Chaos um Syrien, Ruf nach Stahlgipfel – und Merz macht Wahlkampf in Kiew
Die Watchlist EUropa vom 10. Dezember 2024 – Heute mit dem Durcheinander in der europäischen Außen- und Migrationspolitik, der nächsten Industriekrise und Neuigkeiten von Taurus
Die neue EU-Kommission hat ihren ersten großen geopolitischen Test nicht bestanden. Der Umsturz durch islamistische Milizen in Syrien offenbart: Von der Leyen und ihre neue Außenbeauftragte Kallas wurden kalt erwischt.
Das Versagen hat sich schon am Wochenende abgezeichnet. Erst fehlten Kallas die Worte, dann äußerte sie Schadenfreude über die vermeintliche Niederlage für Russland und den Iran. Schließlich fuhr ihr auch noch von der Leyen in die Parade.
Damit wiederholt sich das außenpolitische Gezerre der alten EU-Kommission, wo von der Leyen, Ex-Außenminister Borrell und Ex-Ratspräsident Michel um die Deutungshoheit rangelten. Genau wie damals will VDL auch jetzt wieder das letzte Wort haben.
Streit über “Re-Migration”
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Doch in der Sache zu sagen hat sie – nichts. Von der Leyens Sprecher hatten weder eine Antwort auf die Frage, wie denn nun die Islamisten der HTS einzuschätzen sind – noch wollten sie sich zu möglichen Folgen für die Migrationspolitik äußern.
Die Folge: Chaos in der EU. Österreich kündigte einen Abschiebeplan für syrische Flüchtlinge an, Griechenland hofft auf ihre freiwillige Heimkehr. Deutschland, Schweden, Dänemark, und Norwegen setzen Asyl-Entscheidungen aus, Frankreich will folgen.
Koordinierung auf EU-Ebene? Fehlanzeige. Eine Position des neuen EU-Migrationskommissars Brunner? Gibt es offenbar noch nicht. Beim Treffen der Innen- und Justizminister am Donnerstag in Brüssel droht Streit über die “Re-Migration”.
Wer stoppt Erdogan?
Die EU hat keinen Plan und ist nicht einmal in der Lage, das Offensichtliche zu erkennen: Dass es jetzt gilt, Israel und die Türkei im Zaum zu halten. Israel rückt in Syrien vor und bombardiert “strategische” Stellungen, die Türkei erhebt Gebietsansprüche in Nordsyrien.
Beide Länder untergraben damit die Souveränität des “freien” Syriens und seine territoriale Integrität. In der Ukraine ist die EU bereit, für diese “heiligen” Prinzipien in den Krieg zu ziehen – im Nahen Osten sind sie ihr bisher nicht einmal der Rede wert.
Dabei ist die Türkei doch immer noch EU-Beitrittskandidat und Nato-Partner. Doch auf die naheliegende Idee, Sultan Erdogan zur Ordnung zu rufen, kommt in Brüssel niemand. Stattdessen telefonierte von der Leyen mit dem König von Jordanien…
I strongly recommend you to immediately call Erdogan & discuss the most urgent issues of common interest for the EU and Türkiye before it‘s too late. That should have been call number 1 for EU given the vastly changing circumstances. Are there no strategists in whole of Brussels? https://t.co/MBspFJMwVU
— Velina Tchakarova (@vtchakarova) December 9, 2024
News & Updates
- Ruf nach europäischem Stahlgipfel. Kanzler Scholz will sich auf EU-Ebene für eine Stärkung der kriselnden Stahlindustrie einsetzen. Scholz setze sich für einen zeitnahen europäischen Stahlgipfel ein, teilte Regierungssprecher Hebestreit nach einem deutschen Branchentreffen in Berlin mit. Es brachte keine greifbaren Ergebnisse.
- Entwarnung in der Eurogruppe. Trotz der Regierungskrise in Frankreich haben sich die Finanzmärkte wieder beruhigt. Die hohen Schulden und die großen Spreads lösen keine Krise aus – vorerst. “Wir sehen, dass die Märkte sehr ruhig reagieren”, sagte Interims-Finanzminister Kukies beim Treffen der Eurogruppe in Brüssel. – Mehr im Blog
- Neue Milliardenhilfe für die Ukraine. Der Rat der EU hat die Auszahlung von 4,1 Mrd. Euro für die Ukraine freigegeben. Kiew habe wichtige Reformen umgesetzt, hieß es. Es geht um neue Verwaltungskapazitäten zur Korruptionsbekämpfung sowie ein Gesetz zur Vermeidung der industriebedingten Umweltverschmutzung. Dafür gibt es Milliarden?
