Cameron hat Merkels EUropa verzockt
Trotz hoher Wahlbeteiligung hat das Brexit-Lager in UK gewonnen. Das ist eine Überraschung, denn zuletzt sah es noch nach einem Sieg von Remain aus. Wie konnte es so weit kommen?
Klar ist, dass sich Premier Cameron verzockt hat. Er hat einen innerparteilichen Streit bei den Tories auf dem Rücken der gesamten EU ausgetragen. Es war die verrückteste Wette aller Zeiten.
Verrechnet haben sich aber auch alle, die Camerons Spiel mitgemacht haben. Die EU hätte sich nie erpressen und zu weiteren Extrawürsten bereit erklären dürfen. Der Februar-Gipfel war ein Fehler.
Nun rächt es sich, dass die EU den Briten keine eigenes Reform-Angebot gemacht hat. Und es rächt sich, dass der Preis für den Austritt nicht festgelegt wurde. Darum entbrennt nun die nächste Schlacht.
Verrannt hat sich aber auch Kanzlerin Merkel. Sie war die treueste Freundin Camerons. Sie hat ihm den roten Teppich ausgerollt, um das deutsche Europa zu sichern . Die Umarmung hat nichts genützt.
Womöglich hat Merkel ihrem Buddy sogar geschadet – mit ihrem Alleingang in der Flüchtlingspolitik. Dies meint jedenfalls Prof. A. Glees, mit dem ich in der Phoenix-Runde diskutiert habe.
Denn letztlich hat das Brexit-Lager mit der Angst vor Migration gepunktet…
Skyjumper
24. Juni 2016 @ 11:11
Und bereits rund 4 Stunden nach der Bekanntgabe des Ergebnisses kann man bereits sehen wie an den Börsen die Übertreibungen abflachen. In den letzten 24 Stunden wurden Vermögen gemacht und Vermögen verzockt, gerade an den Terminbörsen.
Das die EU die Chance begreifen und ergreifen würde die fraglos in diesen (für mich) überraschenden Ergebnis zu finden ist, steht leider nicht zu erwarten. Im Gegenteil.
Statt zu tun was den Bürgern der EU und Großbritanniens am meisten nützen würde, nämlich nach Wegen zu suchen wie GB am besten und umfassensten in den Binnenmarkt integriert bleiben kann, scheint man auf Seiten der EU intensiv darüber nachzudenken wie man den Briten am besten in die Suppe spucken könnte. Natürlich damit die Briten bloß nicht noch Erfolge in der Wirtschaft erreichen und damit endgültig zum Vorbild werden könnten. Letztlich also ideologische Gründe, und wie so oft werden ideologische Kämpfe auf den Rücken der Menschen ausgetragen. In diesen Fall der Arbeitnehmer in der EU und in GB.
Das Ergebnis des Brexit-Referendums entspricht ganz meinen Hoffnungen. Der bisherige (verbale) Umgang mit dem Ergebnis entspricht aber meinen Befürchtungen. Ein sehr gespaltener Tag. Ein Triumphgefühl mag nicht so richtig aufkommen.
kaush
24. Juni 2016 @ 11:09
„Denn letztlich hat das Brexit-Lager mit der Angst vor Migration gepunktet…“
Nein, die aktuelle Situation geht schon vielen Briten gewaltig gegen den Strich.
Mir hat letzte Woche eine Schottin gesagt:
Die (Ausländer) vermehren sich wie die … und kassieren für jedes Kind Geld vom Staat. Die Kinder gehen auf Staatskosten in den Kindergarten, in die Schule. Die Frauen bleiben Zuhause (manchmal die Männer auch) und lernen unsere Sprache nicht.
Dann hat sie noch hinzugefügt: Ich habe Freunde in Deutschland, in Köln. Die sagen mir das es bei euch das gleiche ist.
Das hat nichts mit Angst, sondern mit massiver Unzufriedenheit schon mit der aktuellen Situation zu tun.
Das dann den Leuten bei der Aussicht auf noch mehr Wirtschaftsflüchtlinge, die unkontrolliert in die EU strömen die Hutschnur platzt, ist doch logisch.
Für die Eliten, die keine Inder, Schwarzen, oder Türken als Nachbar haben, vielleicht schwer nachzuvollziehen.
Was sie aber dann mit Machtverlust bezahlen werden.
Lina
24. Juni 2016 @ 10:41
AUSTERITÄT
ist Grund Nr 1, der die EU zerstören wird.
Mal etwas länger darüber nachdenken, wie das mit der Flucht zum Nationalismus zusammenhängt.
