Absturz statt Aufbruch
Frankreich und Polen haben die Entscheidung von Kanzlerin Merkel zum schrittweisen Rückzug aus der Politik gewürdigt. „Sie hat niemals vergessen, was Europas Werte sind“, sagte Präsident Macron. Meint er das ernst?
Wer die Kanzlerin von Anfang an beobachtet hat – und nicht erst seit ein paar Jahren, wie der Newcomer Macron – muss zu einem anderen Urteil kommen. Die meiste Zeit waren Merkel „Europas Werte“ ziemlich egal.
Erst ließ sie Griechenland hängen, als das Land in Schieflage geriet. Dann zwang sie Spanien unter den Euro-Rettungsschirm – und setzte unnötig harte Austeritätsprogramme durch, die großes Leid angerichtet haben.
Gleichzeitig schaute Merkel beharrlich weg, als immer mehr Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Spanien, Italien und Griechenland kamen. Ex-Kommissionschef Barroso weinte, Merkel lächelte kühl.
Erst als die Krise 2015 nach Deutschland herüber schwappte, beschwor die Kanzlerin plötzlich eine „europäische Lösung“ – die sie in ihrem schmutzigen Deal mit Sultan Erdogan dann gleich wieder verriet.
Auch der „Aufbruch für Europa“, den die scheidende CDU-Chefin erst Macron, dann Ex-SPD-Chef Schulz und später (per Koalitionsvertrag) ganz Deutschland versprochen hat, war Merkel kein Herzensanliegen.
Im Zentrum standen deutsche Wirtschaftsinteressen
Sie ließ sich weder von Werten noch von Wahlversprechen leiten, sondern von deutschen Wirtschaftsinteressen – allen voran jenen der Autoindustrie, wie sich im Dieselgate zeigte und immer noch zeigt.
Das ist bitter. Denn wenn sie gewollte hätte, hätte Merkel sich in Europa neu erfinden können. Ihre letzte Amtszeit hätte sie dazu verwenden können, ihre Fehler auszubügeln und die EU wieder fit zu machen.
Sie hätte die letzten Tage sogar dazu nutzen können, ihren Wechsel nach Brüssel vorzubereiten. Niemand hätte sich ihr in den Weg gestellt, im Gegenteil: Ganz Europa wartete auf ein Aufbruchssignal aus Berlin.
Die CDU ist keine Europapartei mehr
Doch das kam nicht. Denn die CDU, Merkels CDU, ist keine Europapartei mehr. Und die SPD, fast möchte man sagen: Merkels SPD, war zu schwach, um den „Aufbruch für Europa“ doch noch zu erzwingen.
Statt des Aufbruchs kam der Absturz – nicht nur für Merkel, sondern auch für Macrons hochfliegende Europapläne. Im Grunde stehen nun beide – was die Europapolitik betrifft – vor einem Scherbenhaufen…
Siehe auch „Kohl wollte ein anderes Europa“ und „Statt Aufbruch droht Abbruch“
Matti Illoinen
2. November 2018 @ 08:01
Wurde das nicht alles von den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Mainstream Medien positiv und als „alternativ los“ positiv verkauft und Merkels Politik sprich der gesamten Führungsriege der Politik auch in Gewerkschaften, und Wirtschaften sowieso und natürlich über unsere sog. Qualitätsmedien“ fast täglich positiv dargestellt?
im Gegenteil, Deutschland als Opfer dargestellt, und die anderen Länder in der EU von deutschen Medien regelmäßig beschimpft und wie im Falle Griechenland und ein Zitat von Bild: „Die Pleite Griechen“ oder verkauft doch eure Inseln usw. mitgeholfen die vorhandenen Vorurteile in Deutschland noch zu befeuern?
Wer medial „ALTERNATIVLOS“ als richtig und positiv verkauft, kann sich von seiner Mitverantwortung nicht frei kaufen. Und die wenigen, die das anders darstellten, wurden und werden als „Spinner, oder als Verschwörungs-Theoretiker ja noch schlimmer als Lügner diskreditiert?
Wenn wir, und darauf steuert Deutschland zu, wieder Weimarer Verhältnisse im Jahre 2018/19 bekommen, dann haben unsere sog. Qualitäts Medien einen sehr großen Anteil daran, dass dies dann so kam.
Und keiner in den Redaktionen soll sich dann mehr raus reden können, sondern sollte vor Gericht gestellt werden. Denn ohne die mediale Begleitung, wäre das nie möglich geworden. Und nicht wieder in die „Opfer“ Rolle schlüpfen, wäre an Heuchelei nicht mehr zu überbieten.
Kleopatra
31. Oktober 2018 @ 08:23
Merkel hätte womöglich gute Chancen gehabt, für die Kommissionspräsidentschaft nominiert zu werden. Aber es wäre keine gute Idee gewesen. Das einzige, was sie wirklich kann, ist Tendenzen in der deutschen politischen Stimmung so früh zu spüren, dass sie ihre Position ins Gegenteil verkehren kann, bevor offensichtlich ist, dass sie sich nur gezwungen anpasst. Da sie aber zu anderen nationalen Öffentlichkeiten nicht diesen Draht haben dürfte, würde man dann womöglich den zugleich deutschesten und unberechenbarsten Kommissionspräsidenten bekommen, den man sich denken kann.
Dass sie deutsche Interessen vertritt, sollte man ihr nicht vorwerfen. In einer so heterogenen Gemeinschaft wie der EU muss jeder die Interessen seines Landes vertreten, weil niemand anderes es sonst machen wird. Dass sie aber jetzt gegen die deutsche Autoindustrie moralisiert, obwohl sie selbst für die Regelungen gekämpft hat, die von ihnen ausgenutzt werden (und obwohl die Abgasvorschriften, die heute im Zentrum stehen, ohne jeden Gedanken daran, ob sie relisierbar waren, beschlossen wurden – und es daher vertretbar wäre, sie zu streichen), ist nur ein Beispiel für ihren unglaublichen Opportunismus. Die Hymnen, die die linksliberale deztsche Presse ihr jetzt singt, sind deshalb verdient: kaum jemand hat sich so ausschließlich an dem Ziel orientiert, diesen Medien zu gefallen.
Oudejans
31. Oktober 2018 @ 01:55
>>”Scherbenhaufen”
Für Macron ist es aber noch früh genug. Er wird sich auf das Blockierertum berufen können, sobald die Dame weg ist. Was, auch das gehört zur zähen Realität, noch nicht der Fall ist.
Ich bin sicher kein Macro-Fan, aber zu diesem Zeitpunkt auch schon _sein Scheitern zu konstatieren, wäre sicher zu früh.