David gegen Goliath

Braucht Europa eine Agenda 2010? Zehn Jahre nach Schröders immer noch umstrittener Initiative wird diese Frage aktuell: Beim EU-Gipfel nächste Woche will Kanzlerin Merkel den Euroländern eine Rosskur nach deutschem Vorbild verordnen. Belgien hat schon mal angefangen – mit verheerenden Ergebnissen.

Man nehme ein kleines Land an der Westgrenze Deutschlands. Es ist weltoffen, stellt den EU-Handelskommissar, ist Heimat der EU-Kommission, und orientiert sich brav an dem großen Nachbarn im Osten.

Belgien legt großen Wert auf solide Finanzen, auf „Wettbewerbsfähigkeit“, auf eine leistungsfähige Industrie. Zusammen mit den Niederlanden und Luxemburg ist es ein natürlicher Verbündeter Deutschlands.

Vielmehr: es war ein natürlicher Verbündeter. Denn seit einiger Zeit geht alles schief  – obwohl Brüssel sich an Berlin orientiert. Erst ging die Autoindustrie den Bach runter, dann die Stahlindustrie, nun auch noch der Rest.

Als Renault in Vilvoorde dicht machte, gab man noch den egoistischen Franzosen die Schuld. Als Opel in Antwerpen folgte, stellte man sich schon Fragen: War das Werk nicht moderner als das in Bochum, und rentabler – weil direkt am Meer?

Als dann auch noch Ford in Genk dichtmachte, randalierten aufgebrachte belgische Arbeiter bei Ford in Köln. Denn dass Belgien seine Autoindustrie verliert, ist nicht seine Schuld.

Es liegt einzig und allein daran, dass man in der Krise – die in der Autobranche zur Dauerkrise werden könnte – lieber einen kleinen Markt aufgibt als einem großen. Trotz guter „Wettbewerbsfähigkeit“ verliert David Belgien gegen Goliath Deutschland.

Ähnlich hoffnungslos ist der Kampf gegen die Eurokrise. Die Regierung Di Rupo hat nun schon das vierte Sparprogramm in Folge aufgelegt. Doch wegen der schlechten Konjunktur reicht das Geld hinten und vorne nicht.

Belgien droht sogar ein Defizitverfahren, weil die Stützung der Pleitebank Dexia auf das Budgetdefizit angerechnet werden soll. Im schlimmsten Fall droht deshalb sogar eine Strafe von bis zu 740 Mill. Euro, wie „Le Monde“ meldet.

Immerhin gibt es auch eine „positive“ Nachricht: die Belgier haben angefangen, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Der bisher automatische Inflationszuschlag für die Löhne (Indexierung) soll abgeschafft werden.

Doch dagegen gehen die Gewerkschaften auf die Barrikaden. Sie drohen mit Generalstreik – Merkels Agenda-Politik kommt in Belgien gar nicht gut an. Jetzt ist auch noch der Finanzminister zurückgetreten, die Regierung wackelt.

Belgien hat seine Treue zu Deutschland teuer bezahlt. Beim letzten EU-Gipfel hat Di Rupo schon offen  Front gegen Merkel gemacht. Ob er auch beim Treffen nächste Woche „nein“ sagt?

Oder ob er einfach nur erzählt, wie es seinem Land ergangen ist? Wenn Merkel zuhören würde, könnte sie viel lernen. Wie Belgien ergeht es derzeit nämlich vielen kleinen Ländern im angeblich prosperierenden Norden…

Siehe zu diesem Thema auch: „Merkels neue Freunde schwächeln“ und „Die zweite Front
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