Brexit: Was die EU lieber (noch) nicht sagt
Wie geht es nach dem Debakel beim Brexit-Vote in London weiter? Offiziell hält sich die EU-Kommission noch bedeckt. Dabei plant sie bereits zwei unpopuläre Maßnahmen. Auch Kanzlerin Merkel ist schon aktiv.
Die Kanzlerin habe der britischen Premierministerin May Hilfe angeboten, falls der EU-Deal im britischen Unterhaus durchfällt, berichtete die “Sun” unter Berufung auf Regierungskreise.
Dazu gehöre es, den irischen Ministerpräsidenten Varadkar davon zu überzeugen, einem Enddatum für die umstrittene Notfalllösung für die Grenze zur britischen Provinz Nordirland zuzustimmen.
Merkel hat das zwar dementiert. Die Bundeskanzlerin habe keinerlei Zusicherungen gemacht, die über die Beschlüsse des EU-Gipfels und den Brief der EU-Präsidenten Tusk und Juncker hinausgehen.
Doch fest steht, dass sie mit Varadkar in Kontakt ist und nach Auswegen sucht. Darüber hatten wir in diesem Blog bereits berichtet (“Brexit: Merkel und Varadkar wollen May entgegenkommen”).
Fest steht auch, dass Varadkar das größte Hindernis für einen Kompromiss ist (siehe “Der starke Mann heißt Varadkar”) – und dass Merkel größtes Interesse hat, einen harten Brexit ohne Vertrag zu verhindern.
Denn das würde die ohnehin schon Brexit-Angst-geschwächte deutsche Wirtschaft weiter dämpfen; die Rezessions-Gerüchte werden jeden Tag lauter (siehe auch “Die ersten Brexit-Opfer”).
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Zudem wäre die EU im Fall eines “No Deal” gezwungen, zwei äußerst unpopuläre – und kontraproduktive – Dinge zu tun: Sie würde Kontrollen an der Grenze zu Nordirland einrichten – und das EU-Budget kürzen!
Ohne Deal wäre der britische EU-Beitrag nicht mehr sicher; deshalb würde wohl sofort der Haushalt für 2019 zusammengestrichen. Angesichts der Konjunktursorgen wäre das ein Schuss ins eigene Knie!
Um den “unverletzbaren” Binnenmarkt zu sichern, würde die EU zudem eine “harte” Grenze zu Nordirland einrichten. Sie täte damit genau das, was sie bisher verhindern wollte – das Good Friday-Abkommen wäre gefährdet!
Aber so ist das nunmal in der neoliberalen EU: Wenn man sich zwischen Friedenssicherung und Binnenmarkt entscheiden muss, ist der Markt wichtiger…
Kleopatra
16. Januar 2019 @ 09:36
Dass die EU im Zweifelsfall auf Kontrollen an der Grenze zu Nordirland bestehen muss, war immer klar, denn ohne Kontrollen an den Außengrenzen ist eine Wirtschaftsgemeinschaft ohne Kontrollen an den Binnengrenzen nicht möglich. Verzichten könnte man darauf nur, wenn Großbritannien bereit wäre, Nordirland als eine Art Zollausschlussgebiet von der EU (in der Praxis von der Republik Irland) verwalten zu lassen. Das wäre selbst dann, wenn man (d.h.die EU) höflich darum gebeten hätte, für GB kaum zumutbar gewesen, aber das Auftrumpfen der EU hat natürlich erst recht Unwillen auf der anderen Seite erzeugt.
Das Karfreitagsabkommen hatte letztlich die EU-Mitgliedschaft beider Partner als Geschäftsgrundlage. Denn aus den oben genannten Gründen hat kein EU-Mitgliedstaat das Recht, mit einem angrenzenden Nichtmitgliedstaat den Wegfall der Grenzkontrollen zu vereinbaren. Daher hat im Grund Irland die Wahl: entweder auf die EU-Mitgliedschaft oder das Karfreitagsabkommen zu verzichten.
ebo
16. Januar 2019 @ 10:21
Irland soll auf die EU-Mitgliedschaft verzichten? Das ist nicht nachvollziehbar. Irland soll nur nicht so tun, als sei die inner-irische Grenze der Nabel der Welt. Und die EU soll nicht so tun, als gebe es keine Alternative zum Backstop.
