Das Demokratie-Defizit der Spitzenkandidaten
Weber gegen Timmermans – das wird also das “Spitzenduell” für die Europawahl. Zwei ältere weiße Männer aus der Brüsseler Blase, deren Parteien “daheim” in Bayern und Holland gnadenlos abschmieren.
Webers CSU hat das schlechteste Ergebnis seit 1950 eingefahren – und sogar die CDU und ihre Kanzlerin heruntergezogen. Die PvdA von Timmermans kam bei der Wahl 2017 auf 5,7 Prozent – ein Absturz um 19,1 Punkte!
Keine gute Ausgangsbasis für die beiden Spitzenkandidaten – ohne EUropa wären sie wohl schon in der Versenkung verschwunden. Aber auch die EU-Ebene bringt wenig Legitimation.
Weber hat das Duell mit seinem Herausforderer Stubb zwar klar mit fast 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Doch Stubb war nur Zählkandidat; Webers Sieg stand von vornherein fest.
Der CSU-Politiker war von EVP-Parteichef Daul und Kanzlerin Merkel auserkoren worden – nicht von irgendeiner “Basis”, die es in dem diffusen Parteienbündnis, das auch Orbans Fidesz-Partei umfaßt, ohnehin nicht gibt.
Bei den Sozialdemokraten sieht es kaum besser aus. Timmermans muß sich erst gar keiner Wahl stellen, da sein Gegenspieler Sefcovic vorzeitig zurückzog. Seine Kandidatur gab er bekannt, nachdem SPD-Chefin Nahles grünes Licht gegeben hatte.
Beide Spitzenkandidaten wurden also von deutschen Parteichefs abgesegnet; andere EU-Länder spielten kaum eine Rolle. Rund 400 Millionen EU-Bürger dürften sich übergangen fühlen.
Weder europäisch noch direkt
Das Hauptproblem ist und bleibt aber, dass die “Spitzen” nicht auf europaweiten Listen antreten, sondern auf nationalen – und dass sie auch nur in ihren Heimatländern gewählt werden können.
Es gab zwar den Versuch, das zu ändern. Doch CDU und CSU – also die Parteien hinter dem deutschen Spitzenkandidaten Weber – haben ihn abgeblockt. Selbst so genannte Föderalisten wie E. Brok sprachen sich gegen EU-Listen aus.
Von einer “Direktwahl” des Kommissionspräsidenten, die die GroKo in Brüssel gerne proklamiert, kann also keine Rede sein. Nur die Bürger im Wahlkreis Bayern können für Weber stimmen, nichtmal die in Berlin.
Liberalen-Chef Verhofstadt spricht den Spitzenkandidaten daher eine europäische Legitimation ab. So weit muß man nicht gehen – aber dass es hier ein Demokratie-Defizit gibt, liegt wohl auf der Hand…
P.S. Die Spitzenkandidaten des Jahrgangs 2018 haben noch ein weiteres Problem, wie W. Münchau anmerkt: Sie kommen aus Deutschland und den Niederlanden – und sonst nirgendwo her. Als da wären: Weber (EVP, DE), Keller (Grüne, DE), Timmermans (S&D, NL) und Eikhout (Grüne, NL). Nord-, Süd- und Osteuropa sind nicht vertreten…
Baer
9. November 2018 @ 07:42
Was heißt eigentlich populistisch? Für das Volk oder jemandem nach dem Munde reden.
Vielleicht auch die unbequeme Wahrheit einfach nur anzusprechen?
Oder heißt es rechts- und,oder linksradikal. Wobei ,was ist gegen radikal einzuwenden,bedeutet es doch an die Wurzel des Übels gehen.
Ist also im Gutmenschen Sprech die Wahrheit radikal.
Billig kann man nur sagen.
Peter Nemschak
8. November 2018 @ 14:20
Nachdem es keine europäische Öffentlichkeit gibt, gibt es auch keine europaweiten Listen. Viele Bürger kennen nicht einmal die nationalen Kandidaten.
ebo
9. November 2018 @ 09:21
Zu simpel. Es waren CDU und CSU, die EU weite Listen verhindert haben. Es geht um Machterhalt, deshalb auch die Kollaboration mit Orban
Andreas Müller
8. November 2018 @ 13:31
Frans Timmermans ist klar unwählbarer als Manfred Weber: völlig unwählbarer Sozi-Saurier aus der Glaubenswelt von gestern. Damit ist das Duell schon heute ziemlich klar entschieden.
Weil aber beide gemeinsam sehr wenig Begeisterung auslösen und die echten Streitfragen lieber zukleistern als austragen, kann man bei den Wahlen zum EU-Parlament mit einem Fest für die “populistischen” Parteienfamilien in Europa rechnen.
Und die Ursachen dafür müssen eben auch in den “gemäßigten” Parteien und ihrem unbelehrbaren “Weiter so!” gesucht werden.