Brexit könnte an Berlin scheitern
Der EU-Chefverhandler für den Brexit, M. Barnier, fürchtet ein vorzeitiges Scheitern der Austritts-Verhandlungen. Schon jetzt sei der Zeitplan kaum einzuhalten; zudem drohe Streit über die Brexit-Rechnung.
Dies geht aus einem Bericht des “Guardian” hervor, der aus einem internen Protokoll der EU-Kommission zitiert. Man sei “zu optimistisch” gewesen, die Verhandlungen würden schwieriger als erwartet.
Deshalb scheint Barnier zum ersten Mal ernsthaft einen “harten Brexit” ohne Einigung in Erwägung zu ziehen. Die größten Sorgen macht dem Franzosen dabei die harte deutsche Haltung.
Denn Deutschland ist nicht bereit, nach dem Brexit mehr in den EU-Haushalt einzuzahlen, um die fehlenden britischen Beiträge auszugleichen. Berlin wird dabei offenbar von Paris unterstützt. Zitat:
Barnier has told the commission president, Jean-Claude Juncker, and other senior officials that the stakes are so high because Berlin and Paris are refusing to pay more to cover the UK’s departure, while those governments who receive the most from EU funds are opposed to any cuts in spending.
Hier ist tatsächlich eine Sollbruchstelle. Es geht nicht nur um die 100 Mrd.-Euro-Rechnung, die Berlin nach London schicken möchte – sondern auch um den deutschen Anteil am (zerschnittenen) Tischtuch.
Hier wäre doch mal eine Gelegenheit für Kanzlerkandidat Schulz, sich von Kanzlerin Merkel abzusetzen. Angeblich versteht er doch (noch) etwas von EUropa…
Siehe auch “Deutsches Drehbuch im Brexit-Theater”
GS
19. Mai 2017 @ 18:59
Müsste der Titel nicht lauten: „Brexit könnte an Berlin und Paris scheitern“? Weder auf dieser, noch auf der anderen Seite des Rheins hat man große Lust, netto noch mehr Kohle reinzubuttern. Im deutschen Fall geht der Beitrag dann ja schon fast Richtung 20 Mrd. €/Jahr. Irgendwann ist eben genug. Wir sind ja auch jetzt schon an dem Punkt, an dem die Bevölkerung gar nicht mehr über die Höhe des deutschen Nettobeitrags in Kenntnis gesetzt wird. Die Medienberichte sind dazu jedenfalls extrem spärlich, insb. verglichen mit den rituellen Lobgesängen auf die EU und wie toll sie doch für D ist.
ebo
19. Mai 2017 @ 19:33
Nun ja, das Pikante ist ja, dass alle Tiefschläge aus Berlin kommen. Und Merkel war es, die das EU Budget gemeinsam mit Cameron zusammengestrichen hat. Was die neue Regierung in Paris will, ist unklar.
Oudejans
19. Mai 2017 @ 22:18
>>“Nun ja, das Pikante ist ja, dass alle Tiefschläge aus Berlin kommen.“
GS moniert offensichtlich ähnlich wie ich folgendes (wenn ich ihn richtig verstehe): „Brexit scheitert“ (letztlich woran auch immer) insinuiert, der Brexit könnte nicht stattfinden: GB bliebe somit in der EU. Nur wenn man Brexit mit einem Vertragswerk identifiziert, gibt die Schlagzeile Sinn. Insoweit ist der erste Satz des Artikels durch die Überschrift unglücklich eingeleitet.
Zudem stellt sich qua „scheitert“ die Frage, ob Brexit ein Projekt der EU sein könnte – dem die Insulaner leider zuvorkamen; der Scheidungsbrief, dem der Gehörnte entgegenschimpft: hatte dich eh schon zu lang, du alte [Invektive], und ich bekomme noch 100 Mia.!
Wenn wegen der Heransgehensweise der EU GB letztlich „hart“ brexitierte, wären sicherlich Hegemonieziele der EU nicht erreicht. Aus „Brexit scheiert“ spricht der Zorn. Diese Emotion war in der Rede der britischen Premierministerin nicht auszumachen. Die sprach von der harten Option eher gleichmütig.
