Wozu die Krise gut ist

Deutschland bekommt die Krise, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Der Ifo-Index fällt schon zum fünften Mal in Folge, selbst die Bundesbank sieht mehr Risiken als Chancen für die Konjunktur. Keine schöne Aussicht für den Herbst, der dank des Mißmanagement des Euro-„Retter“ wieder mal heiß wird. Doch wenn man es recht bedenkt, steckt in dieser Krise auch eine Chance.Keine Sorge, ich bin nicht ins Lager der Zyniker übergelaufen, die die drohende Rezession schön reden wollen. Ich bin auch keiner von jenen unverbesserlichen EU-Optimisten, die in jeder Krise die Chance für „mehr Europa“ (also mehr Macht für Brüssel) sehen. Weit gefehlt! Meiner Meinung nach haben ungewählte EU-Granden schon viel zu viel Macht. Dennoch kann die Krise zu etwas gut sein, und zwar:

  • Der Fokus geht von den Finanzmärkten endlich wieder zur Realwirtschaft. Seit dem Beginn der Eurokrise vor drei Jahren sind „die Märkte“ das Maß aller Dinge. Mit Negativ-Ratings und überzogenen Risikoaufschlägen haben sie ganze Staaten in die Krise gestürzt. Gleichzeitig haben sie andere Länder wie Deutschland auf Händen getragen. Damit ist es nun vorbei. Am Montag lag die Rendite auf deutsche Anleihen erstmals seit langem wieder so hoch, dass die Finanzagentur einen Großteil der Titel lieber hortete, statt sie auf den Markt „geiziger“ Anleger zu werfen, wie die FTD meldet. Wenn nun auch die deutsche Wirtschaft die Krise bekommt, dürfte es mit der ungesunden Fixierung auf die Finanzmärkte bald vorbei sein.
  • Deutschland kommt auf den Boden der Tatsachen zurück. Jahrelang hatte sich die Bundesregierung am „Aufschwung XXL“ und am angeblichen deutschen Jobwunder berauscht. Während Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble den Euro-Krisenländern brutale „Anpassungsprogramme“ verordneten, durfte der Bund fleißig neue Schulden machen, die noch dazu zum Nulltarif finanziert wurden. Auch damit ist es nun vorbei. Der von der Vorgängerregierung geerbte Aufschwung mündet in eine selbst verschuldete Rezession, die Zahl der Arbeitslosen steigt. Damit wächst auch die Hoffnung, dass Berlin mehr Verständnis für die Forderungen seiner krisengebeutelten Partner entwickelt.
  • Europa wird zum Wahlkampfthema. Bisher hat in Deutschland noch keine ernsthafte Europa-Debatte stattgefunden. Merkels rules, die Opposition schläft oder winkt alles durch. Das dürfte sich nun, befeuert durch die Krise, ändern. Heute hat SPD-Noch-Nicht-Kandidat Steinbrück schon mal sein Bankenkonzept vorgestellt, mit dem er auf den Kern der Eurokrise – den wild gewordenen Finanzmarkt – zielt. Merkel muss nun aufpassen, dass sie nicht als Kanzlerin des Kapitals dasteht. Wenn sich die Krise verschärfen sollte – und dafür spricht einiges – wird sie sich auch für ihre Bilanz rechtfertigen müssen. So oder so: um das Thema Europa und die fehlgeleitete „economic gouvernance“ in der Eurozone kommt sie nicht herum. 

Natürlich birgt die Krise auch Risiken: dass Merkel sich in der Eurogruppe noch zugeknöpfter gibt, dass Deutschland in Brüssel noch mehr auf der Bremse steht, dass die Deutschen noch euroskeptischer und/oder nationalistischer werden. Bis zur Bundestagswahl in einem Jahr, so viel ist schon jetzt klar, wird es keine durchgreifende EU-Reform oder einen grundlegend anderen Euro-Kurs mehr geben, dafür sorgt allein schon die Chaos-Koalition in Berlin.

Doch immerhin ist es nun vorbei mit der Insel der Seligen. Je mehr sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland der im restlichen Europa annähert, desto größer sind die Chancen für ein Umdenken, oder?

 

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