Dumping aus der Ukraine
Die EU will der Ukraine helfen, ihr Getreide an die ärmsten Länder der Welt zu verkaufen. Dafür hat sie den von der UN und der Türkei vermittelten Getreidedeal mit Russland um eine europäische “Solidarity Lane” nach Osteuropa ergänzt. Nun geht der Schuß nach hinten los.
Statt wie geplant nach Afrika oder in den Nahen Osten wurde ein Großteil des ukrainischen Getreides in die EU exportiert. In Spanien wurde es dann an die Schweine verfüttert – mit dem groß angekündigten Kampf gegen den Hunger hatte das nichts zu tun.
Doch das ist nicht das einzige Problem. Große Mengen des mit EU-Hilfe auf dem Landweg exportierten Getreides blieb in Lagern in Polen hängen und verdarb dort die Preise. Nach Bauernprotesten hat Polen nun kurzerhand den Import aus der Ukraine verboten.
Am Sonntag schloss sich Ungarn der Blockade an. Beide Länder begründeten ihr Vorgehen damit, Schaden von der heimischen Landwirtschaft abwenden zu wollen. Vor allem in Polen lagern große Vorräte ukrainischen Getreides, das billiger ist als das aus der EU.
Das Problem mit den Dumpingpreisen war bekannt – doch die EU-Kommission hat die Augen davor verschlossen. Nun tut die Behörde überrascht und verärgert: Einseitige Handelsmaßnahmen von EU-Mitgliedsstaaten seien nicht zulässig, erklärte ein Sprecher.
Doch mit einem Verweis auf die Rechtslage ist das Problem nicht gelöst. Im Gegenteil: Das (Miss-)Management durch die EU-Kommission in Brüssel hat die Probleme erst geschaffen. Eine überhastete Liberalisierung des Handels sorgt für Marktverzerrung.
Wer einem der weltweiten größten Exporteure von Getreide den unbegrenzten Zugang zum europäischen Markt ermöglicht, darf sich nicht wundern, wenn die Lager überquellen und die Preise verfallen. Doch nicht einmal der EU-Agrarkommissar hat sich gekümmert!
Deshalb gehört nun die gesamte Handels- und Agrarpolitik mit der Ukraine auf den Prüfstand. Es kann nicht sein, dass Brüssel für Kiew alles tut, aber die eigenen Bürger vergisst. Der zollfreie Import von Billig-Getreide ist nur das jüngste Beispiel …
Mehr zur Handelspolitik hier
P.S. Was für eine bittere Ironie, dass nun ausgerechnet Polen die Importe aus der Ukraine blockiert. Schließlich tritt kein EU-Land so lautstark für Solidarität mit Kiew ein wie Polen. Nun zeigt sich die Kehrseite der Medaille…
P.P.S Die EU-Kommission will an ihrem umstrittenen Kurs festhalten und Polen und Ungarn lediglich für Verluste entschädigen. Doch sie kann weder erklären, wofür es Kompensationen geben soll – noch wie die Rechtslage ist…
KK
17. April 2023 @ 19:46
@ Kleopatra:
“aber in der Ukraine war m.W. immer Großgrundbesitz die Regel, ob adliger (vor dem 1. WK), kommunistischer (unter der SU) oder jetzt kapitalistischer.”
Eben nicht; Die Situaltion nach der Unabhängigkeit vor gut 30 Jahren hatte sich geändert:
“Ein Teil des Grundbesitzes der damals etwa zwölftausend Kolchosen wurde entsprechend den Beschlüssen der Vollversammlungen von Kolchosmitgliedern ins Gemeinde- oder Staatseigentum übertragen. Der Großteil der landwirtschaftlichen Flächen wurde allerdings unter den ehemaligen Mitarbeitern und Pensionären der Kolchosen aufgeteilt. Auf diese Weise erhielten knapp 7 Millionen Ukrainer, die zumeist bis heute in ländlichen Gebieten leben, Anteilsscheine für landwirtschaftliche Grundstücke.” [Quelle: https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/324736/analyse-reformprozesse-auf-dem-landwirtschaftlichen-bodenmarkt-der-ukraine/ ]
Allerdings waren die Parzellen zu klein, als dass ein Bauer damit genug zum Lebensunterhalt verdienen konnte – also wurde bis zum Verbot des Verkaufs 2001 kräftig von denen gekauft, die das Geld hatten: Oligarchen und westliche Investoren.
