“Das deutsch-französische Paar existiert nicht”
Es vergeht kaum noch eine Woche, ohne dass Präsident Macron und Kanzlerin Merkel gemeinsam vor die Presse treten. Auch die Finanzminister Scholz und Le Maire präsentieren sich als Gespann. Doch das täuscht, meint eine französische Buchautorin. Macron mache sich (und uns) etwas vor.
“Das deutsch-französische Paar existiert nicht”, heißt das neue Buch von C. Delaume, die sich auf Europathemen spezialisiert hat. Es ist im Verlag Michalon erschienen (leider bisher nur auf Französisch) – und legt den Finger in einige offene Wunden.
Frankreich sei in Europa isoliert, heißt es gleich in der Einleitung dieses provozierenden Essays. Niemand in der EU teile die “föderale” und “souveräne” Vision von Macron. Und niemand glaube, dass Frankreich mit Deutschland ebenbürtig sei.
Doch genau dieser Glaube liegt Macrons Beschwörungen des “deutsch-französischen Paars” zugrunde. Paris und Berlin, so sagte er es gerade wieder im Bundestag, müssten gemeinsam vorangehen und die Welt vor dem drohenden “Chaos” retten.
Dabei gebe es doch nur “einen wahren Chef” in der EU, so Delaume – Merkel. Im Elysée habe man es vielleicht noch nicht bemerkt, doch das gute alte “französische Europa” sei in ein “sehr ostentatives deutsches Europa” übergegangen.
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So weit, so richtig – und bekannt. Der deutsche Soziologe U. Beck war schon 2012, in der Eurokrise, zu demselben Schluß gekommen. Doch warum sieht Macron das nicht? Warum klammert er sich wie ein liebestoller Verehrer an Merkel?
Weil die französischen Eliten das “Modell Deutschland” nutzen, um den Sozialstaat in Frankreich abzubauen und jeden Widerstand gegen (neo-)liberale Reformen zu brechen, meint Delaume. Die Hartz-Reformen lassen grüßen!
Doch die Sache hat einen Haken, so die Autorin weiter: Zum einen sei Deutschland in der EU selbst relativ isoliert – weil es sich zu oft unkooperativ und unsolidarisch gezeigt habe. Zum anderen habe das deutsche “Modell” ausgedient.
Das “Modell Deutschland” verblasst
Tatsächlich wendet sich die deutsche Politik gerade in dem Moment von Hartz & Co. ab, da Frankreich die entsprechenden Reformen einführt. Und die deutsche “Konjunkturlokomotive” zeigt Ermüdungserscheinungen.
Trotz eines für deutsche Verhältnisse chronisch unterbewerteten Euro ist die Wirtschaft zuletzt geschrumpft. Das lange stabile Parteiensystem zerfällt – mittlerweile ist nicht einmal mehr klar, wie lange sich Merkel noch hält.
Die große Frage ist, ob Paris in dieser Lage gut beraten wäre, sich von Berlin zu lösen, so wie Delaume nahelegt. Sollte Macron die Scheidung einreichen – just in dem Moment, da Großbritannien seinen Brexit-Vertrag bekommt? Das wäre gewagt.
Macron hat den Moment verpasst
In Wahrheit hat Macron den passenden Moment verpasst, sich von Merkel zu lösen. Bei den Brexit-Verhandlungen hätte er Großbritannien demonstrativ entgegen kommen können, es wäre in Frankreichs Interesse gewesen.
Auch im Streit um die deutschen Exportüberschüsse hätte er sich von Merkel emanzipieren können. Die Überschüsse sind schließlich nicht nur ein Problem für die USA, sondern auch für Frankreich. Auch diese Chance hat er verpasst.
