Affront gegen Frankreich: Lindner fordert strikte Haushaltsdisziplin
Mit seiner dogmatischen Budgetpolitik hätte er fast die Berliner Ampel-Koalition gesprengt. Nun knöpft sich Finanzminister Lindner auch noch Frankreich vor.
Beim Treffen der Eurogruppe in Brüssel schloß sich Lindner der EU-Empfehlung zu mehr Budgetdisziplin an. “Wir müssen mit dem auskommen, was unsere Volkswirtschaften in der Lage sind zu tragen, und insofern unterstützen wir diese Empfehlung zu einer restriktiven Fiskalpolitik”, sagte der FDP-Politiker.
Die EU-Kommission hatte im Juni Verfahren wegen übermäßiger Defizite gegen Frankreich, Italien, Belgien, Polen, Malta, die Slowakei und Ungarn auf den Weg gebracht. Ihre Neuverschuldung liegt höher als die EU-Obergrenze von drei Prozent des BIP, die auf Drängen Lindners wieder eingeführt worden war.
“Jede künftige französische Regierung wird sich an diese Regeln halten müssen“, so Lindner. Das ist pikant – denn in Frankreich wurde gerade erst gewählt. Die siegreiche Linke lehnt einen Sparkurs à la Lindner ab – sie plant erhebliche Mehrausgaben. Dies ist jedoch nicht das einzige Problem.
Das Hauptproblem ist vielmehr, dass die Schulden unter Präsident Macron und seinem Finanzminister Le Maire rasant angestiegen sind – u.a., um die Coronakrise zu bekämpfen und die Inflation zu dämpfen. Macron und Le Maire waren es aber auch, die den schärferen Schuldenregeln zugestimmt haben.
Damit legen sie sich und ihren Nachfolger in der Regierung ein viel zu enges Korsett an. Le Maire beziffert die nun fälligen Einsparungen alleine in diesem Jahr auf rund 25 Milliarden Euro, um das Defizit von zuletzt 5,5 Prozent bis 2027 wieder auf drei Prozent zu drücken.
Gleichzeitig fordern die EU und die Nato immer höhere Ausgaben für Waffen für die Ukraine und die Militarisierung der europäischen Wirtschaft. So legen sie die Basis für eine Eurokrise 2.0…
Helmut Höft
17. Juli 2024 @ 03:19
Vllt. erklärt der Herr Lindner den Franzosen (und uns) einmal wie dieses Zahlenspiel 60/3 enstanden ist (60 % „Staatsschulden,“ mehr ist pfui, 3 % Haushaltsdefizit, mehr ist pfui). Vllt. gibt es da ja Unterlagen und ideologiefreie Studien ohne logische Brüche? Dann könnten alle die Weisheit die hinter diesen Zahlen steckt erkennen und dankbar auf die Knie sinken.
Aber, sattdessen: „Was machen Lindner“? https://www.welt.de/politik/deutschland/article251765350/Schuldenbremse-Lindner-missbraucht-Steuergelder-um-seinem-ideologischen-Hobby-zu-froenen.html Schon ein cleverer Typ, dieser Lindner, gelle! (Ironie aus)
european
17. Juli 2024 @ 10:45
Sie haben es erfunden. Es gibt de facto keine einzige Begruendung dafuer. Dieser Bericht erklaert die Zusammenhaenge sehr gut. Brichte dieser Art sind schwer zu finden. Warum eigentlich?
https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/7/beitrag/europaeische-wirtschafts-und-waehrungsunion-grenzwerte-fuer-defizite-und-schulden-in-der-kritik.html
Was in diesem Artikel leider nicht erwaehnt wird, sind die Nachteile durch die selbsterfuellende Prophezeihung. Diese, tatsaechlich aus der Luft gegriffenen “Regeln” liefern den, zumeist amerikanischen, Ratingagenturen die Basis fuer Angriffe auf europaeische Laender, auch wenn, wie z.B. in Italien, 3/4 der “Staatsschulden” in italienischer Hand sind, es also eigentlich ueberhaupt keinen Hebel gibt, um das Land zu destabilisieren. Der Grund, Frankreich’s Kreditrating abzustufen, liegt in diesen unsinnigen Regeln begruendet, ebenso das Griechenland-Desaster oder die permanenten Angriffe auf Italien. Davon abgesehen haben wir tatsaechlich in Europa eine eigene Ratingagentur namens Scope, von der man aber weder etwas hoert oder sieht. Was machen die eigentlich?