Kleopatra
17. April 2023 @ 17:53
@ KK: Die durch Großgrundbesitz geprägte Struktur der ukrainischen Landwirtschaft wurde natürlich wie in Ostdeutschland etc. durch den Kommunismus vorbereitet; allerdings ist dort der Boden so fruchtbar, dass sich eine großmaßstäbliche Landwirtschaft erst lohnt. In Polen wurde die kleinbäuerliche Struktur von vor dem Krieg nie beseitigt (wie in anderen mittelosteuropäischen Staaten); aber in der Ukraine war m.W. immer Großgrundbesitz die Regel, ob adliger (vor dem 1. WK), kommunistischer (unter der SU) oder jetzt kapitalistischer. Dass Janukowitsch, wie Sie suggerieren, einen “Ausverkauf des Bodens an die bösen westlichen Konzerne” verhindern wollte, halte ich für ein Gerücht. Seine russischen Patrone wollten eine EU-Integration der Ukraine nicht, weil ein und derselbe Staat nicht gleichzeitig mit der EU assoziiert und – wie von Russland gewünscht – ein russischer Klientelstaat sein kann.
Kleopatra
17. April 2023 @ 12:53
@ebo: 1) Ich sehe durchaus, dass eine Problematik vorliegt, die Berichterstattung und Kommentierung verdient. Ich fand eher manche Formulierungen und Verallgemeinerungen (wie “alles für Kiew, nichts für die eigenen Bürger”) problematisch, da sie Kommentare anziehen, die zu einer rationalen Diskussion wenig beitragen.
2) Dass eine Regierung die Interessen der eigenen Wirtschaft vertritt, ist nicht nur legitim, sondern ihre Aufgabe und kann auch geschehen, ohne dass man es zu einer Frage der nationalen Gegensätze stilisiert. Deutschland hat jahrelang EU-Abgasregelungen unter massivstem Machteinsatz den Bedürfnissen der eigenen Autoindustrie angepasst. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die polnische Landwirtschaft viele Kleinbetriebe aufweist, während die Ukraine durch Großgrundbesitz gekennzeichnet ist. Da braucht man genauso einen Interessenausgleich wie für die französische Landwirtschaft. Ansonsten wissen die Ukrainer gut, wer sie mit dem unterstützt, was im Krieg leider nötiger ist als alles andere, nämlich Waffen.
3) Bei allen seinen Verdiensten ist Donald Tusk zunächst ein prominenter Vertreter der politischen Gegner der PiS. Seine Aussagen über seinen politischen Gegner können deshalb nicht als objektive Beschreibungen gelesen werden; und bei vielen Kommentaren aus Polen ist für mich die Frage, ob hinter ihnen der unterschwellige Wunsch steht, die EU-Öffentlichkeit gegen die inländischen politischen Gegner zu mobilisieren. Ich würde die PiS übrigens nicht als verlogen und heimtückisch charakterisieren; eher scheint sie ihre in der West-EU unbeliebten Ansichten relativ offen zu vertreten und gerade nicht zu verheimlichen.
4) In Kriegszeiten kann man noch schlechter als sonst theoretische Regeln (zB. “Freihandel”) in reiner Form vertreten oder befolgen.
nissing
17. April 2023 @ 12:12
noch was Hintergrund:
https://extradienst.net/2023/04/17/zu-viel-weizen/
KK
17. April 2023 @ 11:42
@ Kleopatra:
„…dass die polnische Landwirtschaft viele Kleinbetriebe aufweist, während die Ukraine durch Großgrundbesitz gekennzeichnet ist.“
Warum das so ist mit dem Großgrundbesitz in der Ukraine konnten sie in der deutschen Presse lesen, als die noch nicht völlig interessengeleite Propagandascheleudern waren:
https://www.zeit.de/wirtschaft/2015-03/ukraine-landwirtschaft-schwarzerde-monsanto/komplettansicht
Oder bei der damaligen LINKS-Fraktion:
https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/agrarkonzerne-kaufen-die-ukraine-auf/
Hauptsächlich wegen dieses Ausverkaufs der ukrainischen Landwirtschaft an westliche Investoren hatte Janukowitsch Ende 2013 das Assoziierungsabkommen mit der EU abgelehnt, worauf der Westen sich dann wohl genötigt sah, diesen unbequemen, aber demokratisch gewählten Präsidenten Anfang 2014 im Interesse ihrer Grosskonzerne und ihrer Lobby wegputschen zu lassen.
Und genau dieser „Euro-Maidan“ genannte Putsch war der Beginn des ukrainischen Bürgerkriegs und damit der Auslöser dessen, was heute in EUropa abgeht!
KK
17. April 2023 @ 11:30
@ Kleopatra:
„…birgt die Gefahr, Kommentatoren aus Ecken anzuziehen, die Sie wohl nicht wollen“
Gnothi seauton!
