Austritt ist auch keine Lösung (mehr)
WATCHLIST EUROPA 18.12.2017 – Es war das einzige greifbare Ergebnis des EU-Gipfels: Die Brexit-Gespräche gehen in die nächste Runde. Doch nun sieht es so aus, als wollten die Briten den Austritt gar nicht mehr.
Nach einer Umfrage will eine Mehrheit plötzlich doch in der EU bleiben. Dabei ist der Vorsprung der EU-Befürworter mit 51 Prozent zu 41 Prozent so gross wie nie zuvor, meldet die “NZZ”.
Allerdings ist dies kein echter Erdrutsch. Wer beim EU-Referendum 2016 für den Brexit gestimmt hat, ist immer noch dafür. Neu ist nur, dass nun die ehemaligen Nichtwähler in der EU bleiben möchten.
Dabei ist der Club der 27 keineswegs besser geworden, wie die Streitigkeiten um Flüchtlinge und Euro-Reform zeigen. Die EU-27 macht sogar Dinge, die UK nie wollte – wie die Verteidigungsunion.
Nein, der einzige große Unterschied zu 2016 ist, dass die Perspektiven für den Brexit schlechter geworden sind. Die EU hat den Preis für den Austritt in die Höhe getrieben und die Kontrolle übernommen.
Wer mit dem Brexit wieder die “Kontrolle” übernehmen wollte, muss nun ungläubig mitansehen, dass London wohl mindestens bis 2021 seine EU-Beiträge zahlen muss, aber alle Mitspracherechte verliert.
Und die Hoffnung auf eine Freihandelsabkommen löst sich auch in Wohlgefallen auf. Die EU hat schon klar gemacht, dass man gerne mal darüber reden könne – doch ein Abschluss wird Jahre dauern.
Unter diesen Umständen ist ein EU-Austritt auch keine Lösung mehr – im Gegenteil: er schafft nur neue Probleme. Doch was soll man von einem Club halten, aus dem man nicht austreten kann?
Besonders demokratisch kann solch ein Club nicht sein. Aber mit Demokratie hatte es die EU noch nie so recht, wie zuletzt die Griechen erfahren mussten, als sie 2015 “Oxi” zur Austerität sagten.
Bleibt zu hoffen, dass die Briten es besser machen. Warum sollten sie nicht über den Austrittsvertrag abstimmen? Sollten sie auch dazu “No” sagen, so wäre es eine Klatsche für beide Seiten – London und Brüssel…
Siehe auch “Sogar der Austritt kann scheitern”
WAS FEHLT: Das so genannte Winterpaket. Dabei geht es um die Energiepolitik – die EU-Energieminister debattieren am Montag über “Saubere Energie”. Unter anderem geht es um CO2-Standards für Kohlekraftwerke – in Brüssel rechnet man mit einer Nachtsitzung. Kein Wunder, bei “Jamaika” hat man sich wochenlang darum gestritten…
Peter Nemschak
18. Dezember 2017 @ 14:10
@Manfred Waltermann “recht oder unrechthaben” sind in einer Demokratie keine besonders langlebigen Kategorien.
Erhard Spiller
28. Dezember 2017 @ 11:03
In einer Demokratie sollte man immer Mehrheitsverhältnisse beachten. Wenn sich heute die Mehrheit der Briten für die EU entscheiden würde, sollte die EU mit allen Mitteln einen Weg finden den BREXIT rückgängig zu machen.
Manfred Waltermann
18. Dezember 2017 @ 10:21
Alp-Traum EU
Wer das ganze Spektakel um das Verbleiben GBs in der EU mit etwas Abstand und Vernunft betrachtet, der muss sich doch an den Kopf fassen, wie so viel politische Dummheit überhaupt stattfinden kann!
Wer in einem Gebilde wie der EU eines seiner wichtigsten Mitgleider zu verliren droht, von dem sollte man doch erwarten, dass alles versucht wird, das abtrünnige Mitglied wieder “auf den rechten Pfad” zurück zu führen!
