Aufgelesen: Europäische Biometriedaten für die USA
In Brüssel hat die Urlaubszeit begonnen. Wir nutzen das „Sommerloch“, um lesenswerte Beiträge anderer Blogs und Medien zu präsentieren. Heute ein Beitrag zur US-gesteuerten biometrischen Überwachung.
US-Behörden wollen Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in insgesamt 40 Staaten abfragen, die meisten davon in Europa. Mit einem Kniff setze sich die EU-Kommission an die Spitze der Gespräche über das Vorhaben, schreibt Matthias Monroy.
Insgesamt 40 Länder nehmen derzeit am „Visa Waiver Program“ (VWP) der US-Regierung teil. Washington garantiert damit, dass die Bürger:innen der betreffenden Staaten zu geschäftlichen oder touristischen Zwecken für maximal drei Monate ohne Visum einreisen dürfen. Die Regelung gilt gegenseitig, auch US-Staatsangehörige können die 40 Länder visafrei besuchen. Unter den Teilnehmenden des VWP befinden sich fast alle Schengen-Staaten.
Nun verlangt die US-Regierung, dass die am VWP teilnehmenden Staaten im Rahmen einer „Enhanced Border Security Partnership“ (EBSP) Zugang zu ihren polizeilichen Biometrie-Datenbanken gewähren. US-Grenz- und Polizeibehörden sollen dafür Fingerabdrücke und Gesichtsbilder in Informationssystemen in den Schengen-Staaten abfragen dürfen. Ein solcher Direktzugriff aus dem Ausland ist selbst unter befreundeten Geheimdiensten unüblich.
Es ist nicht die erste derartige Forderung an die VWP-Staaten. Im Jahr 2006 hat die US-Regierung bereits vorgeschrieben, dass nur Länder, die biometrische Reisepässe ausgeben, an dem Programm teilnehmen dürfen. 2008 führten US-Behörden das verpflichtende ESTA-System zur Voranmeldung des Grenzübertrittes ein. Ein Jahrzehnt später mussten alle VWP-Staaten „Preventing and Combating Serious Crime“ (PCSC) für ihre Kriminalpolizeien unterschreiben.
In der EU sorgt die geforderte „Partnerschaft“ für die Herausgabe von Biometriedaten seit über einem Jahr für Kontroversen. Im Februar 2022 hat die US-Regierung einige VWP-Staaten erstmals über die Pläne informiert, darunter auch Deutschland. Demnach soll es sich um bilaterale Abkommen mit den einzelnen Regierungen handeln. Weigern sich diese, ihre Datenbanken zu öffnen, droht ihnen ab 2027 der Rauswurf aus dem US-Programm für visafreies Reisen.
Die EU-Visapolitik gehört seit dem 1997 geschlossenen Vertrag von Amsterdam zum sogenannten Schengen-Besitzstand. Entsprechende Abkommen mit anderen Regierungen müssen deshalb für alle Schengen-Staaten gleichermaßen gelten. Über die Umsetzung und Befolgung der Visafreiheit wacht die EU-Kommission, die deshalb auch Vertragsverletzungsverfahren einleiten kann. Eigentlich müsste Brüssel gegen die US-Regierung vorgehen: Denn Bürger:innen aus Bulgarien, Rumänien und Zypern wird die Teilnahme am visafreien Reisen in die USA weiterhin verwehrt, die drei Staaten werden also benachteiligt.
Anstatt die US-Regierung deshalb zu maßregeln und das daran gekoppelte EBSP auf Eis zu legen, treibt die Kommission dieses noch voran. Brüssel verfolge dazu einen „pragmatischen Ansatz“, indem die geforderte „Grenzpartnerschaft“ als „von Fragen im Zusammenhang mit der Visapolitik getrennt“ behandelt wird. Dies geht aus einem Dokument hervor, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlicht hat.
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Monika
2. August 2023 @ 22:10
Haben wir im Gegenzug eigentlich ebenso direkten (!) Zugriff auf die entsprechenden Daten der USA? Oder verzichten wir da in unserem grenzenlosen Vertrauen zu unserem transatlantischen „Partner“ auf die entsprechenden Eingriffe und fragen dort brav nach, wenn wir etwas „wissen wolllen“?
