Brexit-Endspiel: Was Johnson jetzt noch will

Auch nach dem Ende der „allerletzten“ Deadline im Brexit-Streit sieht die EU noch Chancen zu einer Einigung. Dafür müsste sie sich allerdings in einigen schwierigen Fragen bewegen – fordert der britische Premier Johnson.

„Es könnte nun ein schmaler Pfad zu einer Einigung sichtbar sein – wenn die Unterhändler in den nächsten Tagen die verbleibenden Hürden nehmen können“, sagte ein EU-Diplomat nach einem Briefing mit EU-Verhandlungsführer Barnier.

Er habe Fortschritte gegeben, heißt es in Brüssel. Es blieben aber „teilweise erhebliche“ Differenzen in wichtigen Bereichen. Dabei hat sich die EU schon bewegt. Doch Johnson will noch mehr. Hier die Knackpunkte:

  • Level Playing Field: Die EU hat ihre Forderung aufgegeben, dass UK automatisch allen neuen Regeln in der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgesetzgebung folgen muss. Es soll stattdessen eine „managed divergence“ geben. Dabei könnten die Europäer Zölle auf britische Waren erheben, die nicht zu denselben Bedingungen produziert wurden. Johnson möchte nun erreichen, dass er dasselbe Recht erhält. Abwegig ist das nicht – denn in der Klimapolitik hat UK sich ehrgeizigere Ziele gesetzt als die EU!
  • Beihilfen: Die EU macht viel Aufhebens um mögliche britische Beihilfen, die den Wettbewerb verzerren. Aber was ist mit den Zuschüssen, die EU-Länder demnächst aus dem neuen Corona-Aufbaufonds erhalten? UK ist an diesen Subventionen nicht beteiligt. Johnson will deshalb durchsetzen, dass sein Land wenigstens gleichziehen kann. Immerhin geht es hier um die hübsche Summe von 750 Mrd. Euro – man kann verstehen, dass Johnson das Bauchschmerzen macht…
  • Fischereipolitik: Die EU hat eine Übergangsfrist von 10 Jahren vorgeschlagen, UK will nur drei Jahre. Dahinter verstecken sich aber noch größere Differenzen. Wie groß ist der Streifen, in dem Boote aus der EU fischen dürfen, und wie viel dürfen sie aus britischen Gewässern entnehmen? Da die Mehrhzehl der Fänge ohnehin auf dem europäischen Markt landet, sollte sich dies Streit lösen lassen, heißt es unisono in London und Brüssel.

Das gilt leider nicht für eine grundsätzliche, fast schon philosophische Frage: Ist Großbritannien nun ein Land, das aus der EU ausscheidet und deshalb selbst sehen muß, wie es mit den europäischen Regeln klarkommt? Oder verhandeln beide Seiten souverän über ein völlig neues Handelsabkommen, machen sie sozusagen tabula rasa?

Das meint Johnson. In Brüssel und Berlin hingegen wird UK immer noch als ein Land betrachtet, das sich irgendwie verlaufen hat und eines schönen Tages in den Schoß der EU zurückkehren wird. Und bis dahin sollen sich die Briten mal schön an unsere „gemeinsamen“ Regeln halten…

Siehe auch „Die verdrängte Krise“