Affären der deutschen Kandidatin? Psst, darüber spricht man nicht!

Wenn es um Franzosen oder Italiener geht, dann wird jede kleine Affäre gleich zum großen Skandal aufgebauscht, die Betroffenen werden in Windeseile von EU-Ämtern ausgeschlossen. Gelten für Deutsche andere Regeln?

Diesen Eindruck könnte gewinnen, wer die Ereignisse der letzten Stunden im Europaparlament verfolgt hat. Dort geriet der Chef der SPD-Gruppe, Jens Geier, mächtig unter Druck. Sein „Vergehen“: Er hat ein Sündenregister über die deutsche Kandidatin Ursula von der Leyen erstellt!

Das zweiseitige Papier mit dem Titel „Warum Ursula von der Leyen eine unzulängliche und ungeeignete Kandidatin ist“ listet die Affären und Skandale auf, mit denen die CDU-Politikerin und Verteidigungsministerin in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt hat.

Unter anderem geht es um die Berater-Affäre bei der Modernisierung der Bundeswehr und die ausufernden Kosten bei der Sanierung des Marineschulschiffes Gorch Fock. Zudem thematisieren die Autoren den mittlerweile ausgeräumten Vorwurf, wonach sie wegen Plagiaten in ihrer Dissertation zu Unrecht einen Doktortitel führt. 

Das Ganze sei als Infomaterial für die Genossen aus anderen EU-Ländern gedacht gewesen, rechtfertigt sich Geier. Keineswegs sei es um eine „Schmutzkampagne“ gegangen. Doch genau das werfen ihm nun CDU, CSU und sogar deutsche Medien vor, die über die o.g. Skandale und Skandälchen selbst groß berichtet hatten!

Sogar Kanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein – und warnte vor einer Belastung der Großen Koalition in Berlin. Das zeigte offenbar Wirkung: Kurz darauf ließ Geier eine ungewöhnliche Pressemitteilung verschicken. Weil die Sache so spannend (und brisant) ist, hier der Wortlaut:

„Nach der Nominierung von Ursula von der Leyen durch den Rat sind wir von Fraktionskolleginnen und Fraktionskollegen aus anderen Ländern Europas auf Hintergrundinformationen über sie angesprochen worden. Deshalb haben wir kritische Berichterstattung von öffentlichen Nachrichtenseiten für die Kolleginnen und Kollegen zusammengefasst, die in Deutschland, oft anders als in anderen europäischen Ländern, über einen längeren Zeitraum veröffentlicht worden ist. Wir sehen aus vielen Reaktionen, dass die Zusammenstellung in dieser Zuspitzung missverständlich als Versuch der öffentlichen persönlichen Beschädigung verstanden wird. Das war nicht beabsichtigt.“ 

Quelle: SPD Europa – Pressemitteilung

Kann sich irgend jemand vorstellen, dass Vergleichbares in anderen EU-Ländern passieren könnte? Ich vermute, dass die deutsche Presse ganz groß eingestiegen wäre, hätte eine italienische Von der Leyen es gewagt, sich um das wichtigste Amt in Brüssel zu bewerben.

Und dabei wäre es (fast) nur um die Affären und Skandale gegangen. Doch wenn es um eine Deutsche geht, dann legt man lieber den Mantel des Schweigens über mögliche Schwachpunkte. Psst, darüber spricht man nicht – jedenfalls nicht vor der Wahl…

Siehe auch „Warum Grüne und Linke „Nein“ sagen“