Nichts da! – Wie haben die angeblichen EU-Europäer gejubelt und sich die Vollendung des Brexit so schnell wie eben möglich herbeigeredet und damit im Nachhinein den Beweis dafür geliefert, dass die “ungeliebten Briten” mit ihrem Votum garnicht so Unrecht hatten!
Kleopatra
18. Dezember 2017 @ 08:40
Nach der klaren Regelung der Verträge gibt es – nachdem GB einen Austritt in der in Art 50 vorgesehenen Form angekündigt hat – zwei Möglichkeiten: entweder es wird zwischen GB und dem Rest der EU ein Vertrag geschlossen, dann gilt natürlich der, oder es kommt innerhalb von zwei Jahren kein Vertrag zustande: dann endet die Mitgliedschaft GBs zwei Jahre nach Ankündigung des Austritts. (Wobei als dritte, komplizierte Möglichkeit die Zweijahresfrist einvernehmlich verlängert werden kann).
Das bedeutet, dass die Ablehnung eines Austrittsvertrages nicht bedeutet, dass GB Mitglied bleibt, sondern dass die Mitgliedschaft nicht zu den im Vertrag vorgesehenen Bediungungen beendet wird. Im Extremfall endet die Mitgliedschaft GBs einfach dadurch, dass ab Ende März 2019 die Verträge im Verhältnis zu GB nicht mehr gelten. Mit der Konsequenz u.a., dass ab dann Irland jeden Einreisenden und alle eingeführten Waren kontrollieren muss, kein EU-Bürger seinen Aufenthalt in GB mehr aus der EU-Personenfreizügigkeit ableiten kann etc. Damit der Austritt nicht kommt, müsste GB seine Austrittserklärung zurücknehmen; diese Möglichkeit ist zwar in den EU-Verträgen nicht ausdrücklich vorgesehen, manche Völkerrechtler halten sie aber für zulässig (manche anderen freilich streiten das vehement ab).
Peter Nemschak
18. Dezember 2017 @ 10:14
Wie auch immer, jedenfalls ist durch den Parlamentsbeschluss eine politische Dynamik ausgelöst worden, deren Ausgang heute noch nicht absehbar ist. BREXIT bleibt damit als Dauerbrenner auf der öffentlichen politischen Tagesordnung und wird nicht zum technischen Problem der Experten heruntergestuft.
Kleopatra
18. Dezember 2017 @ 10:49
Das ändert nichts daran, dass die Frage geklärt werden muss, was eine “Ablehnung eines Austrittsvertrages” bedeutet. Nach dem klaren Wortlaut des Art 50 EUV wird in dem Fall die Mitgliedschaft zwei Jahre nach Eingang der Austrittserklärung einfach ohne weitere Vereinbarung beendet. Die einzige – vorläufige – Alternative wäre eine Verlängerung der Zweijahresfrist, die nach Art 50 Abs 3 vom Rat einstimmig geblligt werden muss. Eine Ablehnung eines ausgehandelten Vertrages, egal ob in Volksabstimmung oder im Parlament, hat also gerade nicht eine Fortsetzung der Mitgliedschaft Großbritanniens zur Folge.
Die Entscheidung zum Austritt ist in zwei Stufen gefallen: Zuerst wurde eine Regierungspartei gewählt, die im Wahlprogramm eine Volksabstimmung über den Austritt versprochen hatte. Dann ist diese Abstimmung so ausgefallen wie allgemein bekannt (woran wahrscheinlich ein Schock über die deutsche Politk im Herbst 2015 mitgewirkt hat). Die einzige Möglichkeit, den Austritt nicht wirksam werden zu lassen, wäre eine formelle Rücknahme der Austrittserklärung. Zu dieser Variante wird es wohl kaum kommen, da sie zu sehr nach einer kollektiven Selbsterniedrigung GBs aussehen würde, um in einer Demokratie mehrheitsfähig zu sein.