Das Letzte
Merz macht Wahlkampf in Kiew. Der Kanzlerkandidat von CDU/CSU hat seinen Wahlkampf mit einem Besuch in Kiew eröffnet. Dabei sagte er Präsident Selenskyj erneut das deutsche Taurus-System zu – allerdings erst nach einer entsprechenden Ausbildung ukrainischer Soldaten, die mehrere Monate dauert. In der Praxis rückt Merz damit von seiner Forderung nach einer sofortigen Taurus-Lieferung ab. Anders als Kanzler Scholz vor einer Woche kann er auch keine anderen, zusätzlichen Waffenlieferungen zusagen. Kleiner Trost: Der Mann von Blackrock, der noch nie Minister oder Kanzler war, traf in Kiew auch den estnischen Ministerpräsidenten Kristen Michal – und konnte sich so zumindest für einen Moment auf Augenhöhe mit Scholz fühlen…
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Monika
10. Dezember 2024 @ 10:52
Souveränität des “freien” Syriens ?
Wenn Isreal zu seinen völkerrechtswidrig besetzten Gebieten und Siedlungen auf den Golanhöhen sich unter dem Schlachtruf “präventive Selbstverteidigung” jetzt umstandslos auch noch die von den UN beaufsichtigte Pufferzone militärisch erobern darf, wenn die Türken ihr neues osmanisches Reich unwidersprochen “bombastisch” arrondieren können, wenn die USA sich weiterhin über ihre “Stützpunkte” die völkerechtswidrige Plünderung der wirtschaftlichen Resourcen des “befreiten Syrien” ohne scharfen Widerspruch der Weltgemeinschaft militärisch-gewaltsam “absichern” kann, wenn die Stützpunkts-Verträge mit den Russen weiterlaufen sollen, nebenbei von allen die Lust verspüren zu bomben und sich “berufen fühlen” auch noch “der IS” bekämpft wird,
wieviel Syrien ist dann überhaupt “befreit”, für wie lange und von wem genau?
Syrien “wird den Weg gehen” MÜSSEN den der wertliche Westen auferlegt, und den Libanon, Irak, Lybien und viele afrikanische und südamerikanische und asiatische Staaten schon “gegangen worden sind”.
Jordanien, Ägypten, Iran und die restlichen noch zu “demokrtisierenden” Staaten stehen ganz oben auf der Liste der zu ruinierenden Staaten, irgendwo muss der völlig wahnsinnig aufgeblähte Militärisch-Industrielle-Komplex ja seine Resourcen stehlen, seine “hochwertigen” Produkte verkaufen, seinen Reibach mit Hilfsmaßnahmen und “Wiederaufbau” machen können.
Merke: Der freie Westen ist frei nur durch die Macht zur Vernichtung anderer Völkerschaften.
Dumm nur, dass sich die Sache mit dem Ruinieren jetzt auch schon auf wertewestliche Verbündete ausgedehnt hat, da die “führende Nation” in ihrer “von Gott wohlwollend unterstützten Einzigartigkeit” den Hals niemals voll kriegen kann.
Denn sie ist schlicht zu dumm-borniert um ihr Modell zu Ende zu denken.
Stef
11. Dezember 2024 @ 09:05
“Denn sie ist schlicht zu dumm-borniert um ihr Modell zu Ende zu denken.”
In der Tat drängt sich der Eindruck einmal mehr auf, dass hier gar nichts mehr zu Ende gedacht wird. Während vdL die territoriale Integrität Syriens beschwört, werden zwischen Türkei, Kurden, Israel und den anderen Interessensträgern die Fliehkräfte wirksam. Während Deutschland sich anschickt Flüchtlinge zurück zu schicken (und sich wundert, dass sie nicht freiwillig in ein kollabierendes und von Islamisten erobertes Land zurück wollen), könnte sogar eine neue Flüchtlingswelle aus Syrien bevorstehen. Die Türkei erweckt den Eindruck, dass sie einen Umsturz von diesem umfassenden Ausmaß dann doch nicht wollte. Und die USA sind derzeit ohnehin im Übergang und ohne auch nur mittelfristigen Gestaltungsanspruch.
Nimmt man das zusammen, ist die Politik des Westens eher auf systematische Destabilisierung gerichtet. Zu einer Gestaltung der Ordnung im eigenen Interesse ist der Westen jedenfalls außerhalb seiner Kernländer derzeit nicht mehr in der Lage. Man müsste diese unausgesprochene Strategie am ehesten als “Containment des drohenden Multilateralismus durch Chaos” bezeichnen.
Ob sich das unter Trump ändert, mag man abwarten. absehbar ist für mich, dass es sich allenfalls für und zu Gunsten der USA ändert. Am Vasallenstatus Europas können wir nur selbst etwas ändern und dafür sehe ich keine Anzeichen. Damit wartet wohl eher mehr Chaos auf uns.
Michael
10. Dezember 2024 @ 08:01
Ein Merz als Kanzler? Armes Deutschland!
Helmut Höft
10. Dezember 2024 @ 08:36
Auf Scholz folgt Merz, Ergebnis: SchMerz! *Prost*
ebo
10. Dezember 2024 @ 08:47
Gutes Wortspiel!