Wird Frankreich ein zweites Italien?
In Brüssel und Berlin werden die Sektkorken knallen: Frankreich will auf die Sparbremse treten, um im diesen Jahr die Drei-Prozent-Regel beim Budgetdefizit zu halten. Doch ist das wirklich eine weise Entscheidung?
Premier Philippe bekannte sich zur Defizitgrenze. Der französische Schuldenberg von 2,15 Billionen Euro sei „unerträglich“, sagte der Rechtsliberale. „Wir tanzen auf einem Vulkan, der immer stärker rumort.“
Neben den üblichen Ausgabenbremsen sollen die Gehälter im öffentlichen Dienst gedeckelt werden. Zudem will Philippe die Tabaksteuer erhöhen – ein Päckchen Gauloises wird bald 10 Euro kosten. Toll!
Die Frage ist nur, ob diese sicher überaus populären Maßnahmen die Binnen-Nachfrage dämpfen oder gar abwürgen, von der die französische Wirtschaft lebt. sie hängt nämlich nicht am Export, wie die deutsche.
Vielleicht sollten Philippe und sein Chef Macron mal nach Italien schauen. Dort hat man nämlich – auf Geheiß aus Brüssel und Berlin – das Budgetdefizit unter die drei-Prozent-Grenze gedrückt.
Die folge war, dass die Wirtschaft überhaupt nicht mehr wächst, der Schuldenberg aber sehr wohl. Ohne Wachstum wird die Schuldenquote sogar automatisch immer größer, denn sie stellt ja eine Relation dar…
Mittlerweile ist die Schuldenkrise in Italien, das sich brav an alle EU-Vorgaben gehalten hat und fleissig weiter kürzt, sogar so groß, dass man mit radikalen Maßnahmen liebäugelt.
Auf einer groß angelegten Konferenz in Rom wurde vom Schuldenschnitt über die Einführung einer Parallelwährung bis zum Austritt aus der Währungsunion alles Mögliche diskutiert.
„Offenbar rüstet sich Italien für das Finale seiner Krise“, kommentiert die „Welt“. Vielleicht sollten sich Macron und Philippe einmal bei ihren italienischen Kollegen erkundigen, wie es so weit kommen konnte…
P.S. Übrigens hat Deutschland die Drei-Prozent-Hürde ignoriert, als die Agenda 2010 aufgelegt wurde. Bis heute gilt das doch EU-weit als „Best practice“, oder?
Peter Nemschak
6. Juli 2017 @ 09:07
@hintermbusch Sie dürften übersehen haben, dass die Konjunktur in Frankreich derzeit gut läuft. Dieses „Window of Opportunity“ sollte für Reformen genutzt werden. Anderswo funktionieren Reformen auch, Frankreich ist keine Ausnahme. Politisch populär waren Reformene nirgendwo, weil die Menschen stets erwarten, dass sie etwas vom Staat geschenkt bekommen, auch wenn sie dafür selber bezahlen müssen: linke Tasche – rechte Tasche.
Oudejans
6. Juli 2017 @ 08:09
>>“… sogar so groß, dass man mit radikalen Maßnahmen liebäugelt.“
Das Volk auch.
Alexander
5. Juli 2017 @ 22:53
Ich gehe fest davon aus, dass ein nun sinnvoll ist, darüber zu diskutieren, was nach dem schönen Blender kommen wird. “Die Mitte” wird es eher nicht sein? Ich hoffe, dass die Leute einsehen werden, dass es besser gewesen wäre, Melenchon zum Präsidenten zu wählen. Die Alternative erscheint mir düster.
Außerdem hoffe ich, dass möglichst viele einflussreiche Ökonomen die richtigen Schlüsse aus dem Ausgang des Experiments ziehen werden, das Frankreich nun erleiden muss.
Winston
6. Juli 2017 @ 06:27
@ Alexander
Jacques Attali meint der nächste Französische Präsident wird eine Frau sein. Da kommen eigentlich nur 2 Frauen in Frage, Le Pen oder Lagarde.
Sollte Macron sein Programm wirklich durchziehen wird er imho vorzeitig scheitern. Macrons Opposition ist die Strasse, anders als die Italiener werden die Franzosen sich das nicht gefallen lassen.
hintermbusch
5. Juli 2017 @ 17:57
Ich kann dieser Analyse nur zustimmen.
“Wir tanzen auf einem Vulkan, der immer stärker rumort.”
Diese Aussage des Premierministers ist nicht falsch. Aber was ist der Vulkan und warum rumort er?
Der Vulkan besteht doch in extremen ökonomischen Ungleichgewichten, u.a. auch in deutschen Exportüberschüssen und sogar in Exportüberschüssen, die die Eurozone als Ganzes seit 2011 aufbaut. Da stimmt etwas Grundlegendes nicht, aber die Schulden sind höchstwahrscheinlich nur ein Nebenkrater. More of the same?
Man kann jetzt diesen Nebenkrater verstopfen, der bisher auch Druck weggenommen hat, aber dass damit der Vulkan von einer Explosion abgehalten wird, ist sehr, sehr unwahrscheinlich.
Die einseitige Fokussierung auf die Schulden ist ein schwerer makroökonomischer Fehler. Ein französischer Sparkurs wird die Nachfrage reduzieren, die Eurozone in die Rezession treiben, den Schuldensaldo erhöhen und letztlich auch noch die Außenhandelspartner auf den Plan rufen, weil sie nicht bereit sind, noch größere Defizite hinzunehmen, an erster Stelle die USA unter Trump, aber auch UK, das durch die drastische Abwertung des Pfund bereits begonnen hat, die Importe aus der Eurozone herunterzufahren.
