Blick zurück im Zorn
2016 war kein gutes Jahr für Europa. Und zwar nicht nur, weil vieles schief ging – vom Brexit bis zur neuen Bankenkrise. Sondern vor allem, weil die EU aus ihren Fehlern nichts gelernt hat.
[dropcap]A[/dropcap]us dem „Nein“ der Niederländer zum Ukraine-Abkommeng wurden ebenso wenig Konsequenzen gezogen wie aus dem „No“ der Briten. Alle Versuche, die EU neu zu starten, wurden abgewürgt.
Wie üblich tat sich Kanzlerin Merkel dabei besonders hervor. Unter dem Vorwand, den Laden zusammenzuhalten, blockte sie jede Reform ab. Das Ancien Régime muss weitergehen – bis zu ihrer Wiederwahl.
Und die Medien reden uns nun auch noch ein, Merkel sei die letzte Hoffnung – nicht nur für EUropa, sondern für die ganze Welt! Selbst nach dem Terroranschlag von Berlin gilt sie als letzte Heilsbringerin.
Mich macht das traurig – und wütend. Denn natürlich gäbe es Alternativen zur TINA-Kanzlerin. Und natürlich haben Deutschland und Europa den Wechsel verdient, er ist sogar überfällig.
Gerade weil sich seit Jahren nichts ändern darf, sind wir ja erst in diese „Poly-Krise“ gerutscht. Darauf weise ich in diesem Blog seit langem hin – genau wie auf mögliche Alternativen zum aktuellen Kurs.
Verpasste Chancen
2016 gab es nicht nur nach dem Brexit die Chance zur Umkehr. Es gab auch das Dreiertreffen in Venetone, es gab den Sondergipfel in Bratislava, es gab Obamas Besuch in Athen und Berlin.
In Athen hat der scheidende US-Präsident vor einer Fortsetzung der Austeritätspolitik gewarnt. Genutzt hat es nichts, wie man an der Farce um das griechische Weihnachtsgeschenk sieht.
Nicht einmal im Kampf gegen den Terror gelang der EU im vergangenen Jahr der Durchbruch. Terroristen reisen immer noch quer durch Europa, Deutschland zögert immer noch bei der Abwehr.
Wertegemeinschaft war gestern
Als wenn das alles nicht schon deprimierend genug wäre, macht die EU auch noch gute Miene zum bösen Spiel in Ungarn, Polen und der Türkei – im Fall Erdogan sogar auf ausdrücklichen Wunsch Merkels.
Rechtsstaat und Demokratie kommen unter die Räder, doch Brüssel und Berlin schauen zu, und das Europaparlament in Straßburg wird übergangen,. So geht die „Wertegemeinschaft“ vor die Hunde.
Schade. Eigentlich sollte es ein gelassener Jahresrückblick werden. Nun ist es ein Blick zurück im Zorn…
Winston
1. Januar 2017 @ 15:29
Es fehlen nur noch die Schlägertrupps der Gestapo, die sich gegen diesen EU Apparat stellen oder äußern vorgehen, dann sind wir im 4° Reich angekommen.
EU Parlament duldet keine EU Kritik mehr.
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2016-0441+0+DOC+XML+V0//DE
Die Demokratie in Europa ist am aussterben, wehret den Anfängen.
Ich mach mir langsam ernsthaft Sorgen. :-((
OXIgen
1. Januar 2017 @ 03:40
Ja, 2016 war kein gutes Jahr für die EU! 2015 auch nicht und 2014, 2013, 2012, 2011…. ebenfalls nicht. Höchste Zeit, dieses Monster zu erledigen, bevor es uns erledigt!
Die EU ist nicht Europa und war es auch nie. Echte Europäer brauchen dieses monströse und desaströse Gebilde nicht, das nur zum Ziel hat, den Reichtum des alten Kontinents in die Kassen der neuen Raubritter zu spülen und Zwietracht zu säen. Die EU in ihrer heutigen Form ist das Schlimmste, was Europa nach den beiden verheerenden Weltkriegen noch passieren konnte.
Es macht traurig, es macht wütend und zornig, wenn man zurück blickt – richtig! Es macht hilflos und fassungslos, wenn man mit einer weiteren Regentschaft einer gnadenlos uneuropäischen, im Hintern von Wallstreet-Bankern lebenden, Amöbe rechnen muss. Das Wort „Heilsbringerin“ verursacht mir heftigen Brechreiz. Ich blicke nach vorne – im Zorn!
Trotzdem wünsche ich allen hier versammelten, leidenschaftlichen Europäern ein gutes Neues Jahr! Unser gutes altes Europa wird nicht untergehen und unsere Freundschaften haben Bestand. Wir müssen den Laden halt einfach mal gründlich ausmisten.
bluecrystal7
1. Januar 2017 @ 20:42
Genau so sehe ich das auch! Ein lautes und klares „JA!“ zu Europa, aber „Nein!“ zu dieser EU!
bluecrystal7
29. Dezember 2016 @ 20:32
Dazu passt auch ein Beitrag des griechischen Finanzministers Euklid Tsakalotos auf Open Democracy, in dem er den aktuellen Zustand Europas wirklich sehr treffend beschreibt. Empfehlenswert!
