Wird EUropa unregierbar?
Das deutsche Europa zerfällt weiter. Nach Großbritannien und Polen könnte nun auch noch Österreich aus dem deutschen Einfluss-Bereich fallen. Doch das eigentliche Problem liegt woanders.
Es liegt darin, dass das, was man früher „die Mitte“ nannte, zusehends zerfällt. In Frankreich haben sich die alten Parteien des Zentrums bereits völlig zerlegt, in Österreich sieht es ganz ähnlich aus.
In den Niederlanden gibt es zwar noch eine bürgerliche Mitte, doch die ist derart zersplittert, dass die Regierungsbildung mehr als ein halbes Jahr dauerte. Dass die neue Koalition hält, ist nicht sicher.
Ganz ähnlich sieht es nun in Deutschland aus. In Brüssel hofft man auf ein „Jamaika“-Bündnis, das in Berlin nicht einmal seine Sondierungen aufgenommen hat. Und wann es steht, steht in den Sternen.
Lindner warnt Merkel
Rechtzeitig vor dem EU-Gipfel im Dezember? Zu Weihnachten? Oder vielleicht erst im Januar? Das wäre eine Katastrophe für die EU, die ja große Reformen einleiten will – ohne Berlin geht es aber nicht.
Eine Katastrophe wäre es aber auch, wenn Merkel zwar eine neue Regierung zustande bringen sollte, dann aber von den kleinen Parteien abhängig wäre. FDP-Chef Lindner versucht schon, sie zu erpressen.
„Lindner warnt Merkel: Bloß keine Festlegung in Brüssel!“ So titelt heute die FAZ. Warum sollten es nicht auch Seehofer oder Özdemir mit demselben Trick versuchen? Und was ist mit der AfD?
Lame Duck Deutschland
Klar, die AfD sitzt nicht in der Regierung. Doch schon jetzt übt sie Einfluß auf die CSU aus. Genau wie die FPÖ auf den neuen Kanzler Kurz. Oder die Brexiteers auf Premierministerin May. Und so weiter.
Wenn sich das Szenario „Lame Duck Deutschland“ plus „Rechtsruck Europa“ bewahrheitet – und es sieht ganz danach aus – dann könnte nicht nur Frankreichs Macron seine hochfliegenden Reformpläne begraben.
Dann kann auch Kommissionschef Juncker einpacken. Denn seine Rest-EU, der er eben noch frischen Rückenwind bescheinigte, sie wäre unregierbar geworden…
Siehe auch Lindners Traum, Merkels Werk
Susanne
17. Oktober 2017 @ 23:41
Linder habe ich aufhorchend wahrgenommen. M.E. teilte er Merkel und ihrem „Übergangsfinanzminister“ Altmaier mit, nicht Fakten im Sinne von Macron in Zeiten einer Nicht-Regierung mit. Was sagt von Lambsdorff dazu…die Grünen im eu-Parlament?
GS
17. Oktober 2017 @ 23:28
Ich denke, Österreichs Position wird sich nicht so stark verändern. Unter Kern/Kurz war es in der Flüchtlingsfrage schon nicht mehr auf deutscher Linie. Und in der Eurofrage wünschte man auch keine weitere Vertiefung. So weit ist das, m.E., gar nicht von den deutschen Parteien rechts von SPD/Grünen weg.
Es stimmt, dass D aktuell nicht handlungsfähig ist und auf EU-Ebene nichts gemacht werden kann, solange nicht die neue deutsche Regierung steht. Aber Lindner hat schon Recht mit seiner Position, denn Merkel hat im neuen Parlament erst einmal keine Mehrheit. Man stelle sich vor, Merkel macht Zusagen in Brüssel, kann aber die neue Regierung gar nicht führen, weil Jamaika scheitert. Dann hat sie ja wohl kaum die Legitimation, für Deutschland Zusagen zu machen. Es war auch in der Vergangenheit nie üblich, dass eine ausgehende Regierung nach der Wahl noch Nägel mit Köpfen macht.
Peter Nemschak
18. Oktober 2017 @ 12:15
Sollte es tatsächlich, wie erwartet, zu einer Koalition ÖVP/FPÖ kommen, wird sich an der grundsätzlich europafreundlichen Politik nichts ändern. Auch bei der letzten ÖVP/FPÖ Koalition war dies nicht anders. Generell wird sich die bisherige Kritik der FPÖ an der angeblich überbordenden Bürokratie in Brüssel nicht ändern und wie bisher nationalpolitisch unangenehme Entscheidungen Brüssel anlasten, etwas was auch die bisherige Regierungskoalition gerne getan hat. Die Zuwanderungspolitik dürfte deutlich strenger werden, was aber einen generellen Trend in der EU darstellt. Sozialpolitisch dürfte die FPÖ im Hinblick auf ihre Stammwählerschaft die Rolle der bisherigen SPÖ übernehmen. Vermutlich wird die FPÖ bei der Verteilung der Ministerien auf das Innen- und Sozialministerium zielen, Ministerien, die ihren Anliegen am stärksten entgegenkommen.
Gerro
19. Oktober 2017 @ 08:03
“ Man stelle sich vor, Merkel macht Zusagen in Brüssel, kann aber die neue Regierung gar nicht führen, weil Jamaika scheitert. Dann hat sie ja wohl kaum die Legitimation, für Deutschland Zusagen zu machen.“
Darauf sollte man sich bei Merkel nicht mehr verlassen.
Je länger Merkel Kanzlerin ist und je älter sie wird – desto öfters entscheidet sie in Alterssturheit eigenmächtig und uneinsichtig ohne Legitimation. „Ich würde es wieder so machen.“
Peter Nemschak
17. Oktober 2017 @ 17:55
Was ist bürgerlich? Es wird wieder eine Mitte entstehen. Der politische Rand ist zerstritten. Die Gesellschaft ist nun einmal eine Gesellschaft unterschiedlichster Milieus geworden.