Diese 60-Prozent-Regel als Problem gibt es also nur in der Eurozone, sonst nirgends auf der Welt, aber wir liefern das Problem quasi frei Haus, so nach dem Motto “Ihr sagt ja selbst, dass eine Verschuldung ueber 60% schlecht ist, also duerfen wir euch herunterstufen”.
Skyjumper
17. Juli 2024 @ 14:10
Klar haben sie es erfunden. Aber dann doch nicht ganz frei.
1. Grundlage der Überlegungen waren die (frühen) Arbeiten von Rogoff und weiterer. Er hat ja die 90% – Regel die er dann 2010 zusammen mit Reinhart so medienwirksam veröffentlicht hat nicht erst 2010 aus dem Ärmel geschüttelt.
Sehr stark verkürzt (und ohne nun noch einmal recherchiert zu haben) handelt es sich um eine Ausdehnung der betriebswirtschaftlichen Grenzwertberechnung auf Volkswirtschaften.
Wenn ein Staat Kredite aufnimmt um zu investieren stimuliert er die Wirtschaft, seine Steuereinnahmen steigen, seine (Sozial-)Ausgaben sinken. Trotz eingeschränkter zukünftiger Handlungsspielräume –> Kreditaufnahme gut.
Diese Stimulationseffekte sinken jedoch mit zunehmender Dauer und Menge, während die durch die Kreditaufnahme mittelfristig eingeengten Handlungsspielräume des Staates linear immer weiter zunehmen. Ab einen gewissen Punkt überwiegen dann die Nachteile. Das ist dann der Grenzwert .
Rogoff hat später ja zugeben müssen das seine Formel eh einen Fehler aufgewiesen hat, die 90 % also letztlich Bullshit waren. Ausserdem kommt es natürlich extrem darauf an, ob (z.B. Japan) ein Staat ausschließlich bei der eigenen Bevölkerung verschuldet ist, oder (häufig bei sogenannten Entwicklungsländern) überwiegend im Ausland verschuldet ist.
Ich bin sowieso der Meinung dass es sich bei Wirtschaftswissenschaften nicht um harte Wissenschaften handelt. Gerade in der Volkswirtschaft geht es sehr stark um Psychologie, also eher um Sozialwissenschaft. Und der Mensch ist nun einmal nicht so gut berechenbar. Manchmal zum Glück, manchmal leider.
Helmut Höft
17. Juli 2024 @ 14:52
Stimmt! Die 60 ist aus dem Nichts gekommen, die 3 aus dem Himmel (sinngemäß: Man soll bei Tisch “philosophiert” haben weil man nicht weiterkam … von irgendwo kam dann die Trias her = “Drei, das ist es!”)
Vllt. ist das nur ein Märchen, aber da ist immer was dran. Märchenautoren in den Entscheidungsgremien aller Orten! *facepalm*
Zu der Rolle der Banken hier Ulrike Herrmann, „Investment Bank – ein Widerspruch in sich“ (Paradoxon 3, ab 5’55”, yt https://www.youtube.com/watch?v=hbhz229Wa8k). Das Beispiel ist schon etwas älter, zeigt aber das grundsätzliche Problem: Lug & Trug & Narration! 🙁
european
17. Juli 2024 @ 15:25
@skyjumper
Der oben verlinkte Artikel ist wirklich sehr umfangreich und lesenswert. Z.B. war die 60%-Regel ein Durchschnittswert der damaligen Mitglieder und man entschloss, diesen beizubehalten. Es gab keinerlei wissenschaftliche Evidenz dazu, es war Zufall und der Wert haette genausogut deutlich hoeher oder deutlich niedriger sein koennen. Ausserdem wird in diesem Artikel deutlich, wie absurd diese “Grenzwerte” sind, wenn man sie, wie immer noch, ausserhalb der Funktionsweise unseres Geldsystems betrachtet.
Stef
16. Juli 2024 @ 08:51
Die Frage ist doch, ob sich die Schuldenbremse im aktuellen politischen Setting in der EU überhaupt ändern ließe, selbst wenn es dafür bei den wichtigsten europäischen Playern politischen Rückenwind gäbe. Mein Eindruck ist, dass dies kaum mehr möglich ist. In Deutschland hat die Schuldenbremse Verfassungsrang, da wird man kaum noch rankommen. Eher wird die ganze Verfassung neu geschrieben.
