Anerkennung für Islamisten, Strafen für Fake News & “Fritze erzählt Tünkram”
Die Watchlist EUropa vom 17. Dezember 2024 – Heute mit News und Analysen zum neuen EU-Kurs in Syrien, den nächsten Russland-Sanktionen und dem Ende der Berliner “Fortschrittskoalition”
Der Umsturz in Syrien hat bei der neuen EU-Spitze die Hoffnung geweckt, dass Russland und Iran geopolitisch geschwächt werden und endlich ein wenig Ruhe und Stabilität in den Nahen Osten einkehrt.
„Syrien steht vor einer erwartungsfrohen, positiven, aber eher ungewissen Zukunft“, sagt die neue EU-Außenbeauftragte Kallas bei ihrem ersten Außenminster-Treffen in Brüssel. Die EU wolle mithelfen, das Land nach dem Sturz des Assad-Regimes zu stabilisieren.
Daher hat sie entschieden, den deutschen EU-Diplomaten Michael Ohnmacht nach Damaskus schicken. Ohnmacht sollte dort noch gestern eintreffen und Kontakt mit den neuen islamistischen Machthabern aufnehmen.
Total normal?
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Die USA und Großbritannien stehen nach eigenen Angaben bereits mit der nun tonangebenden, von der Türkei und Katar unterstützten islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) in Kontakt.
Eine französische Delegation soll am Dienstag in Damaskus eintreffen, um Kontakt zur neuen Führung in Syrien aufzunehmen. Auch die Bundesregierung will bald eine Delegation nach Damaskus schicken.
Alle reden mit den Islamisten, als wäre es das Normalste der Welt. Allerdings ist unklar, ob und wie die Europäer mit HTS zusammen arbeiten können. Die Uno und die EU stufen sie bisher nämlich noch als “Terrorgruppe” ein.
“Russen raus”
Luxemburgs Außenminister Bettel sagte, es sei “zu früh”, die Miliz von der Sanktionsliste zu nehmen. “Es sind keine Engel“, so Bettel. Vielmehr handele sich um frühere Terroristen, die sich von Al-Kaida abgespalten hätten.
Doch anders als in Afghanistan scheint dies in Syrien nicht weiter zu stören. Hauptsache, die Russen sind weg. „Wir wollen die Russen raushaben”, sagte der niederländische Außenminister Caspar Veldkamp ganz unverhohlen.
Zu den US–Amerikanern, die wichtige Ölfelder besetzen, und den Türken, die die Kurden bombardieren, sagten die Außenminister nichts. Ob es vielleicht daran liegt, dass beides Nato-Länder sind, für die wohl eigene Regeln gelten?
Siehe auch Syrien: Plötzlich sind Islamisten keine Gefahr mehr und Hauptsache gegen Russland: Wofür die EU alles Geld gibt
P.S. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ist übrigens am Dienstag in Ankara, wo sie mit Sultan Erdogan über Syrien sprechen will. Man darf gespannt sein, ob sie ihn zur Aufgabe seiner neo-osmanischen Expansionspolitik überreden kann – andernfalls: next stop Damaskus?
News & Updates
- Strafen gegen “Fake News”. Eigentlich sollte das neue EU-Sanktionspaket vor allem auf die “Geisterflotte” zielen, mit der Russland sein Öl verschifft. Doch nun wurden auch noch Strafen gegen mutmassliche russische Geheimagenten wegen “hybrider” Angriffe in Deutschland verhängt. Die EU-Außenminister billigten eine Liste mit 19 Verdächtigen, von denen mindestens fünf direkt oder indirekt an Spionage oder Desinformation gegen die Bundesrepublik beteiligt gewesen sein sollen. Sie werden mit Einreise- und Vermögenssperren belegt. – Ein Präzedenzfall. Wer in Deutschland “falsch” berichtet, kann nunmehr von der EU belangt werden…
- Patt in Georgien. Ende 2023 wurde Georgien überraschend zum EU-Beitrittskandidaten erklärt. Ein Jahr später ist die Luft raus: Die Regierung in Tiflis hat die Gespräche für vier Jahre ausgesetzt und geht massiv gegen pro-europäische Proteste vor. Deswegen wollte Brüssel nun Sanktionen verhängen – doch Ungarn und die Slowakei haben ihr Veto eingelegt. – Das Gezerre zeigt, dass es ein Fehler war, Georgien den Kandidatenstatus zu verleihen...
