Belgien ignoriert die Spitzenkandidaten, Brüssel übrigens auch

Haben Sie auch die Bilder im Fernsehen gesehen, wie Caren Miosga auf einem belebten Platz in Brüssel „live“ von der Europawahl berichtet? Leider erwecken sie einen falschen Eindruck. Belgien ignoriert die Wahl, Brüssel auch.

Keine Wahlplakate, keine Fernsehdebatten, keine Spitzenkandidaten. Belgien ist vollauf mit seiner eigenen „Super-Wahl“ am Sonntag beschäftigt. Sowohl in den Regionen als auch in der Föderation wird gewählt, es geht um eine neue Regierung für das Königreich. Premier Charles Michel ist nur noch Geschäftsführer.

Da bleibt für die Europawahl leider keine Zeit. Auch nicht in der EU-Kapitale Brüssel. Auf der Place du Luxembourg vor dem Europaparlament, wo Miosga steht, ist zwar immer etwas los. Doch die meisten Europaabgeordneten sind noch im Wahlkampf, das rege Treiben im Hintergrund täuscht.

Und wenn man doch einmal Wahlwerbung für Europa bekommt, dann fällt die auch noch völlig anders aus als von den EU-Granden geplant. Mir schrieb Benoit Lutgen, der Spitzenkandidat der Christdemokraten, einen Wahlbrief. „Wir teilen dieselben Werte wie die CDU von Angela Merkel“, betont er darin stolz.

Dass Merkel nicht kandidiert und sich auch völlig aus der Europawahl zurückhält, wird ebenso wenig erwähnt wie der Spitzenkandidat der Christdemokraten, Manfred Weber! Das zeigt einmal mehr, wie „toll“ das Spitzenkandidaten-System funktioniert, selbst im „Herzen der europäischen Demokratie“.

Und noch ein Paradox ist mir aufgefallen: In Belgien gibt es nicht eine, sondern zwei Europawahlen. Sogar in Brüssel muß man sich entscheiden, ob man die 8 frankophonen Vertreter für das Europaparlament wählen will – oder die 12 flämischen. Der Sprachenstreit zieht sich quer durch die Abstimmung.

Das vereinte Europa funktioniert noch nicht einmal in Brüssel – doch im Europaparlament hat man es wohl noch nicht gemerkt. Was das deutsche Fernsehen nicht daran hindert, die EU-Kapitale als Kulisse für eine Wahl-Show zu nutzen. Hoffentlich hilft es wenigstens, die Leute aufzurütteln…

Siehe auch „Keine leichte Wahl für (Expats aus) Deutschland“

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