Wie wäre es also mit „Barnier könnte an Berlin scheitern“?
Peter Nemschak
19. Mai 2017 @ 15:04
Man könnte auch auf EU-Ebene weniger ausgeben. Diese Option steht auch im Raum. Sie sollte ernsthaft diskutiert werden, nicht zuletzt um mehr Druck auf manche mitteleuropäische Nettoempfänger zu machen. Es ist nicht einzusehen, warum Ungarn, um ein Beispiel zu nennen anderen EU-Ländern bei der Körperschaftssteuer Konkurrenz macht und gleichzeitig 7 Mrd. an EU-Geldern bekommt. Große Staatsbudgets sind nicht notwendigerweise wünschenswert.
Oudejans
19. Mai 2017 @ 13:58
“Brexit: EU könnte an Berlin scheitern” lautet der korrekte Titel dieses Eintrags.
hintermbusch
19. Mai 2017 @ 12:54
Schulz hat keinen Plan und keine Chance. Die Sozialdemokraten verschlafen die Brisanz der europapolitischen und -wirtschaftlichen Entwicklungen und haben auch gar nicht mehr das intellektuelle Zeug dazu, sich hier sinnvoll von der Union abzusetzen. Dabei wäre das dringend notwendig, um zu verhindern, dass es mittelfristig zu einem neuen Zusammenstoß des wieder heillos verpreußten Deutschland mit dem Rest Europas kommt.
Gleichzeitig stellen sie sich innen- und rechtspolitisch mit Heiko Maas dermaßen ins autoritäre Abseits, dass auch diejenigen sie unmöglich wählen können, die verzweifelt nach einem Gegengewicht zur Merkel-Union suchen.
Schulz macht den Ebert und Maas den Noske. Adios SPD! Es war nicht schön, aber die Hoffnung ist zuletzt gestorben, nach langer schwerer Krankheit.
Peter Nemschak
21. Mai 2017 @ 10:09
Was soll dieser “verpreußte” Deutschlandwahn? Staaten, vor allem große und wirtschaftliche starke, verhalten sich wie Staaten, eigensüchtig bei der Verfolgung ihrer Interessen, konfliktisch, kontroversiell, kompetitiv, dann wieder kooperativ aber nicht nach dem ideologisch herbeigeträumten Muster “habt euch lieb”. Daran werden auch die Linken nichts ändern.
hintermbusch
21. Mai 2017 @ 19:08
Sie neigen spürbar dazu, Staaten ein Eigeninteresse jenseits der Interessen ihrer Bürger zuzugestehen. So ganz demokratisches Denken ist das nicht!
Preußen war wahrscheinlich der Prototyp eines solchen Staates: eine Obrigkeit ohne Volk. Als Schüler hatte ich mich schon immer gewundert, dass es zwar Preußen gab, aber nirgendwo ein preußisches Volk, ein enormer Unterschied etwa zu Bayern, der sich massiv auf die Politik auswirkte. So ist es zu erklären, dass Preußen im Siebenjährigen Krieg unter dem bösen Fritz seine halbe Bevölkerung für seine Machtziele geopfert hat. Nichts dergleichen haben die bayerischen Könige jemals verbrochen. Und dieses Opfer war ja leider nicht das Ende des Leids mit Preußen.
Hier schließt sich der Kreis: die deutsche Exportpolitik macht aus Bürgersicht wenig Sinn, nur aus der Sicht einer Machtpolitik über die Bürgerinteressen hinweg. Historisch war der Merkantilismus ein Mittel zur Vorbereitung von Kriegen gegen Rivalen, im vorrevolutionären französischen Absolutismus. Was soll das einem alternden und schrumpfenden Volk wie dem deutschen bringen außer neue Konflikte?
Und selbstverständlich wäre es die Aufgabe einer echten, volksverbundenen Linken diesen Interessenkonflikt offen auszusprechen und politisch gegen die Regierung zu spielen. Eine solche Linke ist aber in Deutschland nirgendwo in Sicht. Die sogenannte Linke übertrifft sogar die konservative Regierungspartei im Bestreben, dem Volk den Mund und die Äußerung seiner Interessen zu verbieten.
Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…