Die Schuldenbremse dient einem höheren Zweck, nämlich der Festschreibung der Enthaltsamkeit des Staates, um dem zunehmenden Einsatz von privatem renditesuchenden Kapital in ehemals öffentlichen Domänen die Türen weit zu öffnen. Eine Änderung von Schuldenbremse und ihrer europäischen Verwandten bräuchte iu unserem politischen System auch den Rückenwind der mächtigen Kapitalfraktionen und diesen kann ich nirgends erkennen.
Im Übrigen kann ein Staat mit eigener Währung qua definitionem kein Einnahmeproblem haben. Er mag volkswirtschaftliche Probleme bekommen, aber Einnahmen sind nur dann ein Problem, wenn man die Geldemmission so missraten organisiert wie hierzulande. Dass wir im Rahmen der Geldschöpfung überhaupt von Schulden reden liegt nur daran, dass wir dem Staat den Umweg über die Kreditwirtschaft ohne Not vorgeschrieben haben. Ansonsten wäre schuldenfreie Formen der staatlichen Liquiditätssicherung ohne weiteres denkbar. Und genau das wird durch die Schuldenbremse abgesichert, damit der Liquiditätshunger der Daseinsvorsorge auch nicht über Schulden befriedigt werden kann, wissend, dass ein Staat (oder auch die EU) hohe Staatsschulden mal eben zulasten der Gläubiger abschreiben kann.
Damit will ich mitnichten behaupten, dass mit einer „schuldenfreien Geldschöpfung“ alle Probleme gelöst wären, das wäre ein Thema für ganze Abendveranstaltungen. Aber wir laborieren hier an einem sehr spezifischen Problem unserer Staatsorganisation herum, die (wie immer im Westen) extrem zugunsten des Rentierkapitalismus ausgestaltet wurde und zu Lasten von Arbeit und Wertschöpfung.
european
16. Juli 2024 @ 11:09
Es gibt kein renditesuchendes Kapital ohne Schulden. Um renditesuchendes Kapital zu erzeugen braucht es mindestens 2 Verschuldungsaktionen. Der erste Kredit, um Geld zu schoepfen und in den Kreislauf zu spuelen. Der zweite, um Geld zu sparen bzw. Rendite zu suchen. Unser Geldsystem besteht quasi nur aus Schulden und es ist technisch nicht moeglich zuerst zu sparen. Es geht ganz einfach nicht. Der Sparvorgang liegt am Ende des Geldkreislaufes und dieser beginnt immer mit einem Kredit. Wenn also unsere Regierung “Ruecklagen bildet” steht dahinter immer jemand anderes, der sich dafuer verschuldet.
Die Frage ist also nur, wer diesen Kredit aufnehmen soll. Sinnvoll waere der Unternehmenssektor, weil dort investiert wird, die Innovationen stattfinden sollen. Aber das hat Politik in den Industrienationen systematisch bekaempft, indem dieser Sektor systematisch “entlastet” wurde. In Deutschland ist der Unternehmenssektor unter dem Strich Nettosparer. In anderen Laendern auch. Also bleibt nur noch der Staat, um die Schulden zu machen oder aber das Ausland. Deutschland hat sich fuer das Ausland entschieden, um gleichzeitig auf dem Ausland herumzupruegeln, dass es nicht soviel Schulden machen soll.
Es sind die Lindners dieser Welt, die diesen Unfug pflegen und vor sich hertragen wie eine Monstranz. Wer Aehnlichkeiten mit Religionen sieht, liegt vollkommen richtig. Es ist mindestens eine Ideologie.
Skyjumper
16. Juli 2024 @ 12:29
BINGO-BINGO-BINGO
„Unser Geldsystem besteht quasi nur aus Schulden und es ist technisch nicht moeglich zuerst zu sparen. Es geht ganz einfach nicht.“
Das wäre mal ein Satz der an jede 3. Wand gepinselt gehört. Damit jeder Politiker, aber auch die Bevölkerung es versteht, wie unser Währungssystem überhaupt funktioniert.
