Brexit: Merkel schert aus
So schnell bröckelt die Einheit: Im Streit um den Brexit ist Kanzlerin Merkel dem britischen Premier Johnson entgegengekommen. Damit brüskiert sie Frankreichs Macron. Der sorgt sich nun, der Schwarze Peter könne bei ihm hängen bleiben.
Bei seinem Antrittsbesuch in Berlin wurde Johnson überraschend freundlich empfangen. Man wolle “im Geiste der Freundschaft” zusammenarbeiten, sagte Merkel. Mit ein wenig gutem Willen müsse es möglich sein, “vielleicht in den nächsten 30 Tagen” eine Lösung für die umstrittene Backstop-Lösung zu finden.
Johnson war begeistert. Das Treffen mit der Kanzlerin sei ein Höhepunkt seiner politischen Laufbahn, erklärte er. Deutschland und Großbritannien stünden unzertrennlich zusammen. Selbst der Streit um den Backstop sei kein großes Ding, sagte er mit einem Seitenhieb auf Merkel: “Wir schaffen das.”
In Berlin fand man das witzig, in Brüssel und Paris weniger. Schließlich deutet sich hier de – seit langem befürchtete – Bruch in der Einheits-Front der EU-27 an. Noch am Dienstag hatte Ratspräsident Donald Tusk erklärt, eine Änderung beim Backstop komme nicht infrage. Und nun will Merkel doch verhandeln!?
Besonders ärgerlich ist die weiche deutsche Haltung für Macron. Der Franzose hat sich schon bisher als Hardliner im Brexit-Streit positioniert – und könnte nun den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen. Das scheint in Paris bereits für wirbel zu sorgen, schreibt der “Guardian”:
On Brexit, some French political observers fear Johnson is setting up a confrontation with the EU that will allow him to reap domestic political capital from what he will cast as EU intransigence, singling out France for blame if the UK leaves without a deal.
The Guardian
Nur in Berlin will man von all dem nichts mitbekommen haben. In der deutschen Hauptstadt heißt es, die britischen Medien hätten alles falsch verstanden. Dass Merkel ausschert, will keiner wahrhaben. Und dass dies zu Lasten Tusks oder Macrons gehe könnte, schon gar nicht…
In jedem Fall ist dies ein neues Beispiel für die offene Führungskrise in EUropa…
Siehe auch “Tusk gibt Johnson den Schwarzen Peter” sowie “Die Führungskrise geht weiter – Merkel verliert”
P.S. Nachdem auch Macron den britischen Premier empfangen hat, spricht “Le Monde” von deutsch-französischen Divergenzen – wie in diesem Blogpost beschrieben. Dagegen rudert Merkel zurück, allerdings wenig überzeugend.
Peter Nemschak
22. August 2019 @ 12:52
Einer muss die Führung an sich ziehen. Sonst geht nichts weiter. Das stärkste Land in der EU bietet sich dafür an.
Holly01
22. August 2019 @ 16:19
Ich halte sehr wenig von der Regel “erster unter gleichen”.
Zudem zeigt die Erfahrung das “kleine” oft sehr kreativ verhandeln. Zum Einen stehen ja die “Großen” im Hintergrund und zum Anderen will der/die “Kleine” sich ja profilieren.
Da läuft verhandlungstechnisch oft sehr viel mehr (und schneller) als bei den Gesprächen der Großen.
vlg
Holly01
22. August 2019 @ 12:22
Ich denke ja Merkel ist ein “Miststück”.
Die hat ja gesagt “wir haben 2 Jahre für eine Lösung veranschlagt, aber das geht vielleicht auch in 30 Tagen”.
In Anbetracht eines PM der aus einem Land kommt, das seit dem Referendum NIX gebacken bekommen hat, halte ich das für triefende Ironie.
Wenn BoJo ein Problemlöser wäre hätte er Trump auf deinen tweet zum Handelsabkommen zurück geschrieben: “Bin am airport, habe mein komplettes Kabinett dabei, Treffen in DC in 12h, lass es uns tun !!”
Hat er aber nicht.
Als er Macron erzählt hat er will eine Brücke über den Ärmelkanal bauen, hat Macron das eiskalt gekontert. “Super Idee machen wir ….”
Macron weiß ja das da nichts mehr kommt.
Heute Abend hören wir, das Macron einen backstop auch doof findet, wenn ….. Johnson eine tolle neue Lösung aus dem Hut zieht … innert 30 Tage.
Wir sind ja alle Teil der Wertegemeinschaft und Freunde und Partner und all die anderen schicken Synonyme.
ja mach mal BoJo, ist doch “easy going” ….
vlg
ebo
22. August 2019 @ 13:09
Ist Merkel das “Miststück”, oder sind es die britischen Medien? In den sozialen Medien läuft gerade eine Shitstorm gegen BBC & Co. die Merkels Worte angeblich falsch ausgelegt haben. Auch mir wird das vorgeworfen. Ich beziehe mich aber auf eine deutsche Reuters-Meldung aus Berlin mit dem Titel “Merkel und Johnson schüren Optimismus in Brexit-Debatte”. Daher kommt auch das Zitat, dass müsse es möglich sein, “vielleicht in den nächsten 30 Tagen” eine Lösung für die umstrittene Backstop-Lösung zu finden. Einen guten Überblick über die (überwiegend positiven) britischen Reaktionen gibt die Wirtschaftswoche: https://www.wiwo.de/politik/europa/besuch-bei-mutti-rampenlicht-gestohlen-so-deutet-die-britische-presse-johnsons-merkel-besuch/24926998.html