Wird Tsipras diesmal “Oxi” sagen?
Griechenland und seine Gläubiger steuern wieder auf eine Konfrontation zu. Die Lage ist so ernst, dass Premier Tsipras bereits Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel um Hilfe angefleht hat.
Es geht um den Schuldenschnitt, den der IWF vehementer denn je fordert. Doch Deutschland ist dagegen. Bei der IWF-Frühjahrstagung wurde deshalb ein fauler Kompromiss formuliert.
Demnach soll der IWF auf den Haircut verzichten, dafür soll Griechenland noch mehr und noch länger sparen. Nur so ließe sich die Schuldenquote, die gegen 200 Prozent strebt, ein wenig drücken.
Dies würde aber einen Bruch der Vereinbarungen mit den “Euro-Rettern” bedeuten. Der Konflikt zwischen Berlin und Washington würde auf dem Rücken der Griechen ausgetragen.
Tsipras lehnt das verständlicherweise ab. Die große Frage ist nun, ob er bei seinem Nein bleibt – und ob er es wagt, auch öffentlich “Oxi” zu sagen. Bisher hat er es hinter den Kulissen versucht.
Doch das hat offenbar nichts gebracht. Tsipras muss daher laut und vernehmlich erklären, dass seine Regierung zerbricht, wenn sie auf einen noch härteren Austeritätskurs gezwungen wird.
Auf dem Spiel steht nicht nur der dritte, heftig umstrittene Bailout. Auf dem Spiel steht auch Merkels Flüchtlingspakt mit der Türkei. Griechenland spielt dabei eine Schlüsselrolle…
bluecrystal7
23. April 2016 @ 02:45
Die offenbar immer noch weitverbreitete Ansicht, dass Griechenland Deutschland oder andere erpresst, ist wohl der ziemlich aggressiv geführten Medienkampagne gegenüber Griechenland bzw. der griechischen Regierung im letzten Jahr geschuldet… Anders kann ich mir das nicht erklären.
GS
23. April 2016 @ 00:44
Ich glaube nicht dran, dass Tsipras etwas wagt, lasse mich aber gern überraschen. Letztes Jahr ist er aus meiner Sicht gebrochen worden. Und selbst wenn: Dann gibt’s eben wieder Neuwahlen und nach Lage der Dinge sind dann plötzlich wieder die Konservativen an der Macht. Große Freude in Berlin und Brüssel! Der Schlüssel zur Erpressung Berlins liegt, wie immer, in Washington. Vielleicht gibt’s auch Zweitschlüssel in Paris und Rom.
Johannes
22. April 2016 @ 15:29
“Auf dem Spiel steht auch Merkels Flüchtlingspakt mit der Türkei”
Genau deswegen wird Griechenland erfolgreich Deutschland erpressen können.
Deutschland wird alle Augen zudrücken bei den Reformen, wie immer. Und wie immer sind wir kleinen Bürger die Dummen und werden für Griechenland und Süd Europa noch ärmer gemacht.
Ich wünschste, ich als kleiner Bürger dürfte CDU und SPD Politiker so erpressen und über den Tisch ziehen, wie man es mit uns Bürgern tut. Aber wie immer gilt: Gesetze sind nicht für Politiker, sondern nur für uns kleine Bürger da.
Demokratie? Sch….. , Euro ist euch wichtiger 😉
Andreas Meyer
22. April 2016 @ 19:24
@Johannes, was bringt Dich zu dem Gedanken, Griechenland könnte irgendjemand erpressen? Griechenland hat nicht das geringste Druckmittel, was im Übrigen das Ergebnis der heutigen Sitzung der Eurogroup unter Beweis stellt.
Die Zäune stehen an der griechischen Grenze und die Zahl der täglich eintreffenden Flüchtlinge ist dramatisch zurückgegangen: Mit den Zäunen wurde verhindert, dass Griechenland die Flüchtlingskrise ausnutzen kann und mit dem Türkei-Deal wurde verhindert, dass Griechenland zu einem offenen Flüchtlingscamp wird. Damit ist das Intermezzo vorbei.
