Coronavirus: “Die EU versagt”
Die COVID-19-Epidemie hat Brüssel fest im Griff. Das Europaparlament mauert sich ein, Belgien schimpft über das deutsche Exportverbot für Schutzmasken. Und die versprochene Koordinierung klappt auch nicht. Versagt die EU?
Diese Meinung vertritt die italienische Zeitung “Corriere della Sera”, die sozusagen direkt aus dem Krisengebiet berichtet. Zitat:
Das Gesamtbild ist eher entmutigend. Brüssel hat seine Fehler und kann sich nicht hinter dem Vorwand verstecken “Wir haben keine Kräfte”. Aber Achtung: Im EU-Ministerrat und im Ausschuss für Gesundheitssicherheit sitzen die Vertreter der nationalen Spitzen – sie sind es, die den Anstoß geben und die Kommission anspornen sollten. Die richtige Frage lautet daher: Warum nutzen die Regierungen Europa nicht, selbst wenn sie es eigentlich zum Nutzen aller tun könnten (zu ihrem eigenen Besten)?
Ja, warum nutzen sie die EU nicht? Weil jeder nur an sich denkt. Das zeigt schon der Beschluß der deutschen Bundesregierung, ein Exportverbot für Schutzmasken zu verhängen.
Was aus deutscher Sucht ganz logisch und beruhigend klingt, sorgt nun für Ärger in Belgien. Gesundheitsministerin Maggie De Block macht ihrem Unmut Luft:
“Ich finde eigentlich, dass wir auch solidarisch sein müssen, wenn es um die Verteilung der Schutzmaterialien geht. Aber unsere Reserven sind da auch blockiert, und das ist nicht im Geist der Europäischen Union.”
Doch nicht nur Deutschland versündigt sich gegen den Geist. Auch Belgien handelt unsolidarisch, wenn es immer mehr Flüge nach Italien streicht. Italien wiederum ist zum Meister der Alleingänge geworden.
All dies sollte eigentlich die EU-Kommission verhindern, die die Abwehrmaßnahmen koordiniert. Doch sie ist offensichtlich überfordert – genau wie der Rat der Gesundheitsminister.
Bei einem neuerlichen Krisentreffen in Brüssel wurden am Freitag wieder keine Beschlüsse gefasst. Gesundheitsminister Spahn sagte nur, was er nicht wollte: Reisebeschränkungen.
Na klar. Der Exportweltmeister Deutsdchland behält seine Schutzmasken für sich, aber die Straßen mit deutschen Exportgütern müssen natürlich offen gehalten werden, oder?
Hoch lebe der Binnenmarkt, hoch lebe Schengen – auch in Zeiten der Corona-Krise…
Siehe auch “Corona-Chaos im Europaviertel” und “Coronavirus: Warum die EU schlecht gerüstet ist”
P.S. Während die EU tagt und tagt und tagt, ohne etwas zu unternehmen, hat die US-Notenbank die Zinsen gesenkt, auch die Weltbank wird aktiv. Versagen ist relativ – aber im weltweiten Vergleich hinken die EUropäer hinterher…
Kleopatra
6. März 2020 @ 15:10
Da die Warenverkehrsfreiheit direkt dazu führt, dass unter Umständen bestimmte Güter nur noch an ein, zwei Orten innerhalb der EU hergestellt werden, sollte man sich in Fällen wie dem jetzigen absprechen, bevor man seine Nachbarn überrascht. EU-Institutionen können kaum etwas beitragen, denn die Reaktion auf Krisen ist Sache der Verwaltung, und die EU-Ebene hat keinen direkten Durchgriff auf die Verwaltung; sie kann also nur Hilfe zur Koordinierung von Maßnahmen leisten. Freilich sind Entscheidungen wie das Exportverbot für Gesichtsmasken peinlich; es gibt m.E. nur zwei Varianten: entweder ist man in der Lage, sich in solchen Fällen auf eine gemeinsame, übernationale Rationierung zu einigen (und das muss zwischen den Regierungen gemacht werden, weil die EU nicht schnell reagieren kann, s.o.); oder man verabschiedet sich von der Binnenmarktideologie und erlaubt jedem Mitgliedstaat, essentiell notwendige Güter zu definieren, für die er eine einheimische Industrie fördern und durch Improtverbote gegen Konkurrenz aus anderen EU-Staaten schützen kann (mit der implizierten Folge, dass Grenzkontrollen auf unabsehbare Zeit nicht die Ausnahme, sondern wieder die Regel werden).
Peter Nemschak
7. März 2020 @ 11:39
Sehr treffende Analyse. Sie zeigt, dass jede Option Kosten und Vorteile hat, letztlich der Binnenmarkt größere. Was mich erstaunt, dass in Wien kaum Menschen mit Gesichtsmasken auf den Straßen zu sehen sind. Werden die Masken daheim gebunkert und irgendwann nach Erlöschen der Epidemie weggeworfen ? Dabei hat man der Bevölkerung mitgeteilt, dass Gesichtsmasken entweder das Atmen stark behindern, wenn sie Schutz bieten sollen, oder wirkungslos sind. Über kurz oder lang wird mit einer gewissen Zeitverzögerung ein Großteil der Bevölkerung an Coronavirus erkranken und der größte Teil davon wie bei der Grippe wieder gesunden. Die Symptome sind eher mild. Die jetzigen Versuche der Eindämmung beschränken sich wohl auf den Vorteil, dass die medizinischen Kapazitäten einer Region nicht schockartig überlastet werden. Bei weiterer Ausdehnung werden die Eindämmungsversuche deshalb an Wirkung verlieren.