Achse der Lahmen
Erinnert sich noch jemand an M. Rutte? Der niederländische Premier hat es sechs Monate nach der Wahl immer noch nicht geschafft, eine neue Regierung zu bilden. Doch nun bekommt er überraschend Hilfe – aus Berlin.
Ausgerechnet Kanzlerin Merkel nannte Rutte als Beispiel. Am Tag nach der Bundestagswahl war sie gefragt worden, was sie ihren EU-Kollegen in Tallinn zur Dauer der Regierungsbildung in Berlin sagen werde.
Die Kanzlerin antwortete lässig, sie werde auf Mark Rutte verweisen, berichtet die SZ . Der lasse sich schließlich auch viel Zeit. Und so geschah es. Nicht nur das: Merkel sprach sich auch intensiv mit Rutte ab.
Zwar wissen wir nicht, über was die beiden „lahmen Enten“ geredet haben. Es liegt jedoch nahe, dass sie über die französischen Vorschläge zur Euro-Reform sprachen.
Denn beim Euro arbeiten Berlin und Den Haag seit je eng zusammen. Während der Eurokrise stützte sich Merkel regelmäßig auf die Niederländer, um die Franzosen auszubremsen.
Bastelt die Kanzlerin ohne Koalition nun an einem neuen Bündnis der Bremser? Durchaus denkbar. Schließlich ist auch Rutte ein Liberaler. Wenn er sich mit FDP-Chef Lindner kurzschließt, wäre die Achse perfekt.
Allerdings dürfte dies nicht alle Liberalen freuen. Frankreichs Macron und ALDE-Chef Verhofstadt dürften sich sogar ärgern. Denn sie fordern mehr Europa – und nicht weniger, wie Merkel und Rutte.
Und sie drücken aufs Tempo, was man von der Achse der Lahmen gewiß nicht behaupten kann…
Siehe auch „Merkel will die Macht beim Euro“
Winston
3. Oktober 2017 @ 09:49
@ Hausstein
Absolut korrekt.
Nennt man auch „Beggar-thy-Neighbor-Politik“
https://de.wikipedia.org/wiki/Beggar-thy-Neighbor-Politik
Der Euro ist auch ohne die Hartz Politik Schröders disfunktional. Die innere Abwertung Schröders (Agenda 2010) potenzierte das ganze nur noch. Schröder hätte aufwerten nicht abwerten müssen. Mit einem so stark auf Export fixiertes Land wie Deutschland eine Währungsunion zu bilden ist Makroökonomische Suizid, die Briten haben das verstanden und haben einen grossen Bogen um den Euro gemacht. Frankreich hat mit der inneren Abwertung noch nicht begonnen. das werden sie aber tun müssen. Der Handelsüberschuss der EZ wird dann weiter ansteigen. Konflikte sind schon mal vorprogrammiert, vor allem mit den USA. Und Japan und vermutlich auch die Schweiz werden weiterhin massiv im Währungsmarkt intervenieren „müssen“. Irgendwann wird das ganze kollabieren. Eigentlich hätte man schon 2010 den Euro geordnete abwickeln müssen.
Lutz Hausstein
2. Oktober 2017 @ 01:02
Im Durchschnitt war der Dorfteich nur einen Meter tief. Und trotzdem ist die Kuh ersoffen.
Peter Nemschak
2. Oktober 2017 @ 09:47
Eben deshalb gibt es in einer Demokratie Mehrheitsentscheidungen. Im übrigen ist gerade in Deutschland durch den Sozialstaat der Anteil der Globalisierungs- und Technologieverlierer relativ zu anderen Staaten, allen voran die USA aber auch Südeuropa, gering geblieben. Sonst hätte das Wahlergebnis anders ausgesehen. Für die AfD-Wähler standen kulturelle Themen im Vordergrund. Dies gilt auch für die Rechtspopulisten in anderen Ländern. Hoffnungsfroh stimmt der Umstand, dass Weltoffenheit bei jungen und gebildeten Bürgern größer als bei älteren mit geringer formaler Schulbildung ist.
Lutz Hausstein
1. Oktober 2017 @ 16:11
Die Reformpolitik Schröders hat den großen, exportorientierten deutschen Konzernen zu noch größerem wirtschaftlichen Erfolg verholfen – richtig. Den Arbeitnehmern im mittleren und besonders im unteren Lohnsegment hingegen hat sie massiv geschadet. Nicht umsonst ist die SPD nach der Agenda 2010, ganz besonders in ihrer Kernwählerschaft, den Arbeitern, so legendär abgestürzt und hat sich bis heute noch nicht davon erholt. Eben weil sie mit ihrer alten, der Agenda verbundenen Parteiführung immer noch die vermeintlich positive Wirkung der „Reformen“ lobt. Die Menschen draußen wissen aber, dass dies Unfug ist.
