Angst vor Salvini – Werben um Mercosur

Ein Defizitverfahren gegen Italien war noch nie eine gute Idee. Noch schlechter wäre es allerdings, vor den Rechtspopulisten in Rom zu kuschen. Doch genau das zeichnet sich ab.

Valdis Dombrovskis gab sich unbeugsam: Diesmal werde man hart gegen den „Schuldensünder“ Italien durchgreifen, erklärte der Vizepräsident der EU-Kommission Anfang Juni.

Doch nun, da es an die Umsetzung geht, kommen der EU-Behörde plötzlich Zweifel. Eine Entscheidung über das Defizitverfahren wurde vertagt. In Rom hofft man nun auf eine Lizenz für noch mehr Schulden.

“Das Kollegium ist keine Industriefabrik, die einen bestimmten Output liefern muss“, begründete Kommissionssprecher Margaritis Schinas den überraschenden Rückzieher.

Die Entscheidung sei um eine Woche verschoben worden. Eine Begründung wollte Schinas nicht liefern. Doch für die Vertagung gibt es in Brüssel eigentlich nur einen Grund: Die Kommissare sind sich nicht einig.

Ganz ähnlich wie im vergangenen Herbst, als ein Defizitverfahren schon einmal in letzter Sekunde gestoppt worden war, steht auch diesmal Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici auf der Bremse.

Der Franzose fürchtet, dass ein Sanktionsverfahren den italienischen Innenminister Matteo Salvini und seine rechtsradikale Lega stärken könnte. Am Ende könnte Salvini die Macht übernehmen, so die Sorge. 

Es müsse vermieden werden, dass die Haltung der Kommission für die politischen Zwecke bestimmter Zirkel in Italien ausgenutzt werde, soll Moscovici gesagt haben.

Zwar gebe es keinen Zweifel mehr, dass Italien gegen die EU-Stabilitätsregeln verstoßen hat, heißt es in einem geleakten Sitzungsprotokoll. Aber man müsse vermeiden, die Euroskeptiker in Rom gegen sich aufzubringen.

Es geht also wieder einmal um Politik, nicht (nur) um die  Finanzen. Darf man daraus im Umkehrschluss ableiten, dass der italienische Schuldenberg in Höhe von der 132 Prozent der Wirtschaftsleistung gar nicht so schlimm ist?

Nein, sagen die Hardliner in der Kommission, zu denen neben Dombrovskis auch der deutsche Kommissar Günther Oettinger (CDU) zählt. Im Falle Italiens sei es nicht fünf vor, sondern schon fünf nach zwölf.

Doch die Hüter der Stabilitätsregeln konnten sich nicht durchsetzen. Laut Protokoll wurde in Brüssel sogar diskutiert, Italien eine halbjährige Schonfrist zu gewähren – bis Januar 2020.

Auch dahinter stecken politische Erwägungen. Die nächste EU-Kommission kommt nämlich erst im November oder Dezember ins Amt. Bis dahin soll Ruhe herrschen – die EU hat mit dem Brexit schon genug Ärger.

In London könnte es Ende Oktober zum Showdown kommen. Und in Brüssel hat man offenbar Angst davor, sich gleichzeitig mit Salvini anzulegen…

Siehe auch “Wo Salvini recht hat”

Watchlist

  • Kommt der Freihandel mit den Mercosur-Staaten? Die Verhandlungen sind beendet, am Mittwoch sind die Minister aus Lateinamerika zu einem Dinner nach Brüssel geladen. Danach könnte es alles ganz schnell gehen – dabei haben Brasilien & Co. weder das Klimaabkommen von Paris ratifiziert noch die Rechte von Arbeitnehmern gesichert. Doch Merkel stört das nicht – sie macht Druck auf Brüssel, schnell abzuschließen…

Was fehlt

  • Die Krise des EU-Austrittsabkommens mit UK. Der wahrscheinlich nächste britische Premier Boris Johnson hat den Brexit-Vertrag für tot erklärt. Man müsse die Teile des Deals herausnehmen, die brauchbar seien, und diese umsetzen, sagte Johnson. Zu den “brauchbaren Teilen” zählt er die Regelung zum Schutz von EU-Bürgern, die in Großbritannien leben. Eher unbrauchbar sei hingegen die Abschlussrechnung aus Brüssel.