Andreas
22. April 2016 @ 09:44
Auf dem Spiel steht die europäische Welt in der Ausprägung seit 1945. C`est tout. Ich finde es interessant, wie die Konservativen dieses Spiel gestalten, mit welcher Dummheit. Schon Kierkegaard mahnte (gute Heuristik, aber Heuristiken ist nicht die Sache von Juristen): Je mehr Menschen eine Sache glauben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie falsch ist. Am Vorabend vor Thanksgiving endet der Glauben des Truthahns, es geht immer so weiter. Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte (stark vertreten an der Freien Uni und der Humboldt-Uni, also in DE verfügbar, nicht mal weit vom Reichstag) spricht von langen Linien. Wenn ihr kein Brot habt, warum esst ihr keinen Kuchen? Weil die dummen Eliten nicht wissen, dass es vor einem knappen Jahr eine Missernte gab. Und jetzt wissen sie nicht, was eine einfach zu verstehende Formel (Saldenmechanik der Volkswirtschaft) verrät. Arno Gruen hat die zugrundeliegende Dynamik ausführlich dargestellt. Wenn doch am Ende dem Todestrieb keine weiteren externen Opfer zugeführt werden können (erst alle Völker, am Ende auch das eigene Volk – bei Hitler), dann verlangt es das Selbstmitleid dieser Wahnsinnigen Normalen, sich selbst zu “opfern”, denn schließlich war man ja “Opfer”, weil das Volk zu “schwach” war. Bitte übertragen auf “Reformen”. Da wird mir persönlich immer schlecht, aber psychologische “Tatsachen” sind auch nicht die Sache von Juristen. Die Realität wird am Ende einen Haufen auf die “Vereinbarungen” machen, und dann werden dieselben starrsinnigen Leute, die noch 1945 Millionen Menschen auf “Todesmärsche” schicken, ganz schnell neuen Vereinbarungen “dienen”. Wo ist der preußische Offizier, der mit Blick auf den Kartentisch erkennt, dass der Krieg verloren ist? So lange keine einzige dt. Partei über das Geldsystem spricht, so lange fahren wir auf abschüssiger Bahn an die Wand, das ist dann praktisch alternativlos – und da haben wir noch nicht über den Terror des Krieges der Reichen gesprochen, der 1945 WK II ablöste.
Andreas Meyer
22. April 2016 @ 19:16
@Andreas: Ein wunderbarer Kommentar, wie ich finde! Mit Parallelen, die auch sonst ihre volle Berechtigung haben. Wir sprechen hier durchaus von “Krieg”! Zu der “Psychologie” der Herrschenden unten noch ein paar Referenzen.
Nach den gewonnenen Wahlen im Januar 2015 hat Syriza Druck aufgebaut (Forderung von Reparationszahlungen, Rückzahlung des WKII Zwangskredites, Ende der Zusammenarbeit mit der Troika, etc.).
Die Troika, und allen voran W. Schäuble, sind von Anfang an bereitwillig in den Konflikt eingestiegen anstatt mit Mäßigung zu reagieren, Einige Minister hätten ja durchaus auch einmal “Grösse” zeigen können (denn die Motive für das kämpferische Auftreten Syriza’s waren verständlich, gerechtfertigt und bestens bekannt).
Was folgte war nichts anderes als ein Krieg im wahrsten Sinne des Wortes, Krieg welcher zeitgleich auf der politischen und der medialen Front geführt wurde. Als Ergebnis der hässlichen Kampagne des Griechenland-Bashings in den deutschen Medien hatten Tsipras & Varoufakis diesen Krieg spätestens im Juni verloren, nämlich als Umfragen zeigten, dass die große Mehrheit der Deutschen für einen Grexit wäre. Merkel und Schäuble konnten Problemlos den Druck aufrechterhalten, denn ein Grexit wäre den Wählern genehm gewesen.
Am Montag den 29.06.2015 musste Griechenland Kapitalverkehrskontrollen einführen. Zoe Konstantonopoulo (damals griechische Parlamentspräsidentin) bezeichnet dies als einen “kriegerischen” Akt. Und es stimmt, in der Vergangenheit hätte ein solch brutales Vorgehen zwischen Ländern, Königreichen, etc. durchaus einen Kriege auslösen können.
Paul Krugmann schreibt über den rechthaberischen Duktus der Troika (und der meisten konservativen Politiker in Deutschland): “Zahlreiche psychologische und soziale Studien zeigen, dass Menschen, die feste Überzeugungen haben, ihre Meinung nicht durch wissenschaftliche Beweise ändern. Und je mehr sie darüber wissen, desto härter wehren sie sich dagegen.
