Angst um die Mitte – Fürchtet die Jugend!

Stell Dir vor, es ist Europawahl, und keiner sichert den etablierten Parteien eine Mehrheit! Diese Sorge treibt Konservative und Sozialdemokraten um. Zu Recht, denn das Mißtrauen in die Demokratie ist stärker geworden, die Mitte schrumpft.

Noch ist das Rennen zwischen Manfred Weber und Frans Timmermans nicht gelaufen. Noch buhlen die Spitzenkandidaten der beiden großen europäischen Parteienfamilien – EVP und S&D – um Wählerstimmen.

Doch auf ein Novum stellen sich Weber und Timmermans schon jetzt ein: Ohne eine dritte Partei, vermutlich Grüne oder Liberale, werden sie im neuen EU-Parlament keine Mehrheit erringen.

Die Mitte schrumpft, die bisher stabile Mehrheit aus Konservativen und Sozialdemokraten ist dahin. Dies zeigen alle Umfragen und Hochrechnungen für die Abstimmung am Sonntag.

So weist die letzte Projektion des Europaparlaments von Mitte April nur noch 149 Sitze für die Timmermans S&D und 180 für Webers EVP aus. Das macht zusammen 329 – zu wenig für eine Mehrheit, die bei 376 Sitzen liegt.

Die Verluste gehen nicht nur auf das Konto der Rechtspopulisten und Nationalisten. Besonders viele Stimmen könnten die Etablierten an neue, unbekannte Parteien verlieren, denen stolze 62 Sitze vorhergesagt werden.

Gelbwesten, Piraten, Tierschützer oder die deutsche Satire-PARTEI sind im Aufschwung – und tragen zur Zersplitterung bei. “Fragmentierung” nennt man das im EU-Jargon.

Für Franziska Schröter von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin ist das keine Überraschung. Sie untersucht bereits seit 2006 die Veränderungen in der gesellschaftlichen Mitte Deutschlands.

Die letzte „Mitte-Studie“ sorgte für Streit. Denn sie brachte nicht nur eine hohe Zustimmung zur EU zu Tage, sondern auch weitverbreitete Vorurteile gegenüber Ausländern und einen Verlust demokratischer Orientierung.

Immerhin 86 Prozent der Befragten möchten, dass der Zusammenhalt in der EU gestärkt wird. Doch gleichzeitig wurden große Vorbehalte gegen über der Demokratie und den Eliten deutlich.

„Wir haben eine generell kritische Haltung zu den Eliten und zum Funktionieren der Demokratie festgestellt“, sagt Schröter, die die Studie („Verlorene Mitte – Feindselige Zustände“) herausgegeben hat.

Dies schlage sich auch in der Haltung zu Brüssel und zur Europawahl nieder, so die Expertin. Brüssel sei zu weit weg, ein Gefühl der Machtlosigkeit breite sich aus.

„Die demokratischen Kräfte müssen hier für Lösungen sorgen“, warnt Schröter. Sonst werde das Mißtrauen in die Demokratie weiter wachsen.

In Großbritannien könne man jetzt schon beobachten, wie der demokratische Prozess zerstört wird – und welche absurden Folgen dies für die EU hat. Wohl wahr…

Watchlist

  • Am zweiten Tag der Europawahl dürfen Iren und Tschechen abstimmen gehen. Derweil finden in Deutschland die großen Abschlusskundgebungen statt. Interessant ist aber eigentlich nur der Auftritt der SPD in Bremen, die verzweifelt versucht, eine schwere Wahlschlappe zu verhindern. Die Bremen-Wahl findet genau wie die Europawahl in Deutschland am Sonntag statt. Doch für Berlin ist sie fast noch wichtiger als das EU-Votum…
  • Wird die Protestbewegung zum Klima noch größer? Dies wird sich beim zweiten globalen “Fridays für Future” zeigen.. Am ersten Klimastreik Mitte März hatten sich nach Angaben der Organisatoren etwa 1,9 Millionen Menschen in mehr als 2000 Städten beteiligt, darunter auch viele Schüler und junge Erwachsene in Deutschland. Diesmal sollen es noch mehr werden, hoffen die Veranstalter.

Was fehlt

  • Die Angst der CDU vor der Jugend. Die Christdemokraten haben keine Parade auf das Youtube-Video von Rezo gefunden (“Die Zerstörung der CDU”) und fürchten nun, bei der Europawahl von Jungwählern ignoriert oder abgestraft zu werden. Völlig zu Recht, den bei der Copyright-Reform und im Klimaschutz hat sich die CDU brutal über die Interessen der Jugend hinweggesetzt. Die SPD übrigens auch, aber sie gelobt Besserung…
  • Die erste Überraschung bei der Europawahl: Laut Ipsos-Prognose liegen die Sozialisten des europäischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans in den Niederlanden vorn. Sie liegen bei 18,4 Prozent der Stimmen, was fünf Sitze im EU-Parlament bedeuten würde. Die rechtsliberale Partei von Regierungschef Mark Rutte liegt nur auf Platz zwei. Auch die Grünen haben gut abgeschnitten – deutet sich da eine Trendwende an?

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