Corona trennt Berlin und Paris: Der nächste Riss
Nach Österreich und Deutschland haben nun auch Frankreich und Spanien ihre Pläne für eine Lockerung der Corona-Maßnahmen bekannt gegeben. Wichtigste Erkenntnis: Erst im Juni kehrt das Leben zurück – und durch die EU geht ein neuer Riß.
Wir machen zwei Wochen dicht, und dann geht alles ganz normal weiter. So war die Ansage im März, als ein Land nach dem anderen den Ausnahmezustand verhängte. Sechs Wochen später stellt sich die Lage völlig anders dar.
Europa ist nicht nur zum Epizentrum der Pandemie geworden, das mit fast 127.000 Corona-Toten (von 201.000 weltweit ) den größten Tribut zollen musste. Der alte Kontintent muß auch viel länger auf das Ende der Krise warten, als erwartet.
Erst im Juni, also nach zehn Wochen im Zeichen von Ausgangssperren, Grenzschließungen und anderen Notstands-Maßnahmen, dürfte sich das Leben in Europa einigermaßen normalisieren. Und das auch nur unter Vorbehalt.
Denn anders als Deutschland und Österreich haben Frankreich, Spanien und Belgien die schrittweise “Lockerung” unter Vorbehalt gestellt. Nur wenn die Zahl der COVID-19-Infizierten weiter zurückgeht, wird “geöffnet”.
Am Vorsichtigsten – und Differenziertesten – scheint dabei Frankreich vorzugehen. Hier beginnt das “Deconfinement”, also die Aufhebung der Maßnahmen, erst am 11. Mai, fast einen Monat nach Österreich und Deutschland.
Doch erst Anfang Juni soll wieder einigermaßen “normales” Leben einkehren, erklärte Premier Philippe am Dienstag. Ob dann auch Cafés, Restaurants und Hotels wieder geöffnet werden, ist allerdings immer noch offen.
Diese Entscheidung soll erst Ende Mai fallen, heißt es in Paris. Ähnlich vorsichtig zeigt sich die Regierung in Madrid. Erst Ende Juni werde Spanien in die “neue Normalität” entlassen – wenn die Lage es erlaubt, sagte Premier Sanchez.
Das Warten geht also weiter. Die Ungewissheit auch.
Klar ist bisher nur, dass die Coronakrise West- und Südeuropa wesentlich härter getroffen hat als Deutschland, Österreich und den Osten. Im Westen gab es nicht nur mehr Tote, die Rückkehr zur Normalität dauert auch länger.
Das bedeutet, dass sich ein neuer, schmerzhafter Riss auftut: Zwischen jenen Ländern, die nur kurz “dicht” gemacht haben und jetzt schon wieder hochfahren – und den anderen, die noch bis Juni warten müssen.
Dieser Riss trennt auch Berlin und Paris, mit allen negativen Folgen für den Euro und die Europapolitik. Dabei läuft der “deutsch-französische Motor” schon jetzt nicht mehr rund…
Siehe auch “Chronik des Versagens IX: Exit-Strategie” und “Wann endet dieser Alptraum – und wie?”
P.S. Die Bundesregierung will offenbar ihre strikte Warnung vor touristische Reisen bis mindestens Mitte Juni verlängern. Damit schwindet auch die Hoffnung auf die Sommersaison in Frankreich, Spanien usw. – Siehe auch “Sommerurlaub adé?”
European
1. Mai 2020 @ 11:55
Gestern wurde auf politico.eu ein interessantes statement von Thomas Piketty veröffentlicht, nachzulesen hier:
https://www.politico.eu/article/thomas-piketty-willing-eu-countries-should-spearhead-fiscal-union/
Ein sehr lesenswerter Artikel.
Kurz gesagt, sieht er keinen Grund, weshalb es nicht innerhalb der Eurozone gemeinsame Anleihen auch ohne Deutschland und die Niederlande geben sollte. So könnten Frankreich, Spanien, Portugal und Italien eine gemeinsame Anleihe auflegen und damit durch Frankreich einen niedrigeren Zinssatz bekommen.
Sehr schön auch dies hier:
“Rather than fueling inequality by competing aggressively with each other, European countries should move toward joint taxation and democratic governance.”
und das
“Piketty slammed the Dutch government for its bargain-basement corporate taxes, which he warned was nothing but a fiscal race to the bottom. “There is a lot of work showing that this kind of attitude, to steal, basically, the tax revenue of other countries, is not constructive. If we all do that —what do we do?”
Die EU hat 4 Steuerparadiese – Irland, Luxembourg, Niederlande, Malta – plus die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied mittendrin. Gestern gab es einen Monitor-Bericht über unsere Dax-Konzerne, die ALLE auch in Steuerparadiesen beheimatet sind, in Europa und außerhalb.
