Brüssel gegen Warschau, Weber nach Berlin – und Milliarden für Ankara

Die Watchlist EUropa vom 08. September 2021 –

Der Streit zwischen der EU-Kommission und Polen über den Rechtsstaat und die polnische Justizreform eskaliert. Die Brüsseler Behörde griff zu einem selten genutzten Mittel und forderte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg auf, eine Geldstrafe zu verhängen.

Zudem hält sie Milliardenzahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds für Polen und Ungarn zurück.

“Die Justizsysteme in der EU müssen unabhängig und fair sein”, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Deshalb habe sie sich zu dem ungewöhnlichen Schritt entschieden. Die Kommission will erreichen, dass eine 2018 geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht abgeschafft wird.

Der EuGH hatte am 14. Juli geurteilt, die Kammer müsse ihre Arbeit einstellen. Die Regierung in Warschau hatte sich dazu auch bereit erklärt, allerdings erst zum Jahresende. Sie hoffte wohl auf einen Kompromiss – und reagiert nun umso harscher auf den unerwarteten Vorstoß aus Brüssel.

Scharfer Protest aus Polen

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“Die Europäische Kommission blockiert auf ungesetzliche Weise Geldmittel für Polen und beantragt Geldbußen“, schrieb der stellvertretende Justizminister Sebastian Kaleta. Die Regierung könne nicht einfach die umstrittene Disziplinarkammer schließen, heißt es in Warschau, schließlich sei die Justiz unabhängig.

Demgegenüber betont die EU-Kommission, sie habe Polen genug Zeit gegeben, das Urteil des EuGH umzusetzen. Da sich die Regierung nicht bewegt habe, sei man nun gezwungen, den nächsten Schritt zu tun und eine Geldstrafe zu fordern.

Allerdings ist unklar, wie hoch diese Sanktion ausfallen soll – und was passiert, wenn Polen nicht einlenkt. Die EU-Behörde wollte auch auf Nachfrage keine Details nennen. Über die fälligen Summen entscheide das höchste EU-Gericht, heißt es in Brüssel.

Der EuGH könnte tägliche Geldstrafen gegen Polen verhängen. Sie würden so lange fällig, bis Warschau sich dem EU-Urteil beugt. Für dicke Luft zwischen Brüssel und Warschau sorgt auch der Corona-Aufbaufonds.

Milliarden zurückgehalten

Die EU-Kommission hält mit Verweis auf ungeklärte rechtsstaatliche Probleme die vereinbarten Milliardenzahlungen zurück. “Wir schauen uns auch das Problem der Vorrangigkeit von EU-Recht an und seine potenziellen Auswirkungen für den polnischen Aufbauplan”, sagte EU-Finanzkommissar Valdis Dombrovskis.

Polen stehen aus dem schuldenfinanzierten EU-Programm insgesamt 40 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten zu. Auch Ungarn muß auf „seine“ Finanzspritze warten.

“Natürlich schauen wir uns auch Rechtsstaatsbedenken an, die im Fall von Ungarn identifiziert wurden”, sagte Dombrovskis. Wann die Prüfung abgeschlossen wird, ließ er offen.

Die EU-Hilfen für den Wiederaufbau sind an den neuen Rechtsstaat-Mechanismus gebunden. Dagegen hatten jedoch Polen und Ungarn vor dem EuGH geklagt. Ein Urteil wird in den nächsten Wochen erwartet.

Wenn der Mechanismus von den Richtern bestätigt wird, hätte die EU-Kommission ein weiteres Mittel in der Hand, um gegen die autoritären Regierungen in Warschau und Budapest vorzugehen. Dann wird der Streit weiter eskalieren…

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Watchlist

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Was fehlt

Neue Milliardengeschenke für die Türkei und andere EU-Kandidaten. Sieben Länder mit offizieller Perspektive auf einen EU-Beitritt sollen bis Ende 2027 rund 14,2 Milliarden Euro an sogenannter Heranführungshilfe erhalten. Dies haben die Mitgliedsstaaten beschlossen. Sie ignorieren dabei, dass sich die Türkei über so gut wie alle EU-Regeln hinwegsetzt und sogar Mitglieder wie Zypern oer Griechenland bedroht!