Bietet sich noch eine dritte Chance, etwa bei der Europawahl, wie der “Spiegel” nahelegt? Vielleicht, die SPD hat ein Bündnis mit Macron nicht ausgeschlossen. Doch gleichzeitig verliert er im eigenen Land immer mehr Rückhalt…
Siehe auch “Der Wind dreht gegen Macron – und die EU” und “Macrons vergebliche Liebesmüh'”
Freiberufler
21. November 2018 @ 13:11
Deutschland und Frankreich rivalisieren seit 1520 um die Hegemonie auf dem europäischen Kontinent. Mit der Währungsunion bekam der längst vergessene Gegensatz ein neues Kapitel. Man lässt heute keine Armeen mehr marschieren, sondern versucht, den anderen in brüderlicher Umarmung zu erdrücken. Voneinander lösen kann bzw. will man sich nicht, weil man die jeweils eigenen Interessen in Europa nur gemeinsam durchsetzen kann.
Holly01
20. November 2018 @ 13:59
Frankreich hat sich 3 Mal gegen Deutschland gestellt. 1870/71 war es eher eine Abgrenzung, 1914/18 und 1933/45 eine von den Anglikanern herbeigeführter Konflikt.
Für Frankreich ist das historischer Ergebnis so klar wie das deutsche in Bezug auf die Anglikaner: Nie wieder, lassen wir uns vor diesen Karren des Kapitalsystems spannen.
So hat Frankreich ebenso wie Deutschland eine recht klare Position:
Machen was möglich, um selbstständig zu sein, tun was nötig, um keine Konflikte zu eskalieren.
Frankreich hat ein weiteres Problem: der chinesisch-us-amerikanische Wettstreit um Afrika bedroht die französischen Reste an Einflusszonen.
Der Feuergürtel um die EU bedroht Frankreich ungleich stärker, als Deutschland.
Das UK hat sich zudem als extrem unzuverlässig herausgestellt. Der Egoismus der Anglikaner im allgemeinen und des Uk im besonderen zieht sich durch die Geschichte wie ein roter Faden und prägt jeden einzelnen Verrat an so genannten Freunden.
Nein die Liebe Deutschlands und Frankreichs zu einander ist nicht sehr groß.
Aber wir sind Nachbarn. Wir haben gemeinsame historische Erfahrungen aus unterschiedlicher Sicht). Wir haben gemeinsame Herausforderungen.
Ja es muss einen gemeinsamen Weg geben. Das ist so. Anders kann man die Änderungen, die die Industrie 4.0 und der Niedergang der USA erzwingen überhaupt nicht managen.
Auch Polen wird sich früher oder später den Tatsachen stellen müssen.
Spätestens, wenn klar ist, das US Truppen in Polen kein Segen sondern eine Last sind, wird man zu überlegen beginnen.
Russland ist ein Nachbar. Deutschland ist ein Nachbar. Die meisten Länder des so gerne von den USA propagierten Trennsystems Deutschland-Russland sehen in Polen einen Ankerstaat.
Polen ist aber kein militaristisches Land und auch nicht bereit diese Lasten zu schultern, weil das Wachstum und Lebensqualität kostet.
Auch keine Liebe, aber eine Herausforderung die Polen und Frankreich verbindet: der Nachbar der sie trennt und doch zusammen führt.
Ich sehe diese Haltung von C. Delaume so nicht.
Die Geschichte trennt alle Europäer. Die Frage ob es überhaupt eine Perspektive für die Zukunft gibt eint sie.
Die USA haben keine Freunde, nur ihre ureigenen Interessen. Da ist kein “Schutz” und schon überhaupt keine “Freundschaft”. Das degradiert alle Europäer zu reinen Werkzeugen, zur Verfügungsmasse, die willkürlich eingesetzt wird.
Der Brexit wird zeigen, wie die USA um zehntel Cent feilschend jede Lücke und jede unfaire Auslegung nutzen werden, um das Uk und die EU gegen einander auszuspielen.
Norwegen und die Schweiz wissen, wie es sich anfühlt den USA alleine gegenüber zu stehen.
Liebe nein.
Alternativen? Es gibt keine.
Der reine Sachzwang führt die Europäer zu einander und zu den Russen.
Das ist TINA.
vlg