Zu dem Problem der Engstirnigkeit der neoliberalen Eliten haben z.B. Harald Schumann und James Stewart geschrieben.
Auch Ulrike Guérot hat sich mit dieser Problematik auseinandergesetzt (sie erlebt es sogar oft am eigenen Leib, wie sie gerne erzählt…).
Zu der oben erwähnten Medienkampagne des “Griechenland-Bashing” sind die ersten wissenschaftlichen Studien erschienen.
GS
23. April 2016 @ 00:40
@Andreas Meyer
Ganz recht, am Fall Griechenland sollte ein Exempel statuiert werden. Allerdings muss man umgekehrt auch die Frage stellen, wohin die Alternative führt. Wenn die Griechen einen für sie guten Deal bekommen, sind die Spanier die nächsten, dann die Italiener usw. – und die ganz Dummen sind die Deutschen. Die Währungsunion kettet nun einmal Volkswirtschaften aneinender, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Es geht immer um die Frage, wer sich anpassen und damit den Preis zahlen muss. Ich bin egoistisch genug zu sagen: Ich zahle den nicht freiwillig. Mal abgesehen davon, dass auch für Deutschland so schon hohe Kosten entstehen: gigantische Garantien, Verlust des Kapitalkostenvorteils, geringe Kaufkraft der Währung usw.
Für mich bleibt’s dabei: Die Eurozone vereint Länder, die einfach nicht zusammengehören. Ich sperre mich gegen alles, was diese Länder noch fester aneinander koppelt, denn dafür braucht es einen Finanzier. Nach Lage der Dinge kommt dafür nur das Land in Frage, dessen Bürger ich bin. Thanks, but no thanks!
Nationalstaaten sind ja bekanntlich auch Transferunionen, nur dass sie eine weitaus höhere Akzeptanz genießen, im Regelfall zumindest. Aber auch hier zeigt sich, dass die Transfers in vielen Fällen eben nicht dazu führen, dass die Wirtschaftskraft der Regionen sich angleicht. Prominente Beispiele: Italien, Deutschland.
Was nun in Europa dazu kommt, ist die politische Explosivität der Lage, nämlich dass der Euro tatsächlich dazu beiträgt, die einstmals guten Beziehungen der Länder untereinander zu ruinieren. Griechenland liegt an der Peripherie und hat keine direkten Eurozonennachbarn. Sollten in Italien irgendwann ähnliche Zustände ausbrechen, wird’s ungemütlich. Deutschland läuft Gefahr, hier erpressbar zu werden: zu zahlen um des lieben Friedens (aber eigentlich eher um des “Wir-Europäer-müssen-uns-zusammenschließen-um-mitreden-zu-können”-Großmachtgetues der Euro-Eliten willen). Einfach alles runterschlucken, damit nichts Schlimmes passiert.
Fazit für mich: Der Euro treibt Länder in den wirtschaftlichen Exodus und untergräbt die politische Stabilität in den betroffenen Ländern. Eine alternative Politik provoziert allerdings ähnliche Entwicklungen, nur in anderen Ländern. Hinzu kommt der Ruin gutnachbarschaftlicher Beziehungen. Folge: Der Euro zerstört alles, was nach 1945 an Vertrauen und gutem Willen zwischen den europäischen Ländern aufgebaut wurde. Deswegen muss er weg.
Gestatte mir noch ein Wort zu Ulrike Guérot: Die Dame ist unsäglich. Ihr kann man es nur durch totale Unterwerfung unter die EU recht machen.
S.B.
22. April 2016 @ 09:03
” Auf dem Spiel steht auch Merkels Flüchtlingspakt mit der Türkei.”
Hoffen wir, dass dieser dreckige Deal platzt! Dann kann sich Merkel endlich Gedanken machen, was man tun muss, um “Flüchtlinge” aus eigener Kraft fernzuhalten. Ich kann sie dabei gerne beraten. Der Erfolg wir sehr kurzfristig eintreten und durchschlagend sein. Und ich muss kein einziges Wort mit irgendeinem Möchtegern-Diktator eines Drittlandes wechseln. Ganz nebenbei wird es selbstverständlich auch nicht die völlig unsägliche Visa-Freiheit für Türken geben. Zwei Fliegen mit einer Klappe! Aber warum einfach und billig, wenns auch umständlich und teuer geht? Nicht wahr Frau Merkel?