“Betreute Demokratie” im Europaparlament
Das neu gewählte Europaparlament soll nicht allein über wichtige EU-Jobs entscheiden – da könnte ja was schief gehen. Deshalb steht es nun unter besonderer Betreuung.
Die Präsidentin des Europaparlaments hat eine merkwürdige Auffassung von Demokratie. Beim gescheiterten EU-Gipfel am Montag hat sie es zugelassen, dass die Staats- und Regierungschefs über ihre nächste Amtszeit feilschen.
Dabei ist das normalerweise Sache der neu gewählten Abgeordneten. Sie wählen den oder die Parlamentspräsidenten bei der konstituierenden Sitzung in Straßburg, die erst im Juli stattfindet. Doch Metsola wollte wohl nicht so lange warten.
Die konservative EVP-Politikerin hat zudem gelobt, sich um eine Mehrheit für Kommissionschefin von der Leyen (ebenfalls EVP) zu bemühen, die für eine zweite Amtszeit noch vom Parlament bestätigt werden muß.
Zu diesem Zweck hat es am Donnerstag sogar eine Sitzung der Fraktionschefs gegeben, an der auch der scheidende Ratspräsident Michel teilgenommen hat – ein ungewöhnlicher Vorgang.
Man habe eine “gemeinsame Verantwortung für einen reibungslosen Ablauf” bei der Besetzung der EU-Topjobs, twitterte Michel hinterher.
Das nennt man wohl betreute Demokratie. Aber für Metsola hat es sich ausgezahlt: Die EVP hat sie erwartungsgemäß für eine neue Amtszeit nominiert…
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Thomas Damrau
21. Juni 2024 @ 07:35
Das EU-Parlament ist nun mal das letzte in der Hackordnung Rat -> Kommission -> Parlament. Und den letzten beißen ja bekanntlich die Wachhunde, in diesem Fall in Person von Frau Metsola.
Das wirklich Ärgerliche: Vor der EU-Wahl wurde der Bevölkerung durch eine überschäumende Propaganda-Maschine suggeriert, sie könnten mit ihrem Kreuzchen den Lauf der Welt verändern.
Dabei hat sich nur eines geändert: Autoritäre Politiker, wie Frau Meloni, werden langsam hoffähig, weil der Radikalen Mitte® (61% in Deutschland, 59,6% in der EU) die Wähler ausgehen.
WBD
21. Juni 2024 @ 09:03
@ Thomas Damrau: “…weil der Radikalen Mitte® (61% in Deutschland, 59,6% in der EU) die Wähler ausgehen”
Das sind ja nur die reinen Wahlergebnisse. Multipliziert mit der Wahlbeteiligung von 64,8% ergibt sich eine ‘radikale Mitte’ (0,61*0,65=0,40) von 40% – aber keine Angst, viele davon sind SchlafSchafe 😉
european
21. Juni 2024 @ 06:44
„Betreute Demokratie“ ist ein erstklassiger Begriff.
Warum werden die Rechten so stark? Hier ein sehr gutes Beispiel aus dem EU Parlament, wo Metsola einer AfD-Abgeordneten das Mikrophon mit „no more“ abstellt, weil ihre Rede sich auf die Korruptionsaffairen und Strafverfahren der EUCO-Präsidentin bezieht und sie sehr zu Recht hervorhebt, dass ein Parlament, das diese Korruption deckt, seinen Job nicht macht.
https://youtu.be/MeyB5xZ8tdc?feature=shared
Wenn man die wirklich wichtige Oppositionsarbeit immer der AfD überlässt, muss man sich nicht wundern, wenn die AfD immer stärker wird. Das trifft sowohl in den deutschen Parlamenten zu als auch im EU Parlament.
Karl
21. Juni 2024 @ 09:27
@ european: „betreutes Denken in einer gelenkten Demokratie“?
european
21. Juni 2024 @ 11:34
Genau 😀
Arthur Dent
20. Juni 2024 @ 22:41
Mehr Supranationalismus wagen!?
Habermas (der Kosmopolit) wäre entzückt, ich (der Kommunitarist) entsetzt.
Asbach
21. Juni 2024 @ 00:10
Na wie erwartet man denn, dass die komplexere Demokratie auf EU Ebene funktionierte wenn sie es kaum in den Heimatstaaten tut? Hierzulande ja schon gar nicht der Patriotismus, geschweige denn der Nationalismus, den gibt es nur für die Ukraine, von „unserem“ Kanzler und Konsorten.