„Die Frage ist also nur, wer diesen Kredit aufnehmen soll. Sinnvoll waere der Unternehmenssektor, weil dort investiert wird, die Innovationen stattfinden sollen.“
Es wäre nicht nur sinnvoll, es ist eigentlich zwingend erforderlich damit die theoretischen Basics unseres Währungssystems erfüllt sind. Dass der Unternehmenssektor (vielleicht wäre Wirtschaftssektor der bessere Begriff) unbegrenzt Kredite aufnehmen können sollte, um damit Wirtschaftswachstum zu generieren, war der (wirtschaftstheoretische) Grund warum man sich von den gedeckten Währungssystemen der Vergangenheit (Gold/Silber/Kaurimuscheln/xyz) lösen wollte.
Der Staat als (permanenter) Kreditnehmer pervertiert das wirtschaftstheoretische Modell. Der Staat sollte eigentlich abschöpfen was er braucht um seinen Aufgaben nachkommen zu können. Und lediglich in krisenhaften Situationen sollte der Staat als antizyklischer Kreditnehmer auftreten.
Wenn die Grundlagen unseres Geldsystems einmal verinnerlicht würden, mit seinen Stärken aber auch Schwächen, käme man vielleicht auch endlich einmal dazu die Alternativen (mit deren Stärken und Schwächen) breit und öffentlich zu diskutieren.
Siehe z.B. die von @Stef angerissene Alternative. Ich glaube nicht dass das System funktionieren würde, aber mich ärgert dass es überhaupt keinen ernsthaften Diskurs darüber gibt. Womit wir dann beim letzten Satz von @european landen den man eigentlich nur mit Neonfarben anstrahlen kann:
„Wer Aehnlichkeiten mit Religionen sieht, liegt vollkommen richtig. Es ist mindestens eine Ideologie.“
Helmut Höft
17. Juli 2024 @ 02:33
„Das Hauptproblem ist vielmehr, …“ dass die Politniki allem zustimmt, was der Bürger schon in der nächsten Sekunde vergessen hat.
@ Stef
Wie european in Kürze, und annähernd erschöpfend, die Themen Kredit/Guthaben und Rendite abgefrühstückt hat Chapeau! (Kredit ist das freundlichere Wort für die 2. Seite von Guthaben)
Trotzdem noch diese Ergänzung: „Niemand kann den Bären alleine erlegen, deshalb muss man dessen Fell schon verteilen bevor man ihn erlegt hat, damit auch alle mitkommen um ihn zu erlegen!“ https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2021/03/12/man-kann-das-fell-des-baeren/ (aus MAKROSKOP/flassbeck-economics 5.11.2014)
Anders gefragt: Bei wem will denn der Staat Kredit aufnehmen? Und woher hat der Kreditgeber die Mittel Kredit zu gewähren?
Du siehst, dass da irgendwo die Logik klemmt! (btw.: Ich habe ca. 15 Jahre gebraucht, bis mir das aufgegangen ist; am Ende des Weges bin ich noch immer nicht …)
Das logische Problem noch einmal anders gewendet: „Was hinter dem Geld steht“ (Backing of money) https://www.hhoeft.de/mythos/index.php/2020/03/20/was-hinter-dem-geld-steht/ Stell‘ Dir einfach ein Guthaben ohne Arbeit vor, ein Guthaben ohne zweite Seite, einen Output ohne vorherigen Input …
Leseempfehlung (einen von vielen möglichen): Lola Books „Der Defizit-Mythos“ – Stephanie Kelton ISBN 978-3-944203-60-7 https://www.lolabooks.eu/products/der-defizit-mythos
european
17. Juli 2024 @ 10:59
„Anders gefragt: Bei wem will denn der Staat Kredit aufnehmen? Und woher hat der Kreditgeber die Mittel Kredit zu gewähren?“
Die Tragik der Geschichte liegt im Zwang oder auch Druck der Banken, Kredite vergeben zu muessen, um nicht selber pleite zu gehen. Diesem Zwang koennte man nur entgehen, wenn man sparen verbietet. Die Zentralbanken bieten den Ausweg des „Auslagerns von Spareinlagen“, was aber nur begrenzt hilft, denn irgendwie muss der Geldkreislauf in Gang gehalten werden, weshalb in der Niedrigzinsphase die Zentralbanken dafuer drastische Gebuehren erhoben haben. „Das Geld muss da raus und nicht zu uns“ war die message dahinter. Sehr oft greifen Banken dann zur vermeintlichen Loesung des Interbankenkredites um ihre Aktiva aufzubessern, was nur scheinbar eine Loesung darstellt, denn diese Interbankenkredite werden sehr oft zu kurzfristigen Anlagen auf dem Kapitalmarkt, sprich Spekulationen, verwendet.
