(Keine) Zweifel an Corona-Impfung, (schwere) Krise an Polens Grenze – und Michel meets Ampel

Die Watchlist EUropa vom 09. November 2021 –

Deutschland im Coronafieber: Die Sieben-Tage-Inzidenz ist am Montag auf den bisherigen Höchstwert von 201,1 gestiegen, auch in anderen EU-Ländern gehen die Zahlen durch die Decke.

Doch in Brüssel sieht man kein Problem – die EU habe alles richtig gemacht, heißt es. Um sicher zu gehen, dass hier kein Mißverständnis vorliegt, habe ich bei der EU-Kommission nachgefragt.

War die europäische Impfkampagne ein Erfolg, wollte ich wissen. Glauben Sie trotz der Probleme im größten EU-Land (Deutschland), dass die Impfstoffe effizient und verläßlich sind?

Ja, die Kampagne war ein Erfolg, antwortete ein Kommissions-Sprecher. Man habe das selbst gesetzte Ziel von 70 Prozent sogar übererfüllt – derzeit seien rund 75 Prozent der Erwachsenen mit Impfstoff versorgt.

Es gebe auch keinerlei Zweifel an der Wirkung der Impfstoffe. Die Kommission folge den wissenschaftlichen Empfehlungen der Europäischen Medizinagentur EMA – und diese habe die Wirkung nachgewiesen.

Die EU hat also alles richtig gemacht. Wenn es ein Problem gibt, dann allein auf nationaler Ebene – denn Deutschland und die anderen EU-Staaten sind für die Impfung und alle anderen Maßnahmen zuständig.

Auf Nachfrage, wie es sein könne, dass die Inzidenz in Deutschland nun höher sei denn je – trotz der „erfolgreichen“ Kampagne – bekomme ich keine Antwort. Zu einzelnen Ländern äußere man sich grundsätzlich nicht.

70 % reichen plötzlich doch nicht

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Eine neue Information gab es dann aber doch noch. Der Sprecher sprach sich für eine „möglichst vollständige“ Impfung der Bevölkerung aus. Das wären dann also 100 Prozent oder annähernd 100.

Offenbar macht sich auch in Brüssel die Einsicht breit, dass 70 Prozent nicht ausreichen, um der „Delta“-Variante Herr zu werden. Doch genau dieses Ziel hatte Kommissionschefin von der Leyen ausgegeben.

Seitdem es – wenigstens auf dem Papier – erreicht wurde, tut sie so, als sei ihr Job erledigt. Dabei misst sich der Erfolg nicht an (selbst gesteckten und offenbar variablen) Impfzielen, sondern am Ende der Pandemie.

Und das scheint weiter denn je…

Österreich und Belgien scheren aus

Zweifel nähren auch Meldungen aus anderen EU-Ländern. So plant Österreich, die Impfzertifikate nach neun Monaten auslaufen zu lassen, danach wird ein neuer Pieks fällig. Zu Beginn der Impfkampagne war davon keine Rede, auch nicht in Brüssel.

Und Belgien bereitet verpflichtende Booster-Impfungen für all jene vor, die mit Johnson&Johnson oder AstraZeneca geimpft worden sind. Indirekt räumt das Land damit ein, dass diese Vakzine nicht so effizient sind wie Biontech/Pfizer.

Auch davon war bisher keine Rede, nicht einmal bei den Wissenschaftlern von der EMA. Vielleicht wäre es an der Zeit, einfach mal zu sagen: Sorry, wir haben zu viel versprochen, es läuft nicht so gut wie erhofft?

Siehe auch „Zu viel versprochen, zu wenig durchgesetzt“. Mehr zur Coronakrise hier

P.S. Am Dienstagabend hält Frankreichs Macron eine Fernsehansprache. Dann dürfte es weitere „Korrekturen“ am Corona-Kurs geben – vermutlich mit Verfallsdatum für die Impfung, Booster, 2G oder 3G etc. pp

Watchlist

Wiederholt sich 2015 doch – in Polen? Diese Frage stellt sich angesichts der schweren Krise an Polens Grenze zu Belarus, wo mehrere hundert Migranten auf eine Gelegenheit zur Flucht in die EU bzw. nach Deutschland warten. Die Lage war am Montag eskaliert, EU-Kommissionchefin von der Leyen forderte neue Sanktionen gegen den weissrussischen Machthaber Lukaschenko.

Was fehlt

Die Krise der Ampel-Koalitionäre in Berlin. Weil die Verhandlungen stocken, drohen einige Grüne bereits mit einem Platzen der Koalition und mit Neuwahlen. Doch noch ist nicht alles verloren: EU-Ratspräsident Michel reist am Dienstag nach Berlin, wo er sich nacheinander mit Baerbock, Scholz und Lindner treffen will. Der Belgier hat Erfahrung mit schwierigen Koalitionsverhandlungen…