Ein perfekter Strum wird da vorbereitet. Wenn das kommt, wird es innerhalb eines Jahres knallen, wirtschaftlich und politisch, in Frankreich und Italien, in ganz Europa. Die Regierung Macron scheint auf Brünings Spuren wandeln zu wollen.
Peter Nemschak
5. Juli 2017 @ 18:45
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man durch permanente staatliche Defizite Wachstum erzeugen kann. Das wäre zu einfach. So funktioniert Marktwirtschaft nicht. Wirtschaftswachstum kommt von den Unternehmen und den Privaten, den Initiativen und Rührigen, nicht den Passiven und jenen, die darauf wazten, dass sie der Staat durchfüttert.
hintermbusch
6. Juli 2017 @ 05:48
@ Peter Nemschak
Es gibt in jeder Volkswirtschaft vier Töpfe: Konsumenten, Unternehmen, Staat und das Ausland. Wenn jemand spart, muss ein anderer Schulden machen, so dass die Summe 0 bleiben kann. Wenn in einem Land wie Frankreich jetzt auch noch der Staat spart, dann wird nichts besser werden, sondern es wird zu einer Schrumpfung der Wirtschaft kommen, also zu einer Rezession, an deren Ende auch die staatlichen Defizite nicht kleiner, sondern größer sind, wenn man sie auf die Wirtschaftsleistung umrechnet. Die große Veränderung gegenüber früheren Zeiten liegt darin, dass sogar der Unternehmenssektor spart: https://youtu.be/a9mduhSSC5w?t=382
Wir hatten das natürlich schon mehr als einmal, aber es hilft ja nichts, wenn die Unvernünftigen immer wieder mit der Brechstange kommen, um an der falschen Stelle anzusetzen.
GS
5. Juli 2017 @ 22:26
Wobei wir uns da, wie gesagt, im Kreis drehen. Der Exportüberschuss der Eurozone ist halt auch eine Funktion des sehr niedrigen Wechselkurses zu anderen wichtigen Währungen, und das wiederum hat u.a. mit der Geldpolitik zu tun. Technisch sieht es so aus, als könnte der Euro jetzt tatsächlich endlich eine Wende schaffen. Bin gespannt, wie die Leistungsbilanzen in zwei Jahren aussehen werden, wenn das tatsächlich eintritt.
@ebo
Habe seit einiger Zeit das Problem, dass bei mir (mit Chrome) der “Kommentar absenden”-Button verschwindet, wenn der geschriebene Text zu lang wird. Er rutscht dann einfach nach unten weg.
Alexander
5. Juli 2017 @ 23:57
@GS: Das Problem habe ich auch. Wobei hier aber zur Zeit 8 Scripte geblockt werden. Mit der Tabulatortaste kann man den Absendeknopf aber dennoch ansteuern.
ebo
6. Juli 2017 @ 00:01
Danke für den Hinweis. Von meiner Seite habe ich nichts geändert…
Alexander
6. Juli 2017 @ 00:26
@ebo: Das Problem besteht schon seit Wochen. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass es mit der restriktiven Konfiguration meines Firefox zusammenhängt.
Screenshot: https://picload.org/image/rpoicppr/sc.png
Peter Nemschak
6. Juli 2017 @ 07:24
Die EU als ganzes hatte 2016 gegenüber dem Rest der Welt eine ungefähr ausgeglichene Leistungsbilanz, siehe http://www.querdenkereuropa.at.
hintermbusch
6. Juli 2017 @ 13:28
@ Peter Nemschak
„Die EU als ganzes hatte 2016 gegenüber dem Rest der Welt eine ungefähr ausgeglichene Leistungsbilanz“
Korrekt, aber da steckt eben UK mit seiner eigenen Währung und seinem großen Defizit mit drin. Daraus ergibt sich ein Überschuss für die Eurozone. Beide Salden kann man sich hier über der Zeit ansehen:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/15640/umfrage/handelsbilanz-der-eu/
Sehr aufschlussreich! Man sieht, dass die Eurozone bis 2011 als Ganzes im Außenhandel ziemlich im Lot war und dann im Zuge der sogenannten Euro-Rettungspolitik aus dem Ruder gelaufen ist.
Mal ehrlich: Wenn Sie diese Salden anschauen, können Sie dann glauben, dass es der Eurozone weiterhilft, wenn Frankreich die Binnennachfrage drosselt? Meine Fantasie reicht dafür nicht aus. Viel eher kann ich mir vorstellen, dass das die Zusatzbürde ist, die die Achse brechen lässt.
Atir Kerroum
5. Juli 2017 @ 13:29
In der verbalen Schuldenbekämpfung ist Frankreich seit Jahren Europameister. Ob Macrons Politik über die Titelverteidigung hinausgeht, muss sich erst noch erweisen.
ebo
5. Juli 2017 @ 13:41
@Atir Mein Eindruck ist eher, dass sich Frankreich um die Schulden keine großen Sorgen gemacht hat. Ein Defizit von 3,3 oder 3,4 % ist ja auch kein Drama, wenn man sich mal die Defizite in UK oder in den USA ansieht… Problematisch ist schon eher die Schuldenquote. Aber neuerdings hält die EU ja nicht einmal mehr 180 % (wie in Griechenland) für problematisch – Schäuble sein Dank 🙂
Peter Nemschak
5. Juli 2017 @ 14:45
In Zeiten der Budgetrestriktion ist Umschichten angesagt. Insbesondere Subventionen sind dahingehend zu überprüfen, ob sie noch zeitgemäß sind. Das ist natürlich politisch unbequem. Bequemer ist es, das Füllhorn über alle auszugießen und der nächsten Generation das Schuldenproblem zu überlassen.