Wir haben die bizarre Situation, dass Banken sich sehr oft scheuen, Kredite, die nicht wirklich 200prozentig sicher sind, zu vergeben. Start-ups oder Kleinselbststaendige koennen ein Lied davon singen. Andererseits brauchen sie diese Kredite, denn mit einem Ueberhang von Sparern (also Schulden) droht ihnen selbst der Untergang.
Die Vollgeldinitiative der Schweiz waere ein interessantes Projekt gewesen, das auch dem letzten automatisch erklaert haette, wie unser Geldsystem funktioniert. Nicht mehr die Bank waere der Kreditgeber, sondern der Sparer und die Bank nur Vermittler. Es haette trotzdem das Problem des Geldkreislaufes nicht geloest, denn nach wie vor haette man auch in diesem System nicht zuerst sparen koennen.
Skyjumper
17. Juli 2024 @ 13:38
Vollgeld wäre in der Tat eine interessante Alternative. Da gibt es zwar einen Haufen an Details die zu klären wären, aber das Geldschöpfungsmonopol würde endlich einmal dahin gelangen wo es hingehört. Weg von privaten Instituten, hin zu öffentlich-rechtlichen Instituten.
Das die Geschäftsbanken damit zu reinen Vermittlern würden, könnte so sein, muss aber nicht. Eine Geschäftsbank könnte sowohl vermitteln (vermutlich dann auf Provisionsbasis) als auch selber als Kreditnehmer (beim Sparer) auftreten und die so gewonnenen Mittel in eigenen Namen als Kredite an andere Kunden ausreichen. (So stellt sich die Mehrheit der Menschen ja eh vor, das unser Geldsystem so funktionieren würde). Da wäre also durchaus mehr möglich.
Das man in dem System gleichfalls nicht zuerst sparen könnte, halte ich als Aussage für falsch. Es müßte ja igendeine Form von Übergang geben. Und mit einiger Wahrscheinlichkeit würde man es so lösen, dass das derzeitig im Umlauf befindliche Giralgeld zu Vollgeld deklariert würde. Dieses würde (ganz im Gegensatz zum Giralgeld) bei der Kredittilgung nicht wieder verschwinden, sondern bliebe erhalten. Alleine mit diesen ersten, einmaligen Schöpfungprozess wäre das „Sparen“ also bereits erbracht. Es kann in einen Vollgeldsystem ja gar nicht anders sein. Erst muss Geld da sein, dann kann es als Kredit vergeben werden.
Nach meinen Verständnis zumindest. Mich würde interessieren aus welchen Gedankengang heraus Sie zu Ihren letzten Satz gekommen sind?
Das Risiko bei einen Vollgeldsystem sehe ich an anderer Stelle des Geldkreislaufes. Wie locke ich das gehortete Geld in erforderlichen Umfang wieder in den Geldkreislauf hinein? Der Vorteil des Vollgeldes ist, dass die Kontrolle über die Geldmenge als solche umfassend der Kontrolle der Zentralbanken unterliegt (was auch gut wäre), aber die Kontrolle über die Geldumlaufgeschwindigkeit würde dramatisch reduziert.
Im übrigen glaube ich, dass wir dieses Experiment alle in Kürze miterleben werden. Der digitale Euro, zumindest in seiner derzeitig wahrscheinlichsten Auslegung, wäre nichts anderes als Vollgeld.
Arthur Dent
16. Juli 2024 @ 00:10
Nur Deutschland ist dagegen – denn Lindner sagt Nein. QED
In diesem Fall wäre die Schuldenbremse mal ein Segen, denn das Geld würde nur weiter ans Ausland gehen – in den EU-Topf. (Erinnert ein wenig an den Soli für den Wiederaufbau Ost, den auch die Ruhrgebietsstädte tragen mussten, obwohl sie im Eiltempo verwahrlosten).
Verteilungskämpfe sind ja bereits in Deutschland schon in vollem Gange.
Investieren, Produzieren, Konsumieren läuft in einer Volkswirtschaft simultan, für Herrn Lindner nacheinander.
european
15. Juli 2024 @ 18:45
Lindner hat auch vor kurzem in einem Interview gesagt, dass er den Studien nicht glaubt, die einen Zusammenhang zwischen Austerität und dem Aufstieg extremistischer Parteien belegt haben. Die Brüning’schen Spargesetze sagen ihm wohl nichts.
Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein Finanz- oder anderer Minister aus anderen Ländern, Frankreich, Italien, Spanien etc. nach Deutschland gekommen sind, um uns Deutsche dermaßen maßzuregeln und zu belehren, so wie wir das tun. Hätten sie tun können, z.B. dass unser Niedriglohnkonzept den Binnenmarkt zerstört. Oder aber, dass wir die Funktionsweise unseres Geldsystems nicht verstanden haben. Oder aber, dass wir permanent darauf angewiesen sind, dass das Ausland Schulden macht, weil wir doch so gute Sparer sind. Oder dass unsere Überschüsse andere Länder in die Defizite drängt. Dass die von uns in der Finanzkrise verordnete Austerität die Gesundheitssysteme zerstört hat, die während der Coronakrise dringend gebraucht wurden.
Aber wir belehren. Wir sind eine Landplage, wir sind peinlich und beschämend. Lauterbach trötet in Twitter über den Niedergang des italienischen Tourismus durch den Klimawandel. Unser Finanzminister bläst die Backen auf und verordnet Austerität. Wir sind nicht auszuhalten.
exKK
15. Juli 2024 @ 20:17
„Aber wir belehren.“
Ja, das war schon im Kaiserreich so: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.
Es hiess ja nicht umsonst: Heil Dir im Siegerkranz, wer hat den grössten…? Oder so ähnlich.
Michael
15. Juli 2024 @ 18:20
Berlin verwechselt mal wieder Führung mit Einmischung, Besserwisserei und Rechthaberei! Auf jeden Fall erreicht man so Ablehnung statt Zustimmung und Gefolgschaft!
Skyjumper
15. Juli 2024 @ 17:58
Ein Affront gegen Frankreich? Das sehe ich nun nicht so.
Ein Affront gegen das frisch gewählte Mehrheitsbündnis in der französischen Nationalversammlung? Ganz bestimmt. Aber das ist m.E.n. ein Unterschied.
Wir sprechen hier ja nicht über Malta, Zypern oder Estland. Frankreich ist einer von 2 dominierenden Staaten innerhalb der EU, und hat (wie ja auch bereits im Artikel zutreffend ausgeführt) als solcher maßgeblich dazu beigetragen dass die ursprünglichen Defizit-Regeln reaktiviert wurden.
Man stelle sich eine EU vor, in welcher alle gefassten Beschlüsse nach jeder nationalen Wahl erst wieder einkassiert werden um sie den neuen Mehrheiten anzupassen. Das wäre eine noch unmöglichere EU als sie es eh schon ist.
“Jede künftige französische Regierung wird sich an diese Regeln halten müssen“
Bis zu etwaigen anderslautenden Beschlüssen durch die EU ist das selbstverständlich einfach so. So eine Selbstverständlichkeit noch einmal zu benennen ist diplomatisch ungeschickt, weil Wasser auf die Mühlen von Melechon, aber es ist kein Affront im eigentlichen Sinne.
“Wir müssen mit dem auskommen, was unsere Volkswirtschaften in der Lage sind zu tragen,……”
Und auch diese Ausage ist grundsätzlich richtig. Aus meiner Sicht zumindest, ich weiß natürlich dass es hier im Blog eine Menge Gegenmeinungen dazu gibt.
Was ich auch bei Herrn Lindner vermisse ist dagegen die Ableitung davon. Beschränkte Gesamtbudgets erfordern Prioritäten. Und Prioritäten erfordern offene und transparente Diskussionen warum welcher Etat bevorzugt und welcher benachteiligt werden soll. Ich kann mir in Deutschland z.B. gut vorstellen wie die Frage: “Waffen für die Ukraine bei gleichzeitigen Rentenkürzungen? Oder Erhalt des Rentenniveaus bei Einstellung der Ukraineunterstützung?” durch die Zivilgesellschaft beantwortet würde. Aber solche Fragen wagt sich auch Herr Lindner nicht zu stellen. Leider. Und von daher ist sein Ansinnen an die zukünftige französische Regierungen scheinheilig.
ebo
15. Juli 2024 @ 18:13
Es geht nicht darum, EU-Beschlüsse einzukassieren, nur weil sie Frankreich oder der neuen linken Mehrheit nicht passen. Das wäre in der Tat nicht hinnehmbar.
Es geht darum, dass die Schuldenregeln – insbesondere die alten Maastricht-Kriterien – hoffnungslos veraltet sind und es eine riesengroße Dummheit wäre, sie nun wieder mit Gewalt – sprich: Austerität – durchzusetzen.
