Wo Guérot irrt

Europa braucht den Neustart: Niemand vertritt diese These so stark wie die Politikwissenschaftlerin U. Guérot. Doch ihr aktuelles Buch kann nicht überzeugen. Der „neue Bürgerkrieg“ (Titel) beruht auf falschen Prämissen, die europäische Republik bleibt ein Traum.


Auf der einen Seite Le Pen und die „sogenannten Identitären“ – auf der anderen Seite die besorgten Bürger „als Verteidiger der der europäischen Aufklärung im Sinne des Erbes der Französischen Revolution“.

So stellt Guérot die Fronten im neuen „Bürgerkrieg“ dar. Dabei haben sich „Identitäre“ und „Aufklärer“ nie ein offenes Gefecht geliefert, spätestens seit der Wahl in Frankreich ist der „Bürgerkrieg“ abgesagt.

Der Essay ist wohl vorher entstanden, also kann man über dieses – gleichwohl wichtige – Detail hinwegsehen. Doch Guérot, die sich auf Seiten der „Aufklärer“ verortet,  leistet sich leider noch andere Patzer.

Voll im Mainstream

Sie nennt nicht nur Frankreich in einem Atemzug mit Polen und Ungarn, sondern wirft auch noch linke und rechte Kritiker der EU in einen Topf. Populismus, Totalitarismus, alles fault und stinkt.

Okay, Guérot folgt hier dem Mainstream, der sie dafür liebt. Völlig unverständlich wird es aber, wenn sie versucht, den  „Bürgerkrieg“ in ein Plebiszit für eine europäische Republik umzumünzen.

In einer Lage, in der Sozialdemokraten, Grüne und Linke abschmieren und die Nationalisten auftrumpfen, behauptet sie, es gäbe eine „große Mehrheit“ für eine demokratische Neugründung Europas!

Eine neue Mehrheit?

Schön wär’s. Ich würde mich auch freuen, wenn sich endlich einmal neue, proeuropäische Mehrheiten jenseits der alten Nationalstaaten organisieren würden, wie Guérot prophezeit.

Doch davon kann keine Rede sein. Nicht die Anhänger einer europäischen Republik organisieren sich über die Grenzen hinweg, sondern Nationalisten und EU-Gegner bilden eine rechte Internationale!

Klar, es gibt auch „Pulse of Europe“, DIEM 25 und die Föderalisten. Doch sie sind eine kleine Minderheit, die von den Parteien ignoriert wird und in der Bundestagswahl keine erkennbare Rolle spielt.

Verworrene Fronten

Der entscheidende Konflikt spielt sich denn auch nicht zwischen „Aufklärern“ und „Identitären“ ab, sondern zwischen Globalisten und Nationalisten sowie zwischen Bewahrern und Erneuerern.

Der Clou ist dabei, dass die Globalisten die aktuelle, neoliberale Ordnung um jeden Preis bewahren wollen, während die „Identitären“ sie – genau wie viele „Aufklärer“ – radikal infrage stellen.

Wir haben es also mit verworrenen Fronten zu tun – und nicht mit Schwarz und Weiß, wie es Guérots Bürgerkriegs-Szenario nahelegt. Dazu kommt noch der Kampf um die Vorherrschaft in Europa.

Trügerische Ruhe

Derzeit sieht es so aus, als würde Deutschland diesen Kampf gewinnen, und als könne Kanzlerin Merkel die EU auf der Seite der Globalisten halten. Merkel steht für Machterhalt im deutschen Europa.

Doch viele andere Länder – Frankreich, Italien, Großbritannien – wollen sich mit diesem Status Quo nicht mehr abfinden. Andere – Ungarn, Polen – werden schon von Nationalisten regiert.

Das ist kein Bürgerkrieg, sondern ein Machtkampf zwischen Staaten und Eliten. Auf wessen Seite sich die Bürger schlagen, ist längst nicht ausgemacht. Nur in Deutschland herrscht – noch – Ruhe.

Die deutsche Frage

Doch die ist trügerisch. Denn – und da gebe ich Guérot wieder Recht – die deutsche Frage ist zurück. Und die EU ist – obwohl sie dafür geschaffen wurde – nicht (mehr) in der Lage, sie zu lösen…

Siehe auch „Wo Münkler irrt“ und „Une question allemande“