Wie KK ziemlich „überzeugend argumentiert“, wenn sie es wollen, haben die USA die Daten bereits. Sie wollen sich diese Zugriffe nur noch wasserdicht vertraglich absichern lassen.
Gegen begründete Nachfragen wäre ja nichts einzuwenden, aber völlig freie eigene Zugriffsrechte aus „pragmatischen“ Gründen? Da lobe ich mir Herrn Orban Ansatz!
KK
2. August 2023 @ 11:37
@ Kleopatra:
“Denn anders als die EU-Mitgliedstaaten sind die EU keine Vertragspartei der EU-Verträge…”
Das müssen Sie mir erklären!
Kleopatra
2. August 2023 @ 05:14
Wenn die USA nicht alle EU-Mitgliedstaaten am visafreien Reisen teilnehmen lassen, kann die Kommission deshalb trotzdem nicht – wie hier vorgeschlagen – gegen die USA vorgehen. Denn anders als die EU-Mitgliedstaaten sind die EU keine Vertragspartei der EU-Verträge und daher nicht an diese gebunden, dürfen also Angehörige verschiedener EU-Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer Staatsangehörigkeit unterschiedlich behandeln, ohne dass sie dadurch gegen Verträge verstoßen würden.
Wenn ein Vertragsverstoß vorliegt, dann auf Seiten der EU-Mitgliedstaaten, die am Visa-Waiver-Programm teilnehmen, obwohl es nicht allen EU-Mitgliedstaaten angeboten wird. Die Kommission müsste also Deutschland etc. auffordern, den USA zu erklären, dass wir für Deutsche die Wiedereinführung der Visumspflicht fordern, solange diese für Bulgaren etc. besteht. Man kann sich leicht vorstellen, wie beliebt sich die EU damit in Deutschland machen würde.
KK
1. August 2023 @ 18:51
@ Katla:
„Die doppelte Staatsbürgerschaft ist insbes. für die zahlenmässig starken ungarischen Minderheiten in Rumänien und in der Ukraine(!!) besonders wichtig und Ungarn weigert sich, ihre Daten rauszugeben mit dem Argument, der Schutz der Sicherheit dieser Menschen habe absolute Priorität.“
Vor dem Hintergrund der Existenz öffentlicher „Todeslisten“ der ukrainischen Regierung (auf denen u.a. auch der SPD-Fraktionschef Mützenich und einige andere deutsche Prominente, die sich für Frieden und Verständigung einsetzen, stehen) durchaus verständlich.
Katla
1. August 2023 @ 18:18
Passend zu diesem Thema: ungarische Medien berichten, dass die USA mit Wirkung von heute Einschränkungen der Visumsfreiheit für alle ungarischen Staatsbürger eingeführt hat. Laut ungarischem Innenministerium reagieren die USA mit dieser Maßnahme auf die Tatsache, dass die ungarische Regierung sich weigert, alle Daten von doppelten Staatsbürgerschaften den USA zur Verfügung zu stellen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist insbes. für die zahlenmässig starken ungarischen Minderheiten in Rumänien und in der Ukraine(!!) besonders wichtig und Ungarn weigert sich, ihre Daten rauszugeben mit dem Argument, der Schutz der Sicherheit dieser Menschen habe absolute Priorität.
An dieser Stelle könnte man die Überlegung anstellen, ob die massenhafte Herausgabe von sensibelsten und persönlichsten Daten an fremde Länder wirklich vorbildlich rechtstaatliches Verhalten darstellt. Oder ob hier die sog. “Autokratie” und “Diktatur” Ungarn in Sachen souveränem und wehrhaftigem Umgang mit illegitimen Forderungen von Drittstaten nicht ein besseres Bild abgibt, als die EU.
KK
1. August 2023 @ 13:31
Die Biometriedaten liegen doch auf EUropäischen Rechnern vor – die alle eine Backdoor für US-Geheimdienste haben.
Ich wette, unsere Daten sind den US-Behörden längst bekannt.
Ausspionieren unter Freunden geht nämlich eben doch!