- Israel fordert die EU heraus. Die neue EU-Spitze hofft auf eine Stabilisierung in Syrien. Doch Israel spielt nicht mit – im Gegenteil. Israel flog am Montag die heftigsten Luftangriffe auf Syrien seit Jahren. Zuvor hatte die Regierung angekündigt, die syrischen Golanhöhen nicht nur dauerhaft zu besetzen, sondern auch verstärkt zu besiedeln. Außerdem legt sie sich mit Irland an. Doch die EU-Außenvertreterin Kallas schweigt. – Mehr im Blog
Das Letzte
“Fritze erzählt Tünkram”. Nun steht sie endgültig auf Rot, die “Ampel” der Berliner “Fortschrittskoalition”. Nachdem FDP-Chef Lindner zu lange und zu penetrant gelb geblinkt hatte und von den Grünen einfach gar kein (grünes) Licht mehr kam, musste es wohl so enden. Die Ampel hat fertig, niemand weint ihr eine Träne nach. Doch die Häme, mit der sich die ehemaligen Koalitionspartner am Montag in Berlin gegenseitig das Vertrauen entzogen haben, ist bedenklich. Ungewöhnlich dünnhäutig zeigte sich Kanzler Scholz. “Fritze erzählt Tünkram” erwiderte er auf die Kritik von CDU-Kandidat Merz, dass Scholz auf EU-Gipfeln öfter schweigend dabei sitze, ohne sich einzuschalten. “Tünkram” ist Plattdeutsch und heißt so viel wie dummes Zeug oder Unsinn. In der Sache hat Scholz recht – aber in er Form…naja!
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Stef
17. Dezember 2024 @ 15:21
Dass hier mit islamistischen Terroristen gesprochen wird, ist vor allem deshalb bedenklich, weil es unterstellt, dass die dauerhaft das Sagen in Syrien hätten. Ob es nach der Flucht Assads überhaupt einen Akteur in Syrien gibt, der auch nur ein Mindestmaß an Ordnung auf nationaler Ebene gewährleisten kann, ist noch lange keine ausgemachte Sache. Eher ist zu befürchten, dass hier ein weiterer failed State entsteht.
Von daher ist die Aufnahme von Gesprächen und die Ensendung von Emissären eher Theater als Politik. Echter Politik ist die Bahn versperrt. Eine politische Analyse der Situation in Syrien müsste die Frage beantworten, woher die Macht ünerhaupt kommen kann nach einem blutigen Bürgerkrieg mit unzähligen konkurrierenden, bedrohten und um ihr überleben kämpfenden Gruppierungen sowie einem eskalierenden und komplizierten Nahostkrieg. Eine solche Analyse auch nur zu denken, nachdem man den Abgang von Assad bejubelt, Terroristen weißgewaschen und syrische Flüchtlinge auf die Abschiebung in die befriedete Heimat vorbereitet hat, scheint sich wegen evidenter Widersprüche eher zu verbieten.
Erstaunlich ist, wie sich unsere Politelite immer wieder in eine Position manövriert, aus der sie nicht wieder raus kann, ohne komplett das Gesicht zu verlieren.
Helmut Höft
17. Dezember 2024 @ 10:59
„Alle reden mit den Islamisten, als wäre es das Normalste der Welt.“
Worüber wird geredet? Das wäre interessant! Vllt. brauchen die Islamer ein bisschen Taschengeld? Auch könnten, auf mittlere Sicht, frei gewordenen Gefängniszellen wieder besetzt werden? Was „Regeln“ angeht: Fragen über Fragen. (siehe auch €U und Georgien & Co. und „Strafen gegen mutmassliche“: Urteil vor Prozess, Beweiserhebung: Geheime Geheimdienst – so geht freiheitliche Rechtsordnung, frei von allem!)
Btw.: „Wer redet schießt nicht.“ Man muss in jedem Fall mit der anderen Seite reden – Islamer hin, Islamer her – selbst mit, Eigenbezeichnung, Terrorgruppen (auf der anderen Seite sind das ja die Helden)!! Reden und zwar enrnsthaft!