Und durch die fehlende Massenkaufkraft durch die gesunkenen Einkommen in den unteren Bereichen (von den Arbeitslosen über die unteren bis hin zu den mittleren Einkommen) haben die binnenmarktorientierten Unternehmen (u.a. auch Handwerksbetriebe) massiv gelitten und leiden heute noch. Ohne Massenkaufkraft keine (oder deutlich weniger) Aufträge. Ist ganz simpel.
Und Ja – Schröders Reformpolitik hat auch Frankreich geschadet. Als große Wirtschaftskraft hat Frankreich sich dessen lange Zeit immer noch erwehren können. Aber mir war klar, dass es irgendwann, solange sich nichts grundsätzlich ändert, auch erhebliche Auswirkungen auf Frankreich haben würde. Denn die zu niedrigen Stückkosten deutscher Exporte aufgrund des Missverhältnisses von Produktivität zu den (zu niedrigen) deutschen Löhnen bedingte und bedingt die Verdrängung französischer (aber auch anderer Länder) Produkte aus den unterschiedlichsten Märkten. Aus ihrem eigenen (jeweiligen) Heimatmarkt, aber auch von den Märkten außerhalb des eigenen Landes. Weil die deutschen Produkte verhältnismäßig zu billig sind, verdrängen sie die Produkte von Herstellern aus anderen Ländern. Mit allen damit im Zusammenhang stehenden Folgen (u.a. Arbeitslosigkeit, Firmeninsolvenzen, Steuerausfälle).
Schröders Reformpolitik war und ist extrem schädlich nicht nur für Deutschland, sondern auch für die EU. Und wenn man nun noch Macrons „Reformen“ in Frankreich gutheißt, befürwortet man die nächste Runde dieser grundfalschen Politik, die das nun noch eine weitere Stufe schlimmer machen wird.
Sie fragen sich, woher der extreme Rechtsruck in ganz Europa herkommt? Hier haben Sie eine der Hauptursachen. Wer diese Reformpolitik gutheißt, der nimmt dies mindestens billigend in Kauf oder er befürwortet gar diese Entwicklung. Danach soll bitte nicht wieder jemand sagen, dass er es denn nicht gewusst hätte.
Ebo, ich bewundere Sie ja ob Ihres Langmuts, immer wieder die Querschüsse des Herrn Nemschak so ruhig hinzunehmen. Ich diskutiere ja auch gern mit Andersmeinenden, denn es ist häufig auch befruchtend für den eigenen Standpunkt. Aber inhaltlich fundiert müssen sie schon sein, sonst bringt es nichts. Und das sehe ich in diesem Fall als nicht gegeben an.
Peter Nemschak
1. Oktober 2017 @ 18:05
Die Wirtschaftszahlen Deutschlands sprechen, auch was den Konsum betrifft, eine andere Sprache. Sie leben offenbar in einer anderen Welt als die Mehrheit der Deutschen. Mir scheint, Sie trauern der DDR nach, wo es allen schlechter ging.
Peter Nemschak
1. Oktober 2017 @ 10:00
@ebo Die Reformpolitik Schröders hat Deutschland zu wirtschaftlichem Erfolg verholfen, auch wenn sie nicht allen im Land gefallen hat. Sie hat Frankreich nicht geschadet. Die Finanzkrise hat die strukturellen Schwächen der französischen und anderer Ökonomien in Südeuropa offen gelegt. Nicht ohne Grund hält Macron tiefgreifende Reformen, vor allem des Arbeitsmarkts, für notwendig um wirtschaftlich zu Deutschland aufzuschließen. Ihr Verhältnis zu seiner Politik ist widersprüchlich. Auf der einen Seite begrüßen Sie seine Initiativen für Europa, auf der anderen Seite lehnen Sie seine wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen ab. Was Sie vertreten, mag gut für manche Ohren, insbesondere jene der französischen Linksintellektuellen und Altsozialisten wie Melanchon, klingen, ist aber unrealistisch für die EU, jedenfalls für eine EU wie sie sich heute darstellt. Die Mehrheit der Bürger hat mit dem Sozialismus, wie ihn Varoufakis und andere Gruppen denken, nichts am Hut. Sonst wäre ein so starkes Come-back der liberal-bürgerlichen FDP nicht zu erklären, ebenso wenig wie das Aufstreben der AfD und anderer rechtspopulistischer Parteient, bei denen es um kulturelle Identität und Rassismus geht, nicht zu erklären. Unbeschränkte transnationale Solidarität ist eine sozialistische Utopie.
