Alles falsch

Die EU-Kommission soll noch mehr Macht bekommen. Die Brüsseler Behörde müsse nationale Haushalte korrigieren und sogar in die Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik eingreifen, forderte Kanzlerin Merkel im Europaparlament.  Von einem Super-Sparkommissar à la Schäuble ist zwar keine Rede mehr. Dennoch sind die Pläne beunruhigend – denn bisher erwiesen sich die meisten Schätzungen und Empfehlungen der Kommission als falsch.

Das war ein Auftritt! Nach einer einschläfernden Grundsatzrede stellte sich Merkel am Mittwoch Nachmittag den Fragen der Europaabgeordneten. Und dabei ging es hoch her. Denn fast alle MEPs sind mit der Politik der „eisernen Kanzlerin“ unzufrieden. Selbst der Chef der konservativen Fraktion, Merkels Parteifreund J. Daul, stellte kritische Fragen. Doch Merkel bluffte zurück und versuchte, die Abgeordneten mit vagen Versprechen um den Daumen zu wickeln.

Mehr Eiunfluß auf das Euro-Krisenmanagement soll das Europaparlament allerdings nicht erhalten. Im Gegenteil: die wird, wenn es nach Merkels Plänen geht, bei der nicht gewählten EU-Kommisson konzentriert. Währungskommissar Rehn soll künftig direkt in die nationale Haushaltspolitik hineinregieren und sogar in die Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik eingreifen dürfen. Dabei soll er sich strikt an deutsche Vorstellungen halten.

Nach dem Fiskalpakt, der Schuldenbremsen nach deutschem Muster in ganz Euroland vorsieht, dürfen wir uns nun auf Agenda-Politik und Hartz IV für alle freuen.

Doch die Kanzlerin macht den Bock zum Gärtner. Nicht nur, dass Rehn und sein Chef Barroso immer wieder davor zurückscheuen, energisch gegen Fehlentwicklungen einzuschreiten – etwa gegen das Budgetdefizit in Frankreich oder gegen den Leistungsbilanz-Überschuss in Deutschland. Viel schlimmer noch ist, dass Rehns Analysen sich als chronisch unzuverlässig erwiesen haben; die letzten Prognosen waren sogar schlicht falsch.

Deutlich wurde dies gestern im Herbstgutachten: Rehn musste seine letzte Prognose aus dem Frühjahr drastisch nach unten korrigieren. Aus der „milden Rezession“, die für diesen Herbst vorhergesagt war, wird nun eine schwere, die im Winter wahrscheinlich sogar Deutschland erfasst, wie die FTD meldet. Die Erholung wurde von 2013 auf 2014 vertagt, die Besserung am Arbeitsmarkt gleich ganz gestrichen (mehr dazu hier).

Besonders besorgniserregend ist, dass die EU-Kommission, die schon die Finanzkrise nicht kommen sah, auch bei  den Euro-Krisenstaaten falsch liegt. Bei den „Musterschülern“ Irland und Portugal wurde das Wachstum nach unten korrigiert, beim gefolgsamen Spanien stimmt überhaupt keine Zahl mehr (2013 wird es noch schlimmer), und in Griechenland gelingt es nicht einmal mehr durch Rechentricks, die Depression und den drohenden Zusammenbruch wegzuzaubern.

Schnapsidee des Jahres

Meine Einschätzung ist, dass die EU-Kommission an dieser Negativentwicklung mitschuld ist, weil sie den Krisenländern und der gesamten Eurozone eine unangemessene Austeritätspolitik verschreibt. Ähnliche Kritik kommt vom IWF, doch Rehn ist weder in der Lage, seine Fehleinschätzungen einzugestehen, noch, die wirtschaftspolitischen Grundannahmen zu hinterfragen. Allenfalls räumt er Krisenländern wie Spanien oder Portugal etwas mehr Zeit ein – doch am verfehlten Kurs ändert sich nichts (mehr dazu in der britischen FT).

Ausgerechnet diesem Mann und seiner völlig überforderten Brüsseler Generaldirektion die Macht über Haushalts-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik in ganz Europa zu übertragen, also über die Kernbereiche staatlicher Souveränität und wirtschaftspolitischer Gestaltung, erscheint mir als Schnapsidee des Jahres. Doch Merkel verkauft das als „mehr Europa“ und „bessere Koordinierung“ …

Siehe zu diesem Thema auch meinen Beitrag „Vorsicht, mehr Europa“