Gefangen in Hotel California – Selbstmord wegen Selmayr?

Fast 1000 Tage ist es her, dass die Briten für den EU-Austritt gestimmt haben. Doch der Brexit ist immer noch nicht in Sicht, diese Woche könnte die EU sogar eine Verzögerung beschließen. Auch das Verhältnis zu China wird zum Thema – und dann ist da noch der “Fall Selmayr” mit einem neuen, bösen Verdacht.

„Spiel auf Zeit – wann endet das Brexit-Chaos?“ Über diese Frage habe ich am Sonntag im ARD-Presseclub diskutiert. Die Kollegen von Handelsblatt, FAZ und Zeit plädierten dafür, die Briten in der EU zu halten und ihnen Zeit zum „Nachdenken“ zu geben.

Mich erinnert das an „Hotel California“. „You can check out any time you like. But you can never leave“, sangen die Eagles. Die Briten haben längst aus der EU ausgecheckt. Doch austreten und das Zimmer frei machen können sie immer noch nicht. Dabei wird es höchste Zeit.

Schon seit drei Jahren hat die EU den nach dem Brexit-Referendum versprochenen Neustart verschleppt. Die Reform-Blockade umfasst mittlerweile alle wichtigen Politikbereiche – von der Flüchtlingspolitik über den Euro bis hin zur Steuerpolitik, Stichwort Digitalsteuer.

Nichts geht mehr – und nun könnte der Brexit auch noch die Europawahl überschatten. Wenn die Briten nicht rechtzeitig austreten, müssen sie neue Abgeordnete wählen. Dann steht ihnen auch ein EU-Kommissar zu – und Mitsprache bei der EU-Agenda für die nächsten fünf Jahre.

Deshalb macht sich Unruhe breit im “Hotel California”. Man will die Briten nicht ziehen lassen – doch mitreden sollen sie möglichst auch nicht mehr. Der mächtige Generalsekretär der EU-Kommission, Martin Selmayr, denkt sogar schon über eine Art Stillhalteabkommen nach.

Wenn Premierministerin Theresa May beim EU-Gipfel am Donnerstag einen Aufschub beantragt, dann soll sie gleichzeitig auf Mitspracherechte verzichten – für den Fall, dass UK länger in der EU bleibt. Doch das ist politisch heikel und rechtlich fragwürdig.

Es zeigt, wohin es führt, wenn man den umstrittenen Austrittsvertrag nicht antasten will, gleichzeitig aber einen No Deal – also einen Austritt ohne Vertrag – verhindern möchte: In eine Sackgasse. Der Brexit wird zur Falle, die auch die Kräfte der Europäer bindet und jeden Aufbruch verhindert.

Die EU befindet sich in einem ernsten Zielkonflikt: Selbst wenn es vernünftig erscheint, einen „No Deal“ zu vermeiden, so müssen Merkel & Co. doch auch verhindern, dass die EU-Institutionen lahmgelegt werden. Oder wollen sie den Status Quo um jeden Preis halten?

Nein, da halte ich es lieber mit Churchill. Der meinte, die Zukunft gehöre den “Vereinigten Staaten von Europa” – aber ohne UK. Wenn man diese Vision ernst nimmt, muss man den Brexit so schnell wie möglich zu Ende bringen, zur Not auch ohne Deal.

Lasst die Briten ziehen – und bringt “Hotel California” endlich auf Vordermann!

Siehe auch “Brexit-Chaos: Plötzlich bröckelt die Einheit”

Watchlist

  • Kurz vor dem EU-Gipfel wollen die EU-Außenminister ihre Haltung zu China klären. Die EU-Kommission hat schon einen ersten Aufschlag gemacht, in dem das Reich der Mitte als systemischer Rivale bezeichnet wird. Die Chefdiplomaten treffen Chinas Außenminister, doch Beschlüsse sind noch keine geplant – die wollen sie wohl den Chefs überlassen. Die Staats- und Regierungschefs treffen sich am Donnerstag in Brüssel.

Was fehlt

  • Hat sich eine hohe Beamtin der EU-Kommission wegen der umstrittenen Blitz-Beförderung des deutschen Juristen Martin Selmayr zum Generalsekretär der EU-Kommission das Leben genommen? Diese Frage wirft eine Enthüllungsstory des französischen EU-Korrespondenten Jean Quatremer auf, der auch das “Selmayr-Gate” aufgedeckt hatte. Die FAZ berichtet zudem von Mobbing. Eine Entgegnung der EU-Kommission steht hier.

Siehe auch mein E-Book: “Game over – Das Selmayrgate und das Ende der ‘Politischen Kommission'”