Beispiellose Übertreibung im Defizit-Streit
Die EU-Kommission hat Italien eine “beispiellose Abweichung” von europäischen Stabilitätsregeln vorgeworfen. Gleichzeitig rügt sie auch noch Frankreich, Spanien, Portugal und Belgien – eine beispiellose Übertreibung.
Die erhöhten Ausgaben machten es unwahrscheinlich, dass Italien seine Staatsschulden wie zugesagt senken könne, hieß es in einem blauen Brief der Kommission, der am Donnerstag in Rom überreicht wurde.
Dabei sind die Staatsschulden auch in den vergangenen Jahren nicht gesunken – als sich Italien an die EU-Regeln hielt. Das Problem sind nämlich nicht die Neuschulden, sondern das fehlende Wachstum.
Das scheint auch der Kommission zu dämmern – denn sie wagt es trotz der harten Rhetorik nicht, den Entwurf zurückzuweisen oder Änderungen zu verlangen. Stattdessen soll es bis Montagmittag “Klarstellungen” geben.
Wie übertrieben und widersprüchlich die so genannten Stabilitäts-Regeln in der Eurozone ausgelegt werden, zeigen auch weitere Mahnungen, die an Frankreich, Spanien, Portugal und Belgien ergingen.
Keines dieser Euroländer gefährdet die Stabilität der Gemeinschaftswährung. Im Gegenteil: Portugal und Spanien gehören wieder zu den Wachstumsmotoren, Belgien hat seine Schulden spürbar abgebaut.
Dennoch erhält Belgien einen blauen Brief, weil das “strukturelle Defizit” nicht um 0,6 Prozent abgebaut worden sei. Dafür habe man im vergangenen Jahr das Plansoll übererfüllt, erwidert Finanzminister Van Overtveldt.
Es sei “lächerlich”, sein Land in einen Sack mit Italien zu stecken, so der rechtsnationale Politiker. Man darf gespannt sein, wie die Populisten in Rom auf die Übertreibungen aus Brüssel reagieren…
Siehe auch “Der blaue Brief aus Brüssel – und seine Tücken”
WATCHLIST:
- Zum Abschluss der 12. Asien-Europa-Gipfels (Asem) in Brüssel soll ein neues Handelsabkommen mit Singapur unterzeichnet werden. Die EU und Asien repräsentieren zwei Drittel des Welthandels, erklärte Kanzlerin Merkel stolz. Doch das Wachstum kommt schon seit langem aus Asien, die EU wird immer weiter abgehängt…
WAS FEHLT:
- Eine Antwort auf US-Handelsminister Ross. Bei einem Besuch in Brüssel warnte er, die Geduld von Präsident Trump sei nicht unbegrenzt, die EU müsse sich endlich bewegen und in Verhandlungen eintreten. Doch der EU-Gipfel hat die Warnung ignoriert. Der Grund: Die Staaten können sich nicht auf ein Mandat einigen, Frankreich blockiert…
Peter Nemschak
21. Oktober 2018 @ 15:12
@ebo Die EU gab es schon lange vor Einführung des Euro. Der Euro ist nicht für den Bestand der EU entscheidend. Abgesehen davon gibt es eine Reihe von Mitgliedsländern mit einer eigenen Währung. Weder der Euro noch eine eigene Währung garantieren aber ein gleiches Wohlstandsniveau in allen Mitgliedsstaaten, wie das Beispiel Tschechische Republik und Bulgarien deutlich macht. Innerhalb des europäischen Binnenmarkts ist jedes Mitgliedsland in erster Linie für sein eigenes Wohlergehen seinen Wählern verantwortlich. Dessen ungeachtet gibt es gemeinsame Interessen (Klimaschutz, Sicherheitspolitik, Wettbewerbspolitik u.a.). Der seinerzeitige Hartwährungsblock in der EU war kein politisch geschaffenes Konstrukt sondern hat sich aus der Konvergenz der wirtschafts-und sozialpolitischen Rahmenbedingungen entwickelt. Politische Projekte wie der Euro sind problematisch, weil sie nie alle zufrieden stellen können. Die europäische Einigung darf nicht als Zwang empfunden werden. Derzeit scheint das für manche nicht nur bei der Flüchtlingspolitik der Fall zu sein.
ebo
21. Oktober 2018 @ 15:14
“Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa”. Wer hat das nochmal gesagt? Und wer hat das größte Interesse an einem großen Währungsraum ohne Handels-Barrieren?
