“Wir sind im Auge des Zyklons”
Der griechische Premier Tsipras lädt am Freitag zum Süd-Gipfel nach Athen. Vorab gab er “Le Monde” ein Interview. Es hat es in sich – denn Tsipras bricht mit dem “Weiter so” der deutschen Kanzlerin.
Merkel tut ja immer so, als sei alles in bester Ordnung und der Brexit nur ein bedauerlicher Betriebsunfall. Bei ihrem EU-Trip versuchte sie, alle Gegensätze klein zureden und jede Reform abzublocken.
Tsipras widerspricht vehement: Die EU sei von “Auflösung” bedroht, sagte er “Le Monde”. Die Weichen müssten endlich auf Wachstum gestellt werden, sonst drohten neue (Anti-EU-)Referenden.
Bemerkenswert ist vor allem seine Analyse des Ist-Zustands. “Wir sind im Auge des Zyklons” sagte Tsipras mit Blick auf die Mittelmeer-Länder, die er nach Athen geladen hat.
Damit meint er nicht nur die Schulden- und Wirtschaftskrise, die vor allem Griechenland, neuerdings aber auch wieder Spanien und Portugal trifft, womöglich auch Italien.
Der Süden sei auch massiv von der Flüchtlings- und Sicherheitskrise betroffen, sagte er unter Anspielung auf die Terror-Attacken in Frankreich (zuletzt: fast 100 Tote in Nizza.)
“Der Norden häuft die Überschüsse an”, der Süden Defizite und andere Probleme, warnt Tsipras. Zugleich warnt er davor, nun vor allem auf den Osten zuzugehen. Es müsse ein Ausgleich her.
Von Merkel erwartet er offenbar nichts mehr. Es gebe 27 Regierungen, nicht nur eine, so Tsipras. Er wolle kein deutsches Europa und auch kein Deutschland, das als europäische Sparkasse agiert.
Ach ja, und einen Schuldennachlass fordert Tsipras natürlich auch. Man darf gespannt sein, ob Frankreich und Italien das unterstützen…
bluecrystal7
16. September 2016 @ 03:16
Tja, der gute Tsipras hat ja auch recht mit dem was er sagt. Nicht wenige wissen und sagen – auch einige renommierte Ökonomen – dass einseitige Sparpolitik auf Dauer nur in die Misere führen KANN. Wie sollen denn so bitteschön irgendwelche Wachstumsimpulse entstehen? Unmöglich. Zu den Themen Sparpolitik, Wachstum, Schuldenkrise und auch die in Deutschland allseits beliebten chronisch hohen Exportüberschüsse kann ich nur Heiner Flassbeck empfehlen: https://www.youtube.com/watch?v=NZu8RFK1SUU
Ein Europäer
9. September 2016 @ 18:34
Hmm.. Die Kommentatoren hier wiederholen mehr oder weniger das was Mainstream Meinung in D ist. Also, die “weiter so” EU-Politik. Nichts hat sich geändert und niemand will was ändern. Dennoch die EU und insbesondere die EMU brauchen dringend eine radikale Reformation.
Peter Nemschak
10. September 2016 @ 07:54
Reformen: mehr dezentralisieren, Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern dort, wo gemeinsame Lösungen etwas bringen (Dienstleistungsrichtlinie), hinsichtlich EMU-Weiterentwicklung siehe das Gutachten des deutschen Sachverständigenrats. Was ebo vergessen hat zu erwähnen, dass Griechenland für die nächste Kredittranche noch 13 von 15 Bedingungen (lt. Bericht in der NZZ) zu erfüllen hat, was der griechische Finanzminister bis Ende September zu tun versprochen hat.
Pique Dame
9. September 2016 @ 15:51
Es wäre schön, wenn Tsipras endlich mal so handeln würde, wie er spricht. Der Mann ist ja wirklich indolent.
Peter Nemschak
9. September 2016 @ 17:43
Offenbar überwiegen die Vorteile im Euro zu bleiben die Nachteile auszutreten, zumindest für die Syriza-Regierung. Ein Austritt, der kurzfristig große Verwerfungen für Griechenland brächte, wäre mit einem Elitenwechsel in Griechenland verbunden.
Skyjumper
9. September 2016 @ 10:59
Wer sich seine eigenen Gedanken über die ganzen Entwicklungen seit 2010 macht, und dabei tunlichst darauf verzichtet die Politikerbeschwichtigungen für bare Münze zu nehmen, erkennt dies schon seit Jahren.
Was speziell Griechenland anbelangt bin ich immer wieder über die Leidensfähigkeit dieses Landes überrascht. Ich habe längst damit gerechnet das Griechenland der EU erklärt “Ihr könnt uns mal kreuzweise, wir treten aus”. Aber offenbar ist die griechische Bevölkerung masochistischer, und vor allem realitätsfremder, veranlagt als ich es für möglich hielt.
Sehr bedauerlich was aus den Menschen (nicht nur in GR) geworden ist. Willenlose Schafe die sich aus Angst vorm “Unbekannten” zur Schlachtbank führen lassen. Dabei bin ich eigentlich relativ sicher, bzw. hoffe ich es, dass das alles nur einen zeitlichen Aufschub bewirkt. Denn die Würde von Menschen ist kaum schlimmer mit Füssen zu treten als es in der EU geschieht.
Peter Nemschak
9. September 2016 @ 09:33
Das klingt wie frühe Wünsche an den Weihnachtsmann. Mental war die Syriza-Regierung zu Reformen nie bereit. Dass nach wie vor teure Kraftstoffe importiert werden müssen statt die in Griechenland reichlich vorhandene Sonnenenergie zu nutzen, ist ein Beispiel dafür, wie wenig die griechische Regierung an Reformen und Anreizen für die Wirtschaft interessiert ist und sich bloß auf Unterstützung von außen verlässt. Ist das Verwaltungs- und Justizsystem des Landes in den letzten Jahren effizienter geworden? Wurde endlich mehr Steuergerechtigkeit zwischen reich und arm verwirklicht? Wurden Anreize gesetzt, das ins Ausland geflohene Kapital zurückzuholen? Sozialismus und Marktwirtschaft vertragen sich nicht. Tsipras darf nicht damit rechnen, dass der Norden den Süden als Dauersubventionsfall akzeptieren wird. Bevor das passiert, wird eher die Syriza-Regierung abgewählt werden. Dass Spanien trotz zweimaliger Wahl innerhalb kurzer Zeit keine handlungsfähige Regierung zustande bringt, kann man wohl nicht der EU oder Deutschland anlasten. Fazit: heiße Luft im Auge des Zyklons.