Genau das will aber Lindner. Er war es auch, der sich einer echten Reform der Schuldenregeln widersetzt hat.
exKK
15. Juli 2024 @ 17:12
@ Skyjumper:
„„Linder ist doof“ (darf man so sehen) ist zu kurz gesprungen.“
Wenn der Staat zu wenig Geld hat, kann man nicht auf der einen Seite dieses mit den Händen zum Fenster hinaus Richtung Ukraine werfen, aber zum anderen jeden Gedanken darüber, sich es dort zu holen, wo es im Überfluss vorhanden ist und sich in diesen gehäuften Krisenzeiten geradezu unverschämt vermehrt, brüsk zurückweisen. Das ist entweder wirklich dumm, oder aber völlig ideologisch verblendet.
Heisst „liberal“ nicht, frei entscheiden zu können? Wie soll das gehen, wenn einem derart die Hände gebunden werden?
Skyjumper
15. Juli 2024 @ 18:54
Ihren Ansatz verstehe ich gut. Mein Anliegen war es nochmal zu unterstreichen, dass Frankreich in diesem Prozess kein Opfer, sondern Mittäter war. Von daher meine Meinung dass Frankreich (abstrakt) nun nicht beleidigt sein darf.
Es wäre angebracht wenn eine neue französische Regierung, im Rahmen einer innenpolitischen Diskussion, deutlich macht wer da wem und warum den Handlungsspielraum genommen hat.
„Linder ist doof“ (darf man so sehen) ist zu kurz gesprungen. Was fehlt ist der Grundsatzdiskurs über die Ursachen. Die Sie ja schon benannt haben, nämlich die Schuldenregeln. Aber da wollen sie alle nicht wirklich ran, die Lindners, Macrons etc.
exKK
15. Juli 2024 @ 19:06
““Jede künftige französische Regierung wird sich an diese Regeln halten müssen“
Bis zu etwaigen anderslautenden Beschlüssen durch die EU ist das selbstverständlich einfach so.”
Man kann nicht auf der einen Seite fordern, immer mehr Geld in die Ukraine zu pumpen (macht die EU ja mangels eigener Mittel für ihre Mitgliedsländer), und auf der anderen Seite dann dem politischen Gestaltungswillen eine lange Nase drehen, weil kaum bis kein Spielraum mehr für eine Prioritätensetzung zugunsten der eigenen Bürger mehr bleibt.
SO überlebt kein politisches System auf Dauer; gerade in Frankreich könnte der Adel ein Lied davon singen, wenn er noch seine Köpfe auf den Schultern hätte…
Skyjumper
15. Juli 2024 @ 21:55
Exakt DAS ist es ja worauf ich hinaus will. Man kann nicht ständig und an allen Ecken mehr ausgeben als man einnimmt.
Entweder die Einnahmen müssen erhöht werden – Möglichkeiten dazu gibt es ja durchaus. Und dafür sollte es dann am besten einen gesellschaftlichen Konsens geben, zumindest aber deutliche Mehrheiten. Oder aber man muss die Ausgaben beschränken auf das was der Gesellschaft (und nicht den Politikern) am wichtigsten ist. Auch hierfür sollten zumindest Mehrheiten da sein.
Doch um diesen notwendigen Diskurs, welcher wahrscheinlich nicht gerade einfach wäre, drücken sich die Politiker allesamt wie der Teufel vorm Weihwasser. Und daher wiederum rührt die Polarisierung der Gesellschaft, die Erstarkung der linken und rechten Ränder. Und das, da haben Sie völlig Recht, überlebt kein politisches System auf Dauer. Nicht in der EU, nicht in Frankreich, nicht in Deutschland. Die USA, aufgrund mehrerer Umstände, sind uns da nur ein paar Jahre voraus.
ebo
15. Juli 2024 @ 22:10
Weil die Einnahmen hinten und vorne nicht reichen, wird die EU neue Schulden machen müssen. Nur so lassen sich all die Rüstungs- und Industrieprogramme bezahlen.
Frankreich braucht EU-Schulden, denn die eigenen Kassen sind leer. Polen will es auch, denn der Krieg muß weitergehen. Und von der Leyen wil les auch, denn mehr Geld bedeutert mehr Macht.
Nur Deutschland ist dagegen – denn Lindner sagt Nein. QED