Peter Nemschak
24. Juni 2016 @ 12:12
Sie glauben wohl, dass mit weiter steigenden Staatsschulden die Probleme der Globalisierung und Roboterisierung gelöst werden können. Die Linken haben ebenso wie die Rechten stets einfache Lösungen für komplexe Probleme. Wie soll, wie die Rechten vorspiegeln, der Nationalismus die Probleme benachteiligter Schichten lösen können? Von den politischen Rändern kommen derzeit keine überzeugenden Lösungen. Es wäre an der Zeit, dass die Mitgliedsstaaten und die EU den Menschen erklären, dass die Vorteile der EU bei weitem die Nachteile überwiegen. Sollte auf Druck der Rechten die Binnenmigration beschränkt werden, werden ganze Industrien abwandern, vornehmlich nicht in andere Länder der EU sondern nach Asien. Europa muss in der Wissensgesellschaft punkten, um Arbeitsplätze in Europa zu schaffen. Freier Zugang zur Bildung sollte daher selbstverständlich sein und in den Grundrechtskatalogen der Mitgliedsländer verankert werden.
DerDicke
24. Juni 2016 @ 10:11
Glückwunsch liebe Engländer, einer muss den Anfang machen. Bin gespannt wann die Franzosen eine Abstimmung fordern, ich vermute diese würde für die EU noch katastrophaler ausgehen.
Und vielen Dank an die EU-Institutionen und besonders auch den deutschen Finanzminister, mit Drohungen von außen kann man ein Volk noch immer am besten zusammenschweißen.
Peter Nemschak
24. Juni 2016 @ 09:31
Die Schotten werden sich den Verbleib im UK von London teuer abkaufen lassen. Dass die Mehrheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung, vor allem den Zukunftsaussichten, unzufrieden ist, scheint übertrieben, aber eine nicht mehr zu übersehende und lauter werdende Minderheit ist es allemal. Dass sich durch den Brexit die wirtschaftliche Lage der Massen in Großbritannien verbessern wird, ist nicht zu erwarten. Es ist anzunehmen, dass die wirtschaftlichen Eliten diesseits und jenseits des Ärmelkanals versuchen werden, den wirtschaftlichen Schaden durch den Brexit zu minimieren. Mir scheint unwahrscheinlich, dass Frankfurt die City of London als Finanzzentrum Europas ablösen wird. Dazu bedürfte es einer liberalen Grundeinstellung, die dem korporatistischen Deutschland fehlt. Umgekehrt hat Großbritannien, ehemals Vorreiter der industriellen Revolution, längst seine industrielle Mentalität gegen eine Rentiermentalität eingetauscht und übersehen, dass es sein Weltreich verloren hat. Der Brexit wird in Großbritannien die nach wie vor bestehende Klassengesellschaftsmentalität eher konservieren als auflösen.
S.B.
24. Juni 2016 @ 08:42
Herzlichen Glückwunsch an die Briten! Aus meiner Sicht habt ihr die richtige Entscheidung getroffen.
Ich fahre jeden Morgen in der S-Bahn zusammen mit einer (gut integrierten ;-)) Engländerin, die kurz vor der Rente steht. Sie hätte auch für den Brexit gestimmt, war aber nicht stimmberechtigt, da sie schon lange in D lebt. Ihre Argumente waren übrigens mangelnde Demokratie, übertriebene Regelungswut (Fremdbestimmung) und das die EU-Parlamentarier und -Bürokraten in Brüssel machen würden, was sie wollen, aber nicht das was sie sollen.
Letztes Wochenende war sie noch zu einem Klassentreffen in England. Auch sie konnte bestätigen, dass – etwas verallgemeinert – die gereifteren (also die älteren) Briten für den Brexit sind und die ungereifteren (also die jüngeren) dagegen. Irgendwie hat die Entscheidung also auch etwas mit Lebenserfahrung zu tun.
Nun ist es so, wie es ist. Schaun mer mal, wie die weitere Entwicklung aussieht. Es bleibt spannend. Wenn man sich die labile Gesamtlage in nahezu jeder Hinsicht anschaut, allerdings leider nicht im positiven Sinne.
GS
24. Juni 2016 @ 09:34
Nunja, ich kann den Argumenten des Brexit-Lagers hinsichtlich Demokratie durchaus folgen, aber von reiferen Einsichten bei älteren Wählern eher nicht. In den meisten Ländern wird systematisch Politik gegen die Jungen gemacht. Deutschland ist da auch ein Paradebeispiel. Und das hat nichts mit der Reife der Alten oder gar zukunftsfähiger Politik zu tun, sondern mit Macht der Alten an der Wahlurne.
S.B.
24. Juni 2016 @ 11:27
Das mit der Politik der Alten gegen die Jungen kann ich nachvollziehen. Allerdings denke ich nicht, dass dies etwas mit der EU zu tun hat. Das sind nationale Entwicklungen aufgrund der demographischen Entwicklung. Oder sehen Sie irgendwo, dass sich die EU besonders für die Jungen und gegen die Alten einsetzt? Für mich wurde bisher nur deutlich, dass sich die EU für die Groß- und Finanzindustrie einsetzt und das zulasten von Otto-Normal-Verbraucher, der dafür zu zahlen hat.