Kleopatra
29. April 2020 @ 07:57
Die Aussage, dass Europa weltweit die meisten Toten an dieser Krankheit zu verzeichnen habe, möchte ich unter einen riesigen Vorbehalt stellen. Erstens traue ich der VR China keinen Fingerbreit über den Weg: Wer sich nicht scheut, mit den eigenen Einwohnern umzugehen wie China mit den Uiguren, hätte sicher keine moralischen Probleme, dem Ausland gegenüber aus einer Million Toten zehntausend zu machen. China hat genügend totalitäre Kontrolle im Inland, dass gegenteilige Aussagen nicht verifiziert werden können, wenn die Führung dies nicht will. Daher ist kein Vergleich mit China möglich. Zweitens sind die Aussagen darüber, wieviel Menschen an dieser Krankheit sterben, sehr unsicher bis willkürlich. Manche Länder zählen alle Toten mit nachgewiesener Infektion, in manchen Ländern gibt es möglicherweise viele Tote, deren Todesursache vielleicht gar nicht untersucht wird. Deshalb ist jede Aussage über die Gefährlichkeit extrem unsicher. Man kann auch nicht sagen, ob die „Maßnahmen“ einen Nutzen gebracht haben; denn man hat keine „Kontrollgruppe“. Drittens muss man seriöserweise die „Kollateralschäden“ der „Maßnahmen“ dazuzählen, und von denen dürfte ein sehr hoher Teil in der Dritten Welt anfallen.
Wenn in der EU die südeuropäischen Staaten sehr viel schwerer betroffen sind as Mittel- und Nordeuropa, liegt das vielleicht daran, wie gut (oder schlecht) das Krankenhauswesen ausgebaut ist. Man spart eben nicht folgenlos Sozialeinrichtungen zusammen wie seit der Eurokrise (und wir wissen alle, wer das Sparen gefordert hat). Deutschland hat pro Kopf der Bevölkerung ein Mehrfaches an Intensivpflegeplätzen in Krankenhäusern im Vergleich zu z.B. Italien, und das (was in normalen Zeiten als Überkapazität beschimpft wird) dürfte in den letzten Wochen den entscheidenden Unterschied ausgemacht haben.
Osteuropa ist möglicherweise wegen seiner geringeren Integration in die Weltwirtschaft gegenüber einer Pandemie von vornherein weniger exponiert als der Westen. Interessanterweise besteht ein solcher Zusammenhang anscheinend selbst in Deutschland, wo Ostdeutschland viel schwächer betroffen ist. Keine Rede also davon, dass sich das Virus „nicht um Grenzen kümmert“: es scheint sogar in gewisser Weise auf die seit dreißig Jahren nicht mehr bestehende „Zonengrenze“ zu reagieren.
Ob in einem Land rigide Maßnahmen verhängt wurden oder laxe, und ob sie rasch oder sehr zögerlich aufgehoben werden, scheint erst recht von den lokalen Traditionen und dem Charkter der Führungspersonen abzuhängen, wirklich objektive Gründe gibt es m.E. nicht (und es kann sie zu jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht geben, da man die Krankheit erst in Umrissen kennt). Paradoxerweise ist man aber in den meisten Ländern davon überzeugt, dass die eigene Reaktion die richtige und optimale ist.
Holly01
29. April 2020 @ 08:38
” Paradoxerweise ist man aber in den meisten Ländern davon überzeugt, dass die eigene Reaktion die richtige und optimale ist. ”
Es zeichnet sich ab. Der Verlauf ist nur begrenzt aggressiv. Die Kurve (scheint!!) unabhängig von den Maßnahmen nach 3 Zyklen a 14 Tage ( grob 42 Tage) abzuflachen. Ganz uns gar ohne Herdenimmunität.
Da zeichnet sich auch noch ein völlig anderes Problem mit einer ganz und gar anderen Dimension bevor:
” https://www.stalkerzone.org/the-us-is-preparing-to-default-on-debts-owed-to-china/ ”
und
” https://linkezeitung.de/2020/04/18/die-usa-bereiten-sich-auf-das-ende-der-schuldenzahlungen-an-china-vor/ ”
Das macht durchaus Sinn.
Die Notenbanken bereiten sich auf die Übernahme ALLER staatlichen Schuldemissionen vor.
Das nennt sich “Aufkaufprogramm”.
Da stellen sich nur 2 Fragen:
Warum sollte irgendjemand noch reale Werte (Waren und Dienstleistungen) gegen wertloses Geld tauschen?
Nach Japan und China, wer ist der Nächste? Da ist nur noch Deutschland ( als Inhaber großer Auslandsguthaben, also Dollarguthaben) ….
Die Amis sind keine Bank, die Amis zahlen nicht aus.
vlg
ebo
29. April 2020 @ 09:23
Meine Quelle ist “Le Monde”. https://www.lemonde.fr/planete/article/2020/04/29/coronavirus-215-000-morts-dans-le-monde-plus-d-americains-tues-que-dans-la-guerre-du-vietnam_6038069_3244.html
Das Blatt meldet auch, in den USA seien mehr Menschen an COVID-19 gestorben als während des Vietnam-Kriegs.
Komisch, dass man das in deutschen Zeitungen nie liest…
Harry
29. April 2020 @ 10:28
Nur wenn man Nichtamerikaner als >Nichtmenschen bezeichnet.
Kleopatra
29. April 2020 @ 11:08
Man kann das mit vielem vergleichen, mich erstaunt eher, dass die USA so wenige Gefallene im Vietnamkrieg hatten. Fünfstellige Zahlen von Todesfällen sind schon in Deutschland in einer Grippesaison nichts ungewöhnliches (an der Hongkong-Grippe sind in Westdeutschland etwa 40000 gestorben, also eine ähnliche Größenordnung wie gegenwärtig in den USA an bzw. mit COVID19), und dennoch ist die Grippeimpfung in Deutschland nicht für alle kostenlos.
Holly01
29. April 2020 @ 07:47
Das RKI kann die Reproduktion jetzt auf eine Stelle hinter dem Komma genau berechnen.
Uff, bin ich froh, das Problem der statistischen Erfassung ist offensichtlich gelöst ……
vlg