Schizophrene Außenpolitik
Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets über Syrien durch die Türkei übt die EU den Spagat. Während sie sich offiziell an die Seite der Türkei stellt, reiste Frankreichs Hollande nach Moskau – um ein Anti-IS-Bündnis zu schmieden.
Russland soll darin zum Alliierten werden, genau wie Deutschland oder UK, die nun auch zum Kampf gegen den IS blasen. Die Türkei hingegen wirkt wie ein Fremdkörper, trotz Nato-Mitgliedschaft.
Erstaunlich ist das nicht, schließlich betreibt Präsident Erdogan die Islamisierung seines Landes, er ließ IS-Kämpfer ungehindert ein- und ausreisen und wohl auch Öl und Gas des Terrorstaats handeln.
Zudem lässt er die Medien knebeln – auf seine persönliche Anordnung hin wurden gerade wieder zwei führende Journalisten verhaftet,wegen “Unterstützung einer terroristischen Vereinigung”.
Doch ausgerechnet mit diesem Land will die EU nun auch noch einen “Aktionsplan” vereinbaren – nicht gegen den Terror, sondern gegen die Flüchtlinge, die über die Ägäis nach EUropa kommen.
In Berlin und Brüssel nennt man das Realpolitik, ich nenne es schizophren. Die Türkei ist ein falscher Alliierter, Russland hingegen könnte ein nützlicher Verbündeter werden, wie offenbar auch Hollande hofft.
Was meinen die Leser dieses Blogs? Dazu steht unten meine aktuelle Umfrage – ich bin gespannt auf das Ergebnis!
P.S. Nach Angaben der EU-Kommission werden beim Türkei-Gipfel weder die Verhaftungen von Journalisten noch die vermuteten türkischen Waffenlieferungen an Syrien angesprochen…
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Claus
27. November 2015 @ 10:45
Zu begrüßen wäre aus meiner Sicht der Aufbau einer soliden Achse Paris – Berlin – Moskau als Schlüssel für ein Europa freundschaftlich verbundener Länder und Voraussetzung, bei der Befriedung des Nahen Ostens gemeinsam und nicht gegeneinander mitzuwirken. Ich vermute, dass dies derzeit aber nicht angestrebt wird, da es nicht auf der Linie der USA liegen dürfte, wie auch Polen und die Ukraine wohl ein Problem damit hätten. Wo sich England und die Türkei in dieser Konstellation sehen würden, wäre interessant.
Peter Nemschak
27. November 2015 @ 09:49
Der beste Vorschlag zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms, den ich bisher gehört habe, kommt vom ehemaligen SPD-Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnany: die EU solle, mit Zustimmung der betroffenen Regierungen vor Ort, Flüchtlingslager in der Türkei, im Libanon und in Jordanien finanzieren, aufbauen und verwalten, die Deutschen in der Türkei, die Franzosen im Libanon und die Engländer in Jordanien. Das würde einen möglichst effektiven Mitteleinsatz gewährleisten. Die aufzubauende Infrastruktur könnte nach dem Krieg in Syrien von den genannten Ländern alternativ genützt werden. Im übrigen haben meines Erachtens weder Russland noch der Westen allzu viel Einfluss auf den regionalen Kampf der Akteure um religiöse und politische Definitionsmacht. Erst wenn sich ein delikates Gleichgewicht zwischen der Türkei, Saudi Arabien und dem Iran gebildet hat, in das sich die kleineren Regionalmächte einordnen können, wird es Frieden geben, bis dahin noch viele Tote und Vertriebene. Die USA hat von ihren Erfahrungen im Irak und Afghanistan und ihrer geringeren Abhängigkeit vom Erdöl aus dem Mittleren Osten gelernt und verringern ihr Engagement in der Region. Es wäre an der Zeit, dass die EU, zumindest die großen Mitglieder, das entstehende Vakuum zu füllen beginnen.
DerDicke
27. November 2015 @ 07:45
Die Türkei unter Erdogan würde ich eher als Terrorunterstützer betrachten:
http://www.zerohedge.com/news/2015-11-26/800-shotguns-headed-belgium-turkey-seized-italy
http://www.zerohedge.com/news/2015-11-25/meet-man-who-funds-isis-bilal-erdogan-son-turkeys-president
Kein Wunder, die politische Führung macht glänzende Geschäfte, außerdem kommt der IS ihr sehr entgegen was die Vision eines großtürkischen Reiches anbelangt.