Kleopatra
17. April 2023 @ 08:35
Den gehässigen Kommentar über Polen hätten Sie sich sparen können. Dass ein Land die eigenen vitalen Interessen in Rechnung stellt, ist nicht mehr als legitim und mit Solidarität mit einem angegriffenen Nachbarn durchaus vereinbar – die Aufgabe besteht eben darin, einen vernünftigen Kompromiss zu finden. Der Tonfall, in dem Sie manchmal über Probleme in der EU schreiben, birgt die Gefahr, Kommentatoren aus Ecken anzuziehen, die Sie wohl nicht wollen (ich denke zB. an den Kommentator, der eine Aufteilung Polens zwischen Deutschland und Russland vorschlug). So etwas wollen Sie doch hoffentlich nicht fördern?
ebo
17. April 2023 @ 09:08
Die PiS-Regierung in Warschau kann man nicht genug kritisieren. Sie ist verlogen und agiert heimtückisch. Donald Tusk, der ehemalige EU-Ratspräsident und heutige Oppositionsführer, kann ein Lied davon singen…
ebo
17. April 2023 @ 09:44
Die polnische Zeitung “Rzeczpospolita” kommentiert übrigens so:
“Die nationalkonservative PiS-Regierung will den Landwirten zeigen, wie sehr sie sich um sie kümmert. Doch diese Entscheidung ist katastrophal für die Glaubwürdigkeit unseres Landes. Erstens führt sie zu einem noch nie dagewesenen Konflikt mit der EU. Juristen können darüber streiten, ob und inwieweit die Justiz in den EU-Verträgen erwähnt wird, aber was den Freihandel betrifft, ist die Sache klar – es handelt sich um eine Kompetenz, die Polen an Brüssel abgetreten hat.
Zweitens trifft die PiS-Entscheidung die ukrainische Landwirtschaft. Der Export ihrer Produkte sollte eine Einnahmequelle während des Krieges mit Russland sein. Und wer profitiert davon, dass Polen in einen schärferen Konflikt mit Brüssel gerät? Wer profitiert von der Schwächung der ukrainischen Wirtschaft? Wer profitiert davon, dass der Ruf Polens als treuer Freund und Befürworter der Ukraine, der sie gegen Russland unterstützt, Schaden nimmt? Nein, nicht die polnischen Bauern, sondern Wladimir Putin.”
KK
16. April 2023 @ 21:54
@ ebo:
„Allerdings ist der Verweis auf die EU-Handelsregeln heuchlerisch. Als die USA die Niederlande gezwungen haben, den Export von Mikrochips nach China einzustellen, hat die EU-Kommission nicht protestiert…“
Die EUCO hatte auch nicht protestiert, als Trump und die USA angefangen hatten, europäische Firmen und Privatpersonen wegen ihrer Beteiligung an NS2 – übrigens auch völlig völkerrechtswidrig – zu sanktionieren.
european
16. April 2023 @ 20:34
Als Bulgarien Mitte März bereits den Einfuhrstopp aus genau diesem Grund forderten, verhalte dieser Ruf ungehört. Wen interessiert schon das ärmste Land Europas.
https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/bulgarische-anbauer-import-stopp-fuer-weizen-aus-der-ukraine-12251869
ebo
16. April 2023 @ 20:37
Tja. Polen ist da schon ein anderes Kaliber…
Allerdings ist der Verweis auf die EU-Handelsregeln heuchlerisch. Als die USA die Niederlande gezwungen haben, den Export von Mikrochips nach China einzustellen, hat die EU-Kommission nicht protestiert…
Hekla
16. April 2023 @ 17:06
Gesetzt den Fall, französische Landwirte wären durch die Getreideimporte aus der Ukraine betroffen gewesen – hätte die EU Frankreich auch monatelang erfolglos antichambrieren lassen? Wohl nicht, französische Agrarinteressen gehören seit jeher zum EU-Heiligtum. Das monatelange Schweigen und Nichtstun der EU zu diesem Problem hat m.E. sehr wohl auch damit zu tun, welche Länder betroffen sind. Man kann EU-seits über die Regierungen dieser Länder halten, was man will, aber man kann nicht die dortigen Wirtschaften und die Existenzgrundlage der dortigen EU-Bürger wegen ihrer missliebigen Regierungen vernichten. Und das auch noch für Drittstaaten.
KK
16. April 2023 @ 17:00
“Es kann nicht sein, dass Brüssel alles für Kiew tut, jedoch die eigenen Bürger vergisst.”
Doch, genau das ist die Doktrin in Brüssel und den allermeissten europäischen Ländern – auch den ausserhalb und nur mit der EU assoziierten wie Norwegen, der Schweiz und dem UK – seit spätestens dem 24. Februar 2022!
Und von der Leyen schwingt ihr Zepter (so weit sind wir schon wieder, dass unsere Regentschaft sowas schwingen kann!) dazu als Taktstock für diese Melodie.