Wut auf Brüssel

Wasser, Pferdefleisch, Arzneimittel: Zu all diesen Themen schlägt der EU geballte Wut aus Deutschland entgegen. Brüssel verlange die totale Privatisierung und Kommerzialisierung, heißt es. Die deutsche Rolle wird dabei gern ausgeblendet.

Deutschland gut, Europa schlecht: Nach dieser simplen Logik wird derzeit von vielen Bürgern argumentiert und protestiert. Brüssel plane die Privatisierung der Wasserversorgung, wolle bei Arzneimitteltests das Gesetz des Dschungels einführen und die deutschen Verbraucher übervorteilen, heißt es.

Die Bundesregierung hätte eigentlich die Aufgabe, aufzuklären und die berechtigten Sorgen aufzugreifen – auch wenn sich der Protest nur gegen EU-Entwürfe richtet.

Doch sie unternimmt nichts; schließlich sind wir ja in einem Wahljahr, und die EU ist unpopulär. Zum Teil wird die Wut sogar noch geschürt.

Beim Pferdefleisch-Skandal setzt Berlin auf nationale “Aktionspläne”, weil aus Brüssel angeblich nicht genug kommt. Beim Streit um neue EU-Regeln für Arzeinmitteltests am Menschen duckt sich Berlin weg. Im Wasserstreit lässt man die kommunalen Verbände wütend reagieren, ohne selbst zu agieren.

Aigner und Rösler spielen falsch

Gleichzeitig versucht die Bundesregierung, heimlich schärfere CO2-Vorschriften für deutsche Autobauer in Brüssel zu torpedieren. Wirtschaftsminister Rösler blockiert zudem die überfällige Reform des Emissionshandels – und setzt so den Klimaschutz aufs Spiel (und Merkels in Brüssel erworbenen Ruf als “Klimakanzlerin”). Und Verbraucherministerin Aigner hat jahrelang eine Herkunftskennzeichnung für Fleischprodukte verhindert – auch in Brüssel.

Wenn es der Industrielobby nutzt, ist die schwarzgelbe Regierung aktiv an allen Fronten. Dann verteidigt sie auch lauthals den Markt – selbst, wenn dieser wie beim Emissionshandel nicht funktioniert. Wenn es hingegen um Bürger- und Verbraucherinteressen geht, zieht sie den Schwanz ein.

Dies ist ein zynisches Spiel mit der Wut der Bürger. Ähnlich wie schon im Streit um das EU-Budget und um die Beamtengehälter wird sie nach Brüssel gelenkt – während man von eigenem Versagen ablenkt.

Dabei trägt Deutschland gehörige Mitschuld an den Missständen in Brüssel. Kanzlerin Merkel hat Kommissionschef Barroso nicht nur eingesetzt, sondern auch im Amt gehalten, trotz Finanz- und Eurokrise.

Merkel hört auf den Markt – und Goldman Sachs

Sie hat sich wiederholt für die neoliberale und marktgläubige Politik aus Brüssel ausgesprochen. Wie jetzt rauskam, hat sie sich dabei zuhause in Berlin regelmäßig von Goldman Sachs und anderen Investmentbanken beraten lassen.

Wer diese Politik beenden will, muss nicht nur in und gegen Brüssel protestieren, sondern auch und vor allem in Berlin. Wer hingegen Barroso schlägt und Merkel wählt, darf nicht auf eine bessere Europapolitik hoffen…

P.S. Den Vogel schießt wieder mal der deutsche EU-Kommissar Oettinger ab. Brüssel mische sich zu sehr ein, man brauche ein “Nichtaktionsprogramm”. Ja was macht der Mann denn eigentlich in der Brüsseler Behörde?

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