Alle schwadronieren von “Künstlicher Intelligenz”
Was sind die großen Themen bei den Hearings der nächsten EU-Kommission: Der Klimaschutz? Der Handelskrieg? Der “European Way of Life”? Aber nein: Alle schwadronieren von “Künstlicher Intelligenz“!
“Make Europe fit for the Digital Age” – so hat die künftige Kommissionschefin von der Leyen das Aufgabengebiet von Margrethe Vestager definiert. Doch die Dänin ist nicht die einzige, die von “KI” redet.
Nein, auch der designierte Sozialkommissar Schmit aus Luxemburg, die umstrittene Französin Goulard, die Bulgarin Gabriel und viele andere Anwärter wurden zur “Artificial Intelligence” (AI) befragt.
Dabei weiß kaum jemand, wovon er redet. Geht es um maschinelles Lernen, neuronale Netze, automatisches Fahren – oder die “denkende Maschine”, die schon Alan Turing beschäftigte?
Weder die fragenden Europaabgeordneten noch die antwortenden Kommissare haben – so viel ist erkennbar – ein tieferes Verständnis der KI und ihrer inhärenten Problematik.
Kaum einem dürfte bewußt sein, dass schon der Begriff “Künstlichen Intelligenz” umstritten ist – und dass sie nicht für zivile Anwendungen, sondern für die Kriegsführung entwickelt wurde.
Die meisten EU-Politiker reden wie in den 80er Jahren, als der Wettlauf um die KI einsetzte – fast so, als habe sich seither nichts geändert, und als gehe es immer noch um “Standortpolitik”.
Wie problematisch das ist, zeigt sich gerade an der TU München. Die will ihr neues KI-Forschungszentrum doch tatsächlich von Facebook finanzieren lassen – ausgerechnet!
Problematisch ist auch der Ansatz der Kommissionschefin. Von der Leyen will binnen 100 Tagen ein KI-Gesetz vorlegen, das sich mit “humanen und ethischen Aspekten” beschäftigen soll.
Die KI soll dem Menschen dienen, heißt es in Brüssel. Dabei wurde sie doch erschaffen, den Menschen überflüssig zu machen, und ihn endlich auch auf geistiger Ebene zu überbieten.
Ob sich eine solche “disruptive” Technologie regulieren lässt, ist unter Experten umstritten. Vollends absurd aber wird es, wenn man – wie die EU – zugleich Rüstungsforschung fördert.
Denn die beruht mehr und mehr auf KI. Die “autonomen Killerroboter” lassen grüßen…
Siehe auch “Gibt es eine europäische KI?” und “Digitalpolitik: Wird mit Vestager alles gut?”
PS: Das Thema beschäftigt mich schon länger. Meine Diplomarbeit an der Universität Hamburg befasste sich 1991 mit dem Thema “Wissen ist Macht – Modernisierungspolitik am Beispiel der Künstlichen Intelligenz“.
Kwasir
9. Oktober 2019 @ 16:42
Die Problematik besteht doch darin, dass Technik nicht Selbstzweck ist, sondern von der Öffentlichkeit unbemerkt und schon gar nicht kontrolliert werden kann (hat man je eine Folgeabschätzung gesehen ?). Man lässt es laufen, der Markt wird es schon richten. Damit werden schon heute Grundlagen für intransparente Machtstruktureen geschaffen, die in erster Linie von wirtschaftlichen Interessen bestimmt werden. Da die Problematik sich schon seit Jahrzehnten (Turing Test 1950- Mc Cartney 1955) abzeichnete und sich spätestens in 1990-er Jahren in den Medien Widerhall fand , kann von einem Überraschungseffekt wohl kaum die Rede sein. Da es besonders in Deutschland zum guten Ton gehört, mit seinem Mathematik- Unwissen zu kokettieren, und es sich bei der KI um „irgend sowas Mathematisches“handelt, machten die Politikvertreter um dieses Thema einen grossen Bogen, zumal damit nicht eine einzige Wählerstimme gewonnen werden konnte/kann. Wozu also Zeit investieren in etwas, was man eh nicht verstehen wird (wollte). In 100 Tagen will vdL da nun auf die Schnelle einen Kodex zusammenbasteln ? Das zeigt doch nur dass „deep learning“ immer noch in der AI zu verorten ist, weniger in der Politik.
ebo
9. Oktober 2019 @ 18:35
Die Problematik bei KI bzw. AI ist vor allem, dass sie für strategische und militärische Zwecke genutzt wird. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurfte, so kommt er gerade rein:
Das Handelsministerium der USA hat acht Technologiefirmen auf eine Blacklist (PDF) gesetzt, weil sie an der Unterdrückung der uigurischen Minderheit beteiligt sind. Die Aktivitäten der Firmen werden damit als „gegen die außenpolitischen Interessen der Vereinigten Staaten gerichtet“ eingestuft. Begründet wird die Listung mit Menschenrechtsverletzungen gegen die uigurische Minderheit.
Unter den Firmen befindet sich das weltweit am höchsten bewertete KI-Unternehmen SenseTime, welches für das nationale Sicherheits- und Überwachungsprogramm Chinas arbeitet. Weitere Firmen sind die Gesichtserkennungsspezialisten Megvii und Yitu sowie die Spracherkennungsfirma iFlyTek.
Kwasir
9. Oktober 2019 @ 20:35
Ob die deutschen Sicherheitsbehörden wohl ohne “consulting” Hilfe ihre Gesichtserkennungsprogramme erfolgreich getestet haben ?
Mir fehlt der Glaubve an eine etwa gar altruistisch-humanitäre Motivation hinter dem blacklisting wegen der Uiguren, deren ETIM (Eastern Turkesstan Islamic Movement) ja selbst gelistet ist als Terrororganisation. Von den “guten” (irony) Beziehungen zu den uigurischen Guantanamo Gefangenen mal gar nicht zu reden.
Die Sorge der USA dürfte sich m.E. eher auf den Aspekt der nationalen Sicherheit zu beziehen (“pose a significant risk of being or becoming involved, in activities contrary to the NATIONAL SECURITY … of the United States”, da ein – wenn vielleicht auch nur indirekter – know transfer von diesen auch auf dem US Markt aktiven Firmen zugunsten der chinesischen KI Technologie nicht ausgeschlossen werden kann. Da bereits alle Chinesisch “gesichtserkannt” werden, scheint mir diese Zusammenarbeit mit den AI Spezialisten auch schon länger zu existieren. Die Verknüpfung mit der Unterdrückung der Uiguren wäre dann nur ein Vorwand.
Es ist höchste Zeit, dass das Recht auf das eigene Gesicht nicht nur im GG verankert wird, sondern EU-weit vollen Rechtsschutz erhält. Mal sehen mit was die vdL – Kommission in 100 Tagen rüber kommt. Die bisherigen Ansätze scheinen ja von allem etwas zu sein, aber nicht Fisch, nicht Fleisch.
ebo
9. Oktober 2019 @ 20:52
Im Kern dürfte es darum gehen, die (mittlerweile führende) chinesische KI zurückzudrängen. Das MIT hat bereits angekündigt, die Forschungszusammenarbeit zu überprüfen.
Peter Nemschak
8. Oktober 2019 @ 21:28
In Sachen KI schwanken die Menschen zwischen Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitskomplexen gegenüber der Technik, so der Chefredakteur der NZZ. Meines Erachtens wurden die heute Regierenden von der rasanten Entwicklung der Technik abgehängt und wirken daher hilflos.