Winston
21. Oktober 2018 @ 08:14
Die UE spielt hier mit dem Feuer. Bin mir nicht sicher das sich diese Regierung so billig abspeisen lässt. Salvini un Di maio verstehen nix von Wirtschaft, sie haben aber sehr erfahrene Leute u.a. Paolo Savona, ein sehr erfahrener Volkswirt und gut befreundet mt Nobelpreisträger Stieglitz. Ein ganz anderes Kaliber als Varoufakis.
Italien hat seit 20 Jahren ein Primärüberschuus, das hat nicht mal Deutschland fertig gebracht, ein Handelsüberschuss, ist Nettozahler, hat ene sehr tiefe Privatverschuldung und ein sehr hohes Sparvorkommen.
Die Italienische Krise hat mit der PIGS Krise nix zu tun, die Italienische Krise wurde künstlich geschaffen durch die sogennante fiskalische Anpassung durch Monti, auf Deutsch heisst das Steuererhöhungen und Einführung neuer Steuern, dadurch zerstörte Monti Italiens Binnenwirtschaft, was auch der Hauptgrund war für die Italienische Bankenkrise. Es folgten 8 Rezession Semester hintereinander mit schwerwiegenden Folgen.
David-Folkerts Landau, Chef Volkswirt von Deutsch meint zum thema dies: Die UE bedroht Italien mit dem Baseball Schläger.
https://twitter.com/bsurveillance/status/1052853844105785344
Und hier noch ne Meinung
https://www.ineteconomics.org/perspectives/blog/why-hysteria-over-the-italian-budget-is-wrong-headed
Peter Nemschak
21. Oktober 2018 @ 11:38
Wenn man dieser Erklärung folgt, warum ist Italien nicht schon längst aus der Eurozone ausgetreten? Offenbar gibt es Mitgliedsländer, die mit dem EURO schlechter als andere zurecht kommen. Wer für Europa kulturelle vielfalt befürwortet, muss konsequenterweise auch Währungsvielfalt in Kauf nehmen.
ebo
21. Oktober 2018 @ 14:26
Sehr gut, Herr Nemschak, wir nähern uns des Pudels Kern. Wenn Italien aus dem Euro heraus gedrängt wird – und so sieht es langsam aus – wird als nächstes Frankreich gehen müssen. Dann ist der Euro Geschichte – und der deutsche Markt schrumpft auf ein paar Satellitenstaaten wie Österreich oder die Niederlande, meinetwegen noch die Slowakei. Ob die EU das überlebt? Naja…
Ute Plass
19. Oktober 2018 @ 19:30
“EU-Kommission sollte Schulden erlauben, aber Demokratie verteidigen”,heißt es in folgendem Kommentar v. Marco Bertolaso:
https://www.deutschlandfunk.de/streit-um-italiens-haushalt-eu-kommission-sollte-schulden.720.de.html?dram:article_id=431044
Peter Nemschak
20. Oktober 2018 @ 12:14
Wer durch seine Schuldenpolitik die gemeinsame Währung gefährdet, ist ein Feind der liberalen pluralistischen Demokratie. Das wollen die rechten und linken Gleichmacher nicht begreifen. Nach den bitteren Erfahrungen des 20.Jhdts. mit ethnischer und sozialer Gleichheit, sollte man das Streben nach Gleichheit aus nüchterner Distanz betrachten.
Georg Soltau
20. Oktober 2018 @ 20:13
@ Nemschak das ist wieder ein super Beitrag. Wieder viele hohle Phrasen und toll klingende Ausdrücke ohne wirklich etwas auszusagen. Werde Ihr Streben nach intellektueller Oberschlauheit aus nüchterner Distanz verfolgen.
Peter Nemschak
19. Oktober 2018 @ 11:15
Erhöhte Defizite des Staates machen noch keine Wachstumspolitik. Die diversen sozialpolitischen Vorhaben der italienischen Regierung mögen zwar in Italien populär sein und auch linke Ohren in der EU erfreuen. Sie sind aber nicht aber wachstumswirksam.
Ute Plass
19. Oktober 2018 @ 13:58
Was könnte Ihrer Meinung nach ‘wachstumswirksam’ sein?