Peter Nemschak
24. Juni 2016 @ 09:36
Die EU zu verteufeln ist übertrieben. Sie bietet zweifellos wirtschaftliche Vorteile. Durchaus möglich, dass es zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten kommen wird. Will Frankreich nicht weiter hinter Deutschland zurückfallen, wird es gut daran tun, gemeinsam mit Deutschland die Integration voranzutreiben, auch um den Preis dabei nicht unbedingt die erste Geige zu spielen.
Andres Müller
24. Juni 2016 @ 08:18
Interessant ist auch dass sich diesmal die Buchmacher gewaltig verzockt haben, die Wetten gegen den Austritt passen nicht mit dem Wahlergebnis zusammen. Die klassischen Umfrage-Institute lagen diesmal näher am Ergebnis als die Zocker, die hier buchstäblich aufs falsche Pferd gesetzt hatten.
Und warum taten sie das?
Ich interpretiere das so; weil im Normalfall bei den Buchmachern die Ergebnisse so ausgehen wie sich das die Finanzinstitute und Investoren zu ihrem Vorteil wünschen, also zu Gunsten der “ freien Märkte“.Die (vor allem die zuvor noch unentschlossenen) Wähler haben aber offenbar anders entschieden. Vermutlich gab es in Britannien sehr viele Verlierer in den letzten Jahren infolge der antisozialen Spar-Politik, die Versprechungen der mächtigen Finanzlobby sind nicht eingetroffen, die Verarmung der Mittelschicht greift um sich. Den offiziellen Statistiken über den Zustand der britischen Wirtschaft (wozu ich auch die arbeitende Bevölkerung zähle) ist nicht zu trauen.
Das Wahlergebnis deutet auch darauf hin das die üblichen Methoden um den Zustand eines Landes zu bemessen wie etwa das BIP, keine für das gesamte Volk wichtigen Indikatoren mehr sind, was wohl von der gestiegenen Ungleichheit in Vermögen und Einkommen verursacht wird. Der BIP sagt nicht mehr viel aus, weil nur noch sehr Wenige davon profitieren.
Das Wahlergebnis in Britannien zeigt meiner Ansicht auch auf, das die Bevölkerung auch in anderen Ländern unzufriedener mit der EU „Wirtschaftsregierung“ sein könnte als die Mainstream Presse dies vermelden will. Was wäre wenn man in Deutschland oder Italien wie in Britannien wählen könnte?
Jetzt kommt es noch darauf an ob das Endergebnis der Wahl sehr eindeutig ausfällt oder nicht zu Gunsten des Austritt. So wie ich das sehe könnten die Politiker in Anbetracht der ungleichen Mehrheitsverteilung (z.B. Irland Schottland wollen in EU verbleiben) den Austritt stark verzögern oder sogar blockieren. Die Argumente dazu hätten Sie in diesem Fall.
Wie im Fall von Griechenland kann das Referendum von der Politik einfach ausgetrickst werden, falls gewisse Argumente wie „wir wollen die Schotten nicht verärgern“ im Nachhinein erfolgreich verbreitet werden könnten.
GS
24. Juni 2016 @ 09:25
Nicht die Buchmacher haben sich verzockt, sondern diejenigen, die dort Wetten abgegeben haben. Für die Buchmacher selbst sind die Geschäfte wahrscheinlich blendend gelaufen.
Andres Müller
24. Juni 2016 @ 10:56
das ist auch wieder wahr 🙂
Peter Nemschak
24. Juni 2016 @ 08:16
Einmal etwas Neues oder doch nicht so neu. Großbritannien war nie wirklich Mitglied der EU. Europa wurde im britischen Denken stets mit Kontinentaleuropa verknüpft. Daran hat auch der Eurotunnel nichts geändert. Das Ringen um die zukünftige ideologische Ausrichtung Europas wird auch ohne England in der EU weiter gehen.
GS
24. Juni 2016 @ 08:05
Und wieder einmal haben die Meinungsumfrageinstitute daneben gelegen. In den letzten Jahren hat sich etwas verändert. Hohe Wahlbeteiligung bedeutet nicht mehr, dass der status quo begünstigt wird. Hohe Wahlbeteiligung führt zunehmend ungewünschten Ergebnissen, siehe auch die Landtagswahlen zuletzt in Deutschland. Und das sagt wiederum sehr viel über die Zufriedenheit der Bevölkerung mit den politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen aus. Es wird Zeit, dass sich die politisch Verantwortlichen endlich auch mal damit beschäftigen…