jegliche Impulse ausbremst.
Holly01
4. März 2019 @ 12:17
Europäischer Frühling wurde das schon genannt.
Wenn die Reibungsverluste hoch genug, der Streit laut genug und die Handlungsunfähigkeit umfassend genug sind, dann wird der Finanzkrieg, also die großflächige Enteignung von Giralgeld umfassend erfolgen.
Das lustige ist, wie die Protagonisten das genießen. Jeder hält den jeweils anderen für korrupt und dumm und sie haben alle Recht.
Genau darum ist das alles folgenlos, es gibt keine Verantwortung.
Ich hoffen nur, die Verachtung für die Eliten ist groß genug, damit es keine ausreichende Anzahl an Soldaten gibt, um Krieg zu führen….
Peter Nemschak
4. März 2019 @ 14:59
Ein traditioneller Massenkrieg mit in der Spitze 600 tausend Mann im Feld, wie er von den Amerikanern seinerzeit in Vietnam geführt wurde, ist allein schon aus demografischen Gründen heute nicht mehr möglich. Technologie hat Menschen ersetzt. Wehrpflichtige wären damit überfordert.
Stefan Frischauf
4. März 2019 @ 12:16
Trump legt durch seine Twitter-Politik manche Dinge offen: Die “Scheckbuch-Diplomatie TTV” (Tarnen-Täuschen-Verpissen – oder: hinter’m Schreibtisch Wegducken) zieht nicht mehr. Sein “Regime-Change mal anders” zieht aber auch nicht – insofern wäre etwas mehr Klugheit gefordert von Seiten Berlins und Brüssels.
Aber: weit gefehlt. Traurig.
Peter Nemschak
4. März 2019 @ 10:31
Ein unlängst im französischen Fernsehen BFMTV interviewter Historiker sieht die Entwicklung in Algerien weniger dramatisch. Das Land hat eine ausgeprägte Zivilgesellschaft und eine junge Bevölkerung, der demokratisches Verhalten nicht fremd ist. Was Bouteflika für Algerien sind die herkömmlichen Parteien in Frankreich und Italien, nur etwas ausgeprägter. Immerhin hat Algerien eine jahrelange Gewaltperiode hinter sich, die Frankreich erspart geblieben ist. Dafür ist der sogenannte Volksaufstand relativ friedlich.
ebo
4. März 2019 @ 16:19
Der “sogenannte Volksaufstand” – jetzt Aufmacher bei Spiegel online: http://www.spiegel.de/politik/ausland/protest-gegen-abdelaziz-bouteflika-algerien-probt-den-aufstand-a-1256131.html
Peter Nemschak
4. März 2019 @ 10:23
Die Medien tragen durch ihre überproportionale Berichterstattung dazu bei, Orban mit einer Wichtigkeit zu versehen, die er nicht hat.