„European institutions are not the home of rational debate that influences outcomes. But if the rules-are-rules narrative is not replaced it will lead to the break up of the Union.“
https://www.opendemocracy.net/can-europe-make-it/euclid-tsakalotos/europe-of-two-narratives
Peter Nemschak
30. Dezember 2016 @ 11:29
Wenn dem griechischen Finanzminister an einer ehrlichen Debatte gelegen wäre, müsste er offen für eine Transferunion eintreten oder für eine geordnete Austrittsmöglichkeit aus dem Euro argumentieren. Letztere Alternative wäre nicht zwingend mit einem Zerfall der EU verbunden. Niemand will das heiße Eisen Euro anfassen.
Peter Nemschak
29. Dezember 2016 @ 11:52
Mit dem Neuerfinden der EU ist es nicht getan. In Österreich hat sich die große Regierungskoalition schon so oft neu erfunden, dass es niemand mehr wirklich ernst nimmt. Nicht alle Bürger wollen unbegrenzte Solidarität innerhalb der EU. Das muss man zur Kenntnis nehmen und die Integration sehr differenziert verfolgen. Es müssen nicht alle Mitgliedsstaaten bei jedem Politikfeld mitmachen: kein Grund für Zorn und Verzweiflung, wenn sich die Dinge langsam entwickeln.
Reinard
29. Dezember 2016 @ 11:28
Man muss ja optimistisch bleiben um nicht unterzugehen. Darf ich aber zart darauf verweisen, dass es jedes Jahre dasselbe ist? Man wünscht, es möge besser werden. Frage ist aber: Woher soll der deus ex machina denn kommen? Aus dem schlafenenden Volk? Bis zu irgendeinem Knall wird’s nicht besser. Erfahrung aus 60 bewussten Jahren…
ebo
29. Dezember 2016 @ 11:34
@Reinard Nicht das Volk schläft, die Eliten schlafwandeln – das ist das Problem…
Peter Nemschak
29. Dezember 2016 @ 20:37
Woher nehmen Sie Ihr Gottvertrauen in die Weisheit des Volkes?
S.B.
29. Dezember 2016 @ 10:19
Hier noch ein Nachtrag zur xxx (beleidigende Adjektive – gestrichen, ebo) xxx Merkel und ihren „linksliberalen“ Vasallen (Absatz 2):
http://www.goldseiten.de/artikel/313548–Gold-und-Goldaktien-freundlich-Merkels-Grenzoeffnung-verfassungswidrig.html
Irgendwie ungünstig ist, dass sich die qualifizierten Stimmen immer erst dann (zu recht) kritisch äußern, wenn sie ihre aktive Amtszeit beendet haben. Das ist feige!
S.B.
29. Dezember 2016 @ 10:10
Der Blick zurück im Zorn ist mehr als gerechtfertigt. Deshalb verstehe ich diese Zeilen nicht:
„Als wenn das alles nicht schon deprimierend genug wäre, macht die EU auch noch gute Miene zum bösen Spiel in Ungarn, Polen…“
Wie kann der/die/das Böse (also die EU) gute Mine zum bösen Spiel, das eigentlich das gute ist, machen? Oder sind alle Beteiligten nur noch die Bösen, auch wenn sie politisch entgegengesetzt handeln?
Was mir zum „Blick zurück im Zorn“ noch fehlt, ist die weitere Handlungsempfehlung. Weiter so auf dem Weg in die unvermeidliche EU-Eine-Welt-Katastrophe, die uns von den geisteskranken Weltverbesserern als Rettung der Welt verkauft wird, oder besser ein Ende mit Schrecken?
ebo
29. Dezember 2016 @ 11:41
@S.B. Für mich sind Orban und Kaczyński gefährliche Politiker, denn sie demontieren den Rechtsstaat und gefährden die Demokratie. Meine Handlungsempfehlung wäre, sie nicht weiter zu hofieren, wie Merkel und Seehofer dies im Rahmen der EVP tun, sondern zu isolieren. Für Erdogan würde ich Wirtschafts-Sanktionen empfehlen, wie sie Luxemburgs Asselborn schon ins Spiel gebracht hat. Stattdessen will die EU-Kommission den Handel mit der Türkei weiter erleichtern…
Peter Nemschak
29. Dezember 2016 @ 12:55
Orban und Kazynski zu isolieren wäre OK, mit der Türkei soll die EU aber im Gespräch bleiben, um einen bestimmten Einfluss weiterhin zu haben. Erdogan wird den Flüchtlingsdeal im Eigeninteresse (Handelsbeziehungen !) nicht platzen lassen. Durch sein Verhalten ist ein EU-Beitritt ohnedies in unabsehbare Ferne gerückt. Moralisieren ist kein taugliches Mittel der internationalen Politik.Pragmatisches Vorgehen bringt weit mehr.
Peter Nemschak
31. Dezember 2016 @ 10:28
Mit isolieren meine ich nicht durch Sanktionen der EU. Sie wären kontraproduktiv und würden in Polen und Ungarn nationale Reflexe und unbeabsichtigte Solidarisierungseffekte auch bei jenen, die den Regimes gleichgültig oder ablehnend gegenüberstehen, auslösen. Stattdessen könnte die EU materiell und immateriell die Zivilgesellschaften in Ungarn und Polen stärken.
ebo
31. Dezember 2016 @ 11:47
Polen und Ungarn haben jetzt schon nationale Reflexe, um es milde auszudrücken…
bluecrystal7
1. Januar 2017 @ 20:48
Also gerade Polen, aber auch Ungarn sind Staaten, die schon bereits sehr national geprägt sind. Am deutlichsten lässt sich das wohl an der Flüchtlingspolitik innerhalb der EU erkennen. Die Umverteilung klappt immer noch nicht…