GS
30. September 2017 @ 18:59
Vielleicht folgt Merkel Rutte ja im Verhandlungsmarathon.
Peter Nemschak
30. September 2017 @ 15:37
Die Niederlande und Deutschland haben währungspolitisch dieselben Interessen. Beide Länder gehören zum ehemaligen Hartwährungsblock, dem u.a. auch Österreich angehörte. Vielleicht schafft es Frankreich eines Tages auch, sollte dort die Idee einer Sozialpartnerschaft an Boden gewinnen und die Klassenkampftradition überwunden werden. Das hat mit mehr oder weniger Europa nichts zu tun sondern mit budgetpolitischer Disziplin, welche den Südländern mentalitätsmäßig bisher fremd war. Der gewohnte Kreislauf bestand darin, dass die Arbeitnehmer überzogene Lohnforderungen hatten, die von den Unternehmern ohne großen Widerstand erfüllt wurden, weil sie mit einer Währungsabwertung zur Herstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit rechnen konnten. Reicher und sozial gleicher sind diese Länder, wie sich gezeigt hat, davon nicht geworden. Profitiert hat bloß die Funktionärselite der kommunistischen Gewerkschaften, die unter Macron ihre Felle davonschwimmen sieht. Außer linken Nostalgikern unter den Intellektuellen wird ihnen niemand nachweinen.
ebo
30. September 2017 @ 18:04
Hören Sie doch endlich mal auf mit diesem Unsinn. Alle Euro-Länder mussten vor dem Beitritt nachweisen, dass sie „Hartwährungsländer“ sind. Das wurde u.a. an der Inflation gemessen, die in Frankreich nicht höher war als in Deutschland. Seit Einführung des Euro betreibt Deutschland eine deflationäre Politik, während sich die Lohnentwicklung in Frankreich am Produktivitätsniveau orientiert, genau wie im Lehrbuch der EWWU gefordert. Die Niederlande wiederum haben sich gerade erst von einer selbst verschuldeten Immobilienkrise erholt. Sie sind schon lange kein Muster-Polderland mehr, aber als Krücke für Merkel sind sie scheinbar noch gut genug…
GS
30. September 2017 @ 18:58
Naja, komplett daneben liegt Nemschak ja nun keinesfalls. Man hat nach Maastricht ein paar Jahre das gemacht, was notwendig war um die Beitrittskriterien für den Euro größtenteils erfüllt worden. Dafür allerdings musste ein Preis entrichtet werden. Die zugrunde liegenden Wirtschaftsstrukturen, ökonomischen Überzeugungen, politökonomischen Rahmenbedingungen sind aber nicht voreinander worden. Sorry, ebo, aber der Mechanismus wurde doch richtig beschrieben. Hohe Nominallohnsteigerungen, hohe Inflation, permanente Währungsabwertung vs. niedrige Nominallohnsteigerungen, niedrige Inflation, permanente Aufwertung, war das, was Süden und Norden trennte. Der Süden leidet, weil Strategie 1 nicht mehr geht.
ebo
30. September 2017 @ 19:17
Auf Frankreich trifft all das nicht zu. Und schau Dir mal die makroökonomischen Daten der Lieblingspartner Merkels (NL Und FIN) an. Von „Stabilität“ keine Spur. Sie sucht sich einfach willfährige Follower aus.
Peter Nemschak
30. September 2017 @ 20:42
Kurzfristig kann man den Eindruck eines Hartwährungslandes erzeugen. es geht um strukturelle Unterschiede in der Wirtschaftsmentalität und in den institutionellen Voraussetzungen, die Sie verdrängen. Wenn Sie mir nicht glauben, können sie das bei Siedentop „Demokratie in Europa“, erschienen Anfang der 1990-iger Jahre oder bei Dahrendorf nachlesen. Warum wollen Sie den Mitgliedsländern um jeden Preis eine one size fits all umstülpen? Wenn es nicht geradlinig in Richtung Republik Europa geht – derzeit sieht es nicht danach aus – , wird die Welt nicht untergehen. Vive la différence!
ebo
30. September 2017 @ 21:03
Sorry, ich war in Paris, als die Banque de France das BuBa-Modell kopiert hat. Alle mussten das tun. Die institutionellen Voraussetzungen wurden in der gesamten Eurozone geschaffen. Und das Wachstum war in Frankreich bis Mitte der Nuller-Jahre höher als in Deutschland. Erst die deflationäre Politik unter Schröder brachte alles ins Ungleichgewicht.