Worüber der EU-Gipfel nicht spricht
Beim EU-Gipfel geht es vor allem um CETA und Russlands Syrienkrieg – zwei Themen, die eigentlich gar nicht auf der Tagesordnung standen. Doch andere wichtige Themen blenden die EU-Chefs aus.
- TTIP: Das Folgeabkommen von CETA ist de facto tot. Doch das wollen die EU-Granden natürlich nicht zugeben. Also steht es gar nicht auf dem Programm. Dafür macht man Druck auf die Wallonie.
- Türkei: Auch die Türkei unterstützt Terrorgruppen in Syrien, das weiß sogar der BND. Heute kam die Meldung, dass die Türkei dutzende Kurden massakriert haben. Auch kein Thema.
- Bankenkrise: Die Deutsche Bank wankt, in Italien sieht es auch nicht gut aus. Doch dazu kommt kein Wort vom Gipfel. Das Europaparlament möchte auch nicht darüber sprechen, die Krise passt nicht ins Programm.
- Brexit: Die britische Premierministerin May ist zu Gast in Brüssel. Ein schöne Gelegenheit, ihr und den Bürgern zu erklären, wie Europa ohne die Briten weitermachen will. Aber das ist auch kein Thema…
Fast könnte man auf den bösen Gedanken kommen, dass Kanzlerin Merkel und ihre Kollegen von den eigentlichen Problemen ablenken wollen. Lieber konzentriert man sich auf seine (angeblichen) Feinde…
Baer
21. Oktober 2016 @ 14:37
Noch ein Obama,Clinton ,Bush Versteher oder interpretiere ich Ihren letzten Absatz falsch.
Ich kann nur sagen :“ ohne Russland haben wir Krieg.Mit Amerika bekommen wir ihn postwendend. Clinton steht für Krieg.Wer eine Flugverbotszone über Syrien will, will Krieg.Wollen Sie das ,sehr geehrter Herr Nemschak?
Peter Nemschak
22. Oktober 2016 @ 14:34
Das sehe ich anders. Vor Eingreifen der Russen hätte die EU mit Luft- und Bodentruppen den verfeindeten Kräften klar machen müssen, dass ihr Bürgerkrieg Selbstmord bedeutet und seine Fortsetzung zu einer Auslöschung der kriegführenden Parteien führen würde. Gleichzeitig hätte sie Assad entfernen und seinen dadurch geschwächten Nachfolgern, aber auch deren Feinden, klar machen müssen, wer hier das Sagen hat. Wenn das einmal klar gestellt ist, hätte die EU unter ihrer Führung unter Einbeziehung der regionalen Führungsmächte Türkei, Saudiarabien und Iran einen Friedensprozess beginnen und einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Parteien suchen müssen. Ein Friedensabkommen hätte sie schließlich politisch und militärisch garantieren müssen. So ein Vorgehen bedeutet einen jahrelang dauernden und teuren Prozess, den sich die Amerikaner im Irak erspart und als Folge ein Chaos hinterlassen haben. Westliche Demokratien wollen immer kurzfristig Erfolge sehen. Ihnen fehlt der lange politische Atem. Ein echter Demokratisierungs- und Befriedungsprozess in einer so schwierigen multiethnischen Region wie dem Mittleren Osten kann eine Generation und länger dauern und für die Hegemonialmacht sehr kostspielig sein. Hegemoniale Herrschaft ist eben nicht kostenlos zu haben. Die von der EU derzeit angepeilte Lösung des Flüchtlings- und Migrationsproblems (Verträge mit Staaten in der Nachbarschaft Europas) ist auch sehr kostspielig und macht die Gemeinschaft anfällig für Erpressung durch autoritäre Staaten. Der nachhaltige Erfolg steht bei dieser Alternative jedenfalls in den Sternen. Man mag die USA für die gemachten Fehler und Fehleinschätzungen kritisieren, ihr schrittweiser Rückzug aus der Region stellt die Europäer aber vor die Herausforderung das entstehende Vakuum zu füllen. Zu hoffen, dass der nächste Präsident der USA, egal wer die Wahl gewinnt, im Mittleren Osten für die Europäer die Kohlen aus dem Feuer holen wird, ist blanke Illusion, ebenso wie die Erwartung, dass sich russische machtpolitische Interessen mit jenen der EU decken.
Peter Nemschak
21. Oktober 2016 @ 05:10
Man muss Prioritäten setzen. Was hinter den Kulissen angearbeitet wird, wissen wir nur bruchstückhaft. Angeblich macht die Konzernbesteuerung Fortschritte. Mit CETA zum Abschluss zu kommen ist ein wichtiges Signal gegen den an den politischen Rändern grassierenden Protektionismusdiskurs. Es macht wenig Sinn, TTIP vor den Präsidentschaftswahlen in den USA und den Wahlen in Frankreich und Deutschland zu priorisieren. Warum sollte die EU die Konfrontation mit der Türkei suchen solange das Flüchtlingsabkommen hält und ähnliche Abkommen mit anderen autoritären Staaten geplant sind. Man kann sich die Welt nicht aussuchen und muss das politisch Zweckmäßigste für sich daraus machen. Die Bankenkrise (Überkapazität, Abbau notleidender Forderungen) muss primär national gelöst werden auch wenn es politisch bequem erscheint sie zu europäisieren. Hier gilt das Subsidiaritätsprinzip. Noch hat das UK den Austrittsantrag nicht gestellt. Warum soll sich die EU jetzt in die Karten schauen lassen? Das würde nur ihre Verhandlungsposition schwächen und dem UK die Möglichkeit bieten, einzelne EU-Staaten gegeneinander auszuspielen. Russland ist ein Konkurrent um die Hegemonie in der europäischen Nachbarschaft und gleichzeitig ideologischer Gegner einer pluralistischen Demokratie. Pazifistisches Beschwichtigen wäre der falsche Weg und würde bloß die Machtambitionen Russlands befeuern.