Kleopatra
16. Januar 2019 @ 11:04
Ich habe nur gesagt, dass Irland, wenn es in der EU bleibt, sich damit abfinden muss, dass die Grenze zu Nordirland eine EU-Außengrenze wird, mit allem, was dieser neue Status impliziert. Wenn es eine vollständig kontrollfreie Grenze zu Großbritannien will, ist das nicht mit der EU-Mitgliedschaft vereinbar. (Für die Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze hat meines Wissens dieselbe Entwicklung im Jahr 2004 auch Probleme gebracht).
Bei den Verhandlungen hat man auf Seiten der EU zu lange so getan, als würde Großbitannien jeden Vorschlag eines Abkommens ohnehin schlucken, und daher jedem EU-Mitglied die Möglichkeit geboten, seine speziellen Wünsche hineinzudrücken. Was man dabei nicht berücksichtigt hat, war der offensichtliche Umstand, dass jedes Abkommen der EU mit Großbritannien auch für das britische Parlament akzeptabel sein muss. Allein die Überlegungen, GB auf potentiell unbegrenzte Zeit einen Speziualstatus für einen Teil seines Territoriums aufzunötigen, wären auch gegenüber jeder anderen selbstbewussten Nation eine Zumutung.
M.E. hat eben nicht nur die britische Regierung zuwenig darauf geachtet, was für die potentiellen Vertragspartner akzeptabel sein könnte, sondern auch die EU-Seite hat denselben Fehler gemacht, konkret zum Beispiel indem sie sich das “Karfreitagsabkommen” als ein heilig zu bewahrndes Dogma hat einreden lassen.
Peter Nemschak
15. Januar 2019 @ 14:36
Friedenssicherung vs. Binnenmarkt ist polemisch übertrieben. Das eine schließt das andere nicht aus. Was hat wirtschaftliches Interesse mit neoliberal zu tun? Es ist ein zutiefst menschliches Streben und treibt die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung. Nur weil manche den menschlichen Eigennutz moralisch verdammen, wird er nicht verschwinden. Ohne ihn wären China und andere Entwicklungsländer nicht dort wo sie heute sind.
ebo
15. Januar 2019 @ 14:58
Sorry, aber seit zwei Jahren verkündet die EU, wg. des Good Friday-Abkommens und der Friedenssicherung müsse man unbedingt eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland vermeiden. Nun will diese “böse” Grenze selbst einführen – wenn es einen ungeordneten Austritt gibt! Und die Begründung ist der angeblich notwendige “Schutz” des Binnenmarkts! Das zeigt, dass die Güterabwägung zugunsten des Markts ausfällt. Genau das ist neoliberal.
Peter Nemschak
15. Januar 2019 @ 15:05
Von der Güterabwägung zugunsten des Binnenmarkts sind mehr Menschen betroffen als die überschaubare Anzahl der Iren. Diese werden eine andere Lösung finden, um sich in Zukunft nicht gegenseitig umzubringen.
ebo
15. Januar 2019 @ 15:46
Wohl wahr. Am Ende des Tages zeigt diese Geschichte, dass das Argument der Friedenssicherung und der daraus folgende “Backstop” für die irische Grenze nur vorgeschoben waren, um neue Hürden beim Brexit zu errichten. Man hätte die speziellen Probleme Irlands, Spaniens und Zyperns auch in bilaterale Verhandlungen ausgliedern können. Zudem sollte es im 21. Jhdt. andere Wege als “harte” Grenzbarrieren geben, um die Außengrenze des Binnenmarkts zu sichern. In Osteuropa geht es ja auch ohne Mauern und “Backstops”!
Kleopatra
16. Januar 2019 @ 09:42
Meines Wissens finden an den EU-Außengrenzen in Osteuropa durchaus Grenzkontrollen statt (Personen und Waren), und um mehr geht es in Irland nicht. Solange nicht Hunderttausende versuchen, ohne Kontrolle illegal nach Irland zu kommen, wird man die Grenze schon nicht ausbauen wie die spanisch-marokkanische Landgrenze. Aber die Forderung, dass Waren nicht ohne Zoll und Genehmigung in die EU eingeführt werden dürfen, lässt sich ohne Kontrollen nicht durchsetzen, egal. wie man sie technisch durchführt. Allenfalls könnte die EU diese Kontrollen zwischen Irland und dem Festland durchführen und in Irland eben